Salon Skurril

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Man kann sagen, Kunst ist unnötig. Und man hätte recht. Kunst gehört nicht zu den überlebenswichtigsten Dingen, um die man sich kümmern muss,

Wie der Bauer zur Kunst kam

| 10 Lesermeinungen

Moderne Kunst in Münster aufzustellen ist ein Abenteuer, das zumindest den Einsatz von Polizei erobert. Gerade deswegen gedeiht sie hier so gut.

Der Westfale an sich, so sagt man, ist ein eher ruhiger, bodenständiger Typ Mensch. Während ich kein Fan von Verallgemeinerungen bin, bleibt mir –  als Zugezogene in Münster – festzuhalten,  dass da etwas dran sein mag. Westfalen trinken ihr Herrengedeck, spielen Doppelkopf, sind im Verein. Sie feiern Feste, aber nicht zu laut. Sie sind katholisch und ein wenig stolz darauf, dass die große, weite Welt woanders stattfindet.

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Dass ausgerechnet in Münster regelmäßig eine weltberühmte Skulpturausstellung stattfindet, klingt erst mal wie ein seltsamer Zufall. Tatsächlich aber handelt es sich nicht um einen Zufall. Dass die gemütliche Stadt Heimat moderner Kunst geworden ist, liegt vielmehr genau an ihrer bodenständigen Mentalität.
Es begann aber so: Im Jahre 1973 bemerkte man, dass das 20. Jahrhundert in Münster noch gar nicht so richtig stattgefunden habe. Es gab keine moderne Kunst im Stadtbild. So wollte die Stadt die Plastik „Drei rotierende Quadrate“ von George Rickey kaufen. Ein für den Künstler recht typisches Werk, eine Säule mit drei beweglichen, quadratischen Teilen. Nicht gegenständlich, aber auch nicht aufregend, dazu hübsch, eine Art farbenfrohes Windspiel. Zur Folge hatten diese Pläne allerdings einen Aufschrei der Empörung. „Da muss man schon ziemlich auf dem falschen Bahnsteig sein, wenn man das als Kunst ansieht“, hieß es von den braven münsteraner Bürgern, die lieber in die Restauration der alten Gemütlichkeit ihrer Stadt investiert hätten. Die Proteste dauerten so lange, dass die Stadt sich dagegen entschied, das Werk für 130.000 DM zu erwerben. Stattdessen wurde die Plastik 1975 von der Westdeutschen Landesbank gekauft und der Stadt Münster geschenkt. Die Münsteraner aber hatten nun endgültig den Ruf von Kulturbanausen.

Zu dieser Zeit hatten Klaus Bußmann und Kaspar König die Idee, eine Ausstellung moderner Skulptur im öffentlichen Raum zu machen. Zwischendurch gab es die Idee, als Ort Paris auszuwählen. Aber in Paris wäre solch eine Ausstellung gar nicht aufgefallen, ist die Stadt doch ohnehin von Kunst übersät. Nein, es musste etwas her, das für Schlagzeilen sorgt, das die Skulpturen nochmal kontrastiert und betont. Da fiel Münster ins Auge, Münster mit seiner aufgebrachten Bevölkerung und seinen engen, ordentlichen Häusern. 1977 lud man Künstler ein, sich einen Standort auszusuchen und dort eine Skulptur zu installieren. Man bezog also den Raum, die Geschichte, die Menschen intensiv in die Gestaltung mit ein. So entstand die erste Ausstellung der skulptur.projekte münster. Sie sollte alle 10 Jahre widerholt werden. Noch 1987 mussten die Arbeiten an den Skulpturen teilweise unter Polizeischutz durchgeführt werden, weil die Bevölkerung so aufgebracht hat. Gleichzeitig erreichte das Projekt internationale Bekanntheit, konnte sich leicht mit der documenta in Kassel messen und schnitt beim Vergleich besser ab. Touristen aus aller Welt strömten in die Stadt.

100 Arme der Guan-yinIch selbst sah zum ersten Mal kurz nach meiner Ankunft in Münster die skulptur.projekte 2007. Was ich dort sah, hat mich zutiefst beeindruckt. Die Stadt war zu einer Art Zaubergarten geworden, wo es an jeder Ecke etwas zu entdecken gab. Gänge aus Schilf, märchenerzählende Blumen aus Surfbrettern, einsame Türen auf großen Plätzen… Ich würde gern die tausend kleinen Wunder wiedergeben, die mir begegnet sind, doch sie in Worten wiederzugeben wäre Lüge. Wohin man auch ging, Staunen begleitete den Weg durch Münster. Von jeder Ausstellung blieben einige Werke permanent stehen. Mal von der Stadt erworben, mal privat und dann der Stadt geschenkt. So prägen sie auch heute jeden Tag das Stadtbild und haben aus der verschlafenen Westfalenmetropole eine märchenhafte Weltstadt gemacht.  

Giant Pool BallsNoch heute sind die „Giant Pool Balls“, die sogenannten Aaseekugeln, eines der Wahrzeichen  Münsters. Mit dem Reichtum, den der Tourismus brachte, und mit der langsamen Gewöhnung, wuchs auch die Akzeptanz in der Bevölkerung. Heute ist man stolz auf die kulturellen Errungenschaften. Dabei war es die Empörung, die Münster so attraktiv als Standort gemacht hatte. Diese Geschichte erzählte mir der Oberbürgermeister Lewe. Dann fügte er hinzu, dass die nächste Ausstellung – 2017 – die schwierigste werden würde. „Man muss wieder von der bloßen Kunst weg, hin zur Provokation“.

Das ist wohl, was diese Dinge so zauberhaft und faszinierend ist. Das ständige Getriebensein, nicht gewöhnlich werden zu dürfen, anzustoßen. Nur, wenn sie anstoßen, können diese Skulpturen und Installationen uns dazu bewegen, stehen zu bleiben, uns umzusehen, und uns, den Raum, die Anderen bewusst wahrzunehmen, mit neuem Blick. Und dann erwacht die Aufmerksamkeit und neue Gedanken regen sich. Was gewohnt war, wird plötzlich in neuen Kontext gestellt, die geliebte Tradition wird verändert, wird fortgerissen und mit der realen Welt konfrontiert. Und dann entdeckt man all das Wundervolle, was sie zu bieten hat.

Ich kann nicht bis 2017 warten.

 


10 Lesermeinungen

  1. Jeeves3 sagt:

    Also wenn ich wählen müsste:...
    Also wenn ich wählen müsste: Münster oder „moderner“ Kunst, fiele mir die Wahl (inzwischen*) leicht: Münster, mit Thiel und Börne.
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    (*) weil ich älter geworden bin. In den Sixties fand ich das auch alles ganz, wie sagt man heute: „spannend“.

  2. bulux sagt:

    "Moderne Kunst in Münster...
    „Moderne Kunst in Münster aufzustellen ist ein Abenteuer, das zumindest den Einsatz von Polizei erobert.“ Dieser abenteuerliche Satz hat, soviel kann ich jetzt schon sagen, meinen Tag erobert!

  3. Devin08 sagt:

    Wo der Bürger sich...
    Wo der Bürger sich sorgt
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    Also man kann nicht sagen, dass die Münsteraner nur bodenständig sind, und sie sind auch keine „Bauern“. Landwirte, glaube ich, würden sie sich nennen. Manche von ihnen. Dennoch, was ich an Münster so faszinierend finde, liegt so lange zurück, dass es schon einer gewissen Verklärung anheim gefallen ist. – Das gebe ich vorab zu.
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    Es war eine Jugendfreundin (oder doch besser: Kinderfreundin?). Ich war damals 15, glaube ich. Und das Mädel, das war 14, vielleicht. Kennen gelernt haben wir uns in Alsfeld, in einer Disco. Sie war damals auf Besuch dort. Und sie ist mir aufgefallen. Ihr blondes Puppengesichtchen wollte nicht so richtig zu ihrem sportlichen Outfit passen. Ein Mädchen mit 14 war damals noch sehr jung. Doch ihr Verstand ging eher in Richtung 17 oder 18. Irgendwie war sie an mir interessiert. Ich war mehr als interessiert. Meine Hormone, gewissermaßen. Sie muss ihren Eltern erzählt haben, dass sie da in dem fernen Alsfeld ihr ganz persönliches „Popidol“ kennengelernt hat. Ich hatte lange schwarze Locken und war gut gebaut. Überhaupt der Typ, auf den die jungen Mädels damals standen. Was machten die Eltern? Ach ja, sie lebten in Münster, vergaß ich zu sagen!
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    Anstatt der ganz sicherlich wohl behüteten Tochter dann diesen Kontakt zu verbieten, luden sie ihn ein. Zu sich nach Hause. Ferien auf dem Lande. Mal ganz anders. Für ganz Andere. Aber es waren keine „Bauern“. Es waren Städter. Wahre Bürger.
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    Gutbürgerlich. Ein geräumiges Haus. Jeder hatte sein Zimmer. Ich kam ins Gästezimmer. Nicht weit von der Angebeteten. Doch da gab es noch eine Schwester. Eine Ältere, auch so schlaksig wie blond – und klug. Sie übernahm die Aufgabe, auf die Kleine aufzupassen. Besser gesagt, auf die Zwei.
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    Es war eine tolle Zeit. Obwohl nichts passierte. Wir unternahmen viel. Nur das Eine nicht. Und auch die Stadt war ein schönes Erlebnis. Schon damals (es ist mehr als 40 Jahre her) fuhr man in Münster erheblich mehr Fahrrad als im Rest der Republik. Ich glaube damals schon gab es überall Fahrradwege. Die Stadt war gemütlich, aber nicht bieder. Auch die jungen Leute hatten ihren Platz. Eine Disco war mitten in der Stadt. Das Geschehen war integriert, nicht ausgelagert. Die Bürger kümmerten sich um ihre Kinder. Sie überließen sie nicht ihrem Schicksal. Ich glaube, das war es, was mich beeindruckte. Ich lebte damals schon mit halbem Fuß (und ganzem Kopf) in Frankfurt. Und da spielte mir das Schicksal längst eine andere Melodie zu.
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    Und bei dieser Gelegenheit fällt mir ein, dass es wohl kein Zufall sein wird, dass der (rings um Frankfurt) bekanntermaßen legendäre „Bischof von Limburg“ (Exbischof, denn jetzt im Ruhestand) ursprünglich aus Münster stammt.
    Auch er war (ist) so ein Bürger, der sich sorgt.

  4. Duroy sagt:

    Als westfälisches Urgestein...
    Als westfälisches Urgestein (ruhig, katholisch, stur und eigen) muss ich nur einmal kurz meckern, dass der Münsteraner an sich es nicht mag, wenn man “münsteraner Bürger“ sagt, sondern es sind münstersche Bürger, die die Münstersche Zeitung lesen…ich betone dies mit einem Schmunzeln (um nicht ganz so moros zu wirken wie der Kommentator “bulux“ dort ueber mir), da dieser Eigendünkel hinwiederum etwas sehr Westfälisches ist.
    Jedenfalls: mit den Skulpurenprojekten verbindet jeder so seine Befindlichkeit. Über die “Giant Pools Balls“ ist eigentlich schon andernorts alles Häßliche gesagt worden, dem ist nichts hinzuzufügen…Rickeys rotierende Quadrate sehen aus wie eine schaebige vergessene Waeschespinne aus Kreuzberger Hinterhöfen. Dahingegen diese Schilfgeschichte, die losen Türen in der Gegend und die Blumen als Märchenschwadronierer waren genial…die meisten Skulpturen, die nicht abmontiert wurden, wirken daher tatsächlich so: hinterlassen. Wie Sie es schreiben: plötzlich stolpert man allerorten über sie in einer Stadt, in der man das eigentlich so nicht erwarten würde.
    Genau, mal schauen, was 2017 so gehen wird…
    Mit diesem enthusiastischen Eintrag haben Sie mich Münster ein Bisschen vermissen gemacht. Danke dafuer…

  5. atemhaus sagt:

    Da mich mit Münster - ausser...
    Da mich mit Münster – ausser dem dortigen Tatort – rein gar nichts verbindet, hatte ich eine andere Assoziation. Der letzte Abschnitt ist eine schöne Aussage zur Aufgabe und Wirkung von Kunst. Aber irgendwie klang er auch so, als eigne er sich recht gut als Präambel eines Parteiprogramms. Man ersetze nur einmal „Skulpturen und Installationen“ durch den Namen einer Partei, am Besten einer, die noch nicht den Ballast einer langen Geschichte und festgelegter Strukturen mit sich schleppt …

  6. ThorHa sagt:

    „Man muss wieder von der...
    „Man muss wieder von der bloßen Kunst weg, hin zur Provokation“. Ich provoziere, also bin ich, Motto aller zweitklassigen Künstler. Wenn man die Leute noch weiter abstumpfen will, als bisher ohnehin schon erreicht. Die grösste Provokation heute wäre eine Anregung zu bewusstem, gründlichem Denken. Provokationslos. Provozieren kann jeder Trottel.
    Gruss,
    Thorsten Haupts

  7. muscat sagt:

    Die "Vorurteile" stimmen...
    Die „Vorurteile“ stimmen allesamt. Danke für diesen netten Text über meine geliebte Heimat. (Die Pool Balls am Aasee sind und bleiben nichtsdestotrotz grässlich, imo.)

  8. Fazotto sagt:

    Münster! Oh! Ja! Schön war...
    Münster! Oh! Ja! Schön war es dort. Damals nachts, im Schwarzen Schaf. Das war irgendwie auch Kunst. Ein Monolautsprecher und ein einzelner Plattenspieler. Die Nadel hüpfte auf der Stones-Scheibe, so heiß tanzten wir dort unten im Keller. Zeitgenössische Kunst vermutete ich bis soeben dort eher nicht. Die Menschen aus OWL sind mir vor allem als liebenswerte Sturköpfe in Erinnerung. Und die Landwirte erst. Ich wusste bei ihnen immer woran ich war. Sie mögen kein seichtes Geplänkel. Das ist doch auch Kunst! Die ostwestfälische Kunst der unverstellten Ansprache.
    2017? Wieso spricht man heute schon darüber? Kunst ist oft rätselhaft. Man sollte vielleicht mal den Bereich Miniskulpturen ins Leben rufen. Ist ja noch viel Zeit.
    Berliner Grüße
    M O Poschmann

  9. HansMeier555 sagt:

    Liebes Fräulein...
    Liebes Fräulein Weisband,
    .
    darf ich kurz ein paar Thesen dazwischenwerfen:
    .
    Münsteraner sind keine „Bauern“, sondern Stadtbürger seit 1170.
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    Ein Kunstwerk ist kein Fußballrowdy: Es provoziert wider Willen, nicht mutwillig.
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    Die Attitüde der ’73er Eliten: „Hilfe, wir haben ja noch gar keine moderne Antikunst, wir brauchen dringend welche!“ haben Sie vermutlich richtig wiedergegeben. Meiner Meinung ist genau diese Haltung der Inbegriff provinzieller Beschränktheit, irgendwas „auch haben“ zu müssen. Wie so Kleinkinder!
    Das war dieselbe Generation von Kommunalpolitikern, die historische Häuserzeilen abriß, um Platz für breite Schnellstraßen zu schaffen und sich am Anblick gräßlicher Hochhausviertel berauschte. Weil man das anderswo ja auch so machte! — Die moderne, (insbes. die abstrakte) Kunst war damals ein bequemes, billiges Mittel, die jüngste Vergangenheit beiseite zu schieben: Bilder, auf denen nichts zu sehen war, gefielen denjenigen, die niemals nichts gesehen haben wollten.
    .
    Die drei „Giant Balls“ sehen aus wie Flaschencontainer und verstellen den Blick auf See und Park.
    .
    Gehen Sie lieber mal in die Domschatzkammer, vielleicht überwinden Sie dann ihre unbegreifliche Bedürfnislosigkeit in Sachen Kunst.

  10. Devin08 sagt:

    Realität und...
    Realität und Wahrnehmung
    .
    @HansMeier555:
    Welche „73er-Elite“? Bei der „abstrakten Kunst“ würde ich zunächst mal unterschieden haben zwischen „abstrakt-abstrahierend“ und „abstrakt-gegenstandslos“. Mag sein, dass dann im Nachkriegsdeutschland – und nicht nur dort – gewisse Nie-Gesehen-Haben-Wollende hinter der Maske des Gegenstandslosen agierten. Doch so viel des Niveaus mag ich dort gar nicht erkennen. Wo doch das eigentlich Skandalöse daran war (ist), dass deren fehlende Einsicht so groß war (ist), dass sie sich hinter ihrer eigenen Masse verstecken konnten (können) – und das auch taten (tun). Mal ganz abgesehen davon, dass diese Kunstrichtung schon 1910 geboren ward, und das definitiv nicht in Deutschland. Franzosen, Russen, Engländer, das war die Avantgarde.
    Nein, die abstrakte Kunst ist schon eine besondere Perspektive auf die Gegenständlichkeit der äußeren Natur. Allerdings ist sie darin eher ein Zugeständnis an als die Leugnung von einer besonderen semantischen Beziehung eines geistigen Wesens zu eben dieser äußeren Natur. Den uralten Universalienstreit neu auflegend. Welches Bild machen wir uns eigentlich von dieser „Natur“? Haben wir die richtige Semantik von dieser? Unterscheiden wir wirklich zur Genüge zwischen „Realität“ und „Wahrnehmung“? Und so wie die Theorie in Bezug auf die Realität eine Abstraktion von eben derselbigen ist, so darf und muss auch die Kunst (als Nichttheorie) von ihrem Objekt abstrahieren. Erst so wird das Subjekt in Bewegung gesetzt, gewissermaßen synchron dann (und mit eigener Semantik) mit der Bewegung des Objektiven. Nur so kann Bewusstsein auch als falsches Bewusstsein erkannt und dem Gegenstand der (notwendig falschen) Betrachtung gegen gehalten werden. Die ganze hegelsche und auch marxsche Dialektik kann überhaupt nur so verstanden werden.

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