Meine Schritte hallen weit durch die einschüchternden Räumlichkeiten der Pinakothek der Moderne in München. Um mich herum sind Haufen von Stahl im Raum verteilt. Sie reflektieren auf ihren teilweise glänzenden Oberflächen grünes Licht. Die Frau, die mich herumführt, erklärt, dass diese Metallklumpen in Wirklichkeit Kunstwerke von John Chamberlain sind, der sich sein ganzes Leben lang mit dem Formen und Schweißen von Karosserieteilen und Stoßstangen befasst hat. Sie führt aus, wie er das Material neu interpretiert, es aus seiner ursprünglichen Zweckbestimmtheit herausnimmt. Sie redet davon, wie er damit eine kunsthistorische Analyse vollzieht, sich anlehnt an die Zeit von Dürer, wo nicht mehr die erzählende Abbildung im Vordergrund stand, sondern der Faltenwurf der Kleidung der Figuren an sich zu der zentralen Kunstform wurde und seine möglichst reichhaltige Ausgestaltung die Qualität eines Werkes ausmachte. Sie ergeht sich über den Kommentar moderner Bildhauer auf die historische Entwicklung der Kunst an sich.
Ich sehe mir die Werke unter diesem Gesichtspunkt noch einmal ganz genau an. Es sind Metallklumpen.
CC-BY-NC-ND Tony Van Den Boomen
Mir ist oft der Gedanke gekommen, dass Museumsführer mich in ihrem Berufsbild häufig an einen Sommelier erinnern, der in einem überteuerten Restaurant Gästen das Blaue vom Himmel herunter erzählt, welche Schattierungen ein bestimmter Wein hat, wie „tief“ er ist, welche Früchte oder gar animalische Noten in seinem Geschmack anklingen. Obwohl mir natürlich bewusst ist, dass dahinter durchaus die Kunstfertigkeit eines Menschen steckt, der lange mit einem bestimmten Gebiet zu tun hat, und dass Weine sich nunmal tatsächlich unterscheiden, werde ich doch das Gefühl nie ganz los, ein Stück weit eine Show geliefert zu bekommen, für die ich bezahle. Ich fühle mich ein klein wenig belogen, wenn mir jemand gegenüber steht, der etwas erzählt, das ich selbst beim besten Willen nicht aus der wahrgenommenen Realität ableiten kann.
Moderne Kunst sieht sich dieser Kritik allzu häufig ausgesetzt. Sie hat in der Allgemeinbevölkerung einen schlechten Ruf, weil sie so einfach erscheint, so willkürlich. Es scheint, als ob die eigentliche Kunst darin bestünde, die anderen zu überzeugen, dass es sich tatsächlich um Kunst handelt. Da hat jemand also ein paar Seile durch einen Raum gespannt, und das nennt sich dann „fine art“, oder „minimalism“. Der arme Beuys hat damit zu kämpfen, dass seine Kunstwerke häufiger mal von Putzfrauen vernichtet werden, die sie schlicht und ergreifend für Dreck halten und uns in ihrer Einfalt an das Kind aus dem Märchen „Des Königs neue Kleider“ erinnern.
Aber sogar Künstler stoßen ständig auf das Problem, dass ihre eigenen Werke in Museen von Kunstkennern mit Bedeutungsschichten über Bedeutungsschichten geschwängert werden, die sie selbst nie ersonnen hatten. Erst viel später soll ich zufällig in einem Interview lesen, dass unser Herr Chamberlain, Reformator der Karosserien, sich von jeglicher Bedeutung seiner Werke distanziert und rein intuitiv arbeitet. Eine Zeit lang musste er sogar das Material wechseln, weil zu viele Menschen Bedeutung in Autos hinein interpretiert hatten.
Ich lasse mich also von Interpretationen beschneien, während ich anerkennend auf Metall schaue. Die Führung geht weiter. Ich bleibe eine Weile unentschlossen allein zurück. Gewelltes Metall. Faltenwurf. Kann schon alles sein. Aber wenn ich an meine geliebten Maler denke – Repin, Kramskoj – kann mein naives, unkünstlerisches Ich nicht verstehen, warum sie solch eine offensichtliche technische Begabung brauchten, und hier nun Metallklumpen im Museum stehen. Stehen? Mir fällt auf, dass diese Gebilde eigentlich gar nicht stehen sollten. Sie sehen seltsam geneigt aus. Aber sie werden durch nichts gehalten, sie sind ausbalanciert. Und sie sind leicht. Natürlich sind sie in Wirklichkeit nicht leicht, sie wiegen mehrere Tonnen. Aber dabei sehen sie unschuldig nach einem zusammengeknüllten Blatt Papier aus. Als könnte ich hingehen und eine davon ohne Mühe umschubsen. Warum? Ich versuche, es zu analysieren. Ich gehe um die Skulpturen herum. Ich finde nicht, wo die Illusion entsteht. Das Metall sieht nunmal wie Metall aus, auch wenn es verwirrend ist, seine verschlungene Oberfläche zu betrachten. Wenn ich aber einige Schritte zurück gehe, wird es wieder zum geknüllten Papier. Ich denke noch einmal nach.
Hier hat ein Mensch es geschafft, eine Illusion zu erzeugen. Eine Illusion, die auf den ersten Blick nicht auffällt. Eine Form, die das Auge so verwirrt, dass man noch einmal um das Gebilde herum geht. Und plötzlich habe ich einen Funken Verständnis für diese Art der Kunst. Zusammen mit den anderen Besuchern gehe ich weiter durch das Museum und die meisten Dinge langweilen uns und dann ist da dieses eine Ding, das uns ins Auge sticht. Wir treten näher, wir sehen es uns an, wir denken: „Ich habe keine Ahnung, was mir das sagen soll, aber ich wäre nie auf die Idee gekommen, das so zu machen.“ Dieses Ding weckt gleichzeitig unsere Neugier und unsere Bewunderung. Es macht uns wieder zu Kleinkindern, denen so viele Gegenstände in der Welt fremd sind und die deshalb das große Privileg genießen, sich wundern zu dürfen. Diese moderne Kunst, die wir manchmal wegen ihrer Absurdität verspotten, schenkt uns hin und wieder nichts Geringeres als Wunder. Und allein auf die Chance hin, dieses Gefühl bei einem, zwei Exponaten zu erleben, würde ich jedem jederzeit raten, einen Besuch in einer der Sammelstätten der Skurrilitäten abzustatten.
Wenn das alles ist, was...
Wenn das alles ist, was moderne Kunst leistet, ist das verdammt wenig. Ein bisschen Staunen, wie ein Kind. Nun, ich staune auch noch jeden Tag, über so manche Skurilitäten und Absonderlichkeiten meiner Mit-Menschen, aber vor Allem über die enorme Weite und Buntheit des DaSeins, und ich tue das als Erwachsener, mit all der Erfahrung von inzwischen 53 Jahren, denn, dass das Staunen eine Angelegenheit von Kindern oder kindisch/kindlich ist, ist eine unglückselige Mär, ist quasi ein (Denk- und Fühl-) Verbot von älteren Menschen, die meinen, das Menschen, ab einem bestimmten Alter (meist um die 20), bereits das meiste wissen und sich vom weiteren Wissenserwerb und weiterer Neugier abzugrenzen haben, denn, das sei und bleibe den Kindern vorbehalten.
Wie sagte Sokrates: „Ich weiss, das ich nichts weiss“. Dieser Satz, gesprochen im hohen Alter und mit Weisheit, bedeutet: „Ich staune, und ich höre nicht auf über die Vielfalt und den Reichtum der Wirklichkeit zu staunen.“ Staunen ist die „Offenheit und das Willkommen für die Signale der Wirklichkeit“ (Wahrnehmung aus dem Inneren (Selbst) und dem Aussen), und ist im besten Fall ein Dauerzustand der jeweiligen Lebendigkeit. Und nicht einer, der ins Museum gehört oder nur darin aktiviert oder zugelassen wird.
Das ist vergebliche Liebesmüh, denn, dann steht Eines nur wie der sprichwörtliche Ochs vorm Berg und sieht ohne zu erfahren, ohne zu erleben und ohne zu erspüren/-fühlen. Es ist ein Staunen ohne Tiefe, ohne Einsicht, ohne Weiterentwicklung. Genau das beschreiben Sie. Allerdings regt die „Kunst“, die Sie da beschreiben und zeigen (Foto) auch nicht gerade zur Tiefe und Weiter-Erfahrung an. Denn leider ist diese Kunst, wie Sie es auch andeuteten belanglos, nur ein Spiel mit den Möglichkeiten der Technik. Schön und bestimmt kurzzeitig eindrucksvoll, aber eben genauso schnell auch wieder vergessen. Kunst als blosse mächtige Dekoration, ein schneller Hingucker, ohne Verweildauer, weil etwas fehlt: Bedeutung. Deuten kommt von „zeigen und erklären“ ist also ein Vorgang der Erweiterung des Selbst, und der braucht Inhalt, viel Inhalt und der kommt bei jeder Form von blosser Mächtig-keit (Grösse) zu kurz, den Macht beschränkt, deshalb sind auch die Kunst-Werke z.B. von Anselm Kiefer, Christo und Jeanne-Claude, oder Anish Kapoor … bestenfalls grossartige Deko, aber keine bedeutende Kunst. Eine persönliche Meinung!
Aber mir ist auch bewusst, dass dieser Dauerzustand des Staunens aufwendig aufrechtzuerhalten ist, es kostet Kraft und Aufmerksamkeit, die Offenheit zu bewahren und das Willkommen zu gewährleisten, wenn der „normale“ Alltag in Routinen dahinfliesst, oder Routine vom Beruf verlangt wird.
Zu Ihrem Ansatz Kunst zu behandeln („…gehe ich weiter durch das Museum und die meisten Dinge langweilen uns …) gibt es noch einiges zu schreiben, aber das sprengt diesen Blog.
Noch ein Beispiel für einen aktuellen deutschen Künstler, der bedeutende Kunst baut, mit Mächtigkeit (Grösse) und Inhalt: Gregor Schneider.
Wie das mit den CC-Lizenzen...
Wie das mit den CC-Lizenzen funktioniert sollte man in den FAZ-Blogs doch aber langsam mitbekommen haben, oder?