Salon Skurril

Die Illustration des Grauens

Im Fantasy-Bereich kommt man häufig in die Verlegenheit, „das Grauen“ illustrieren zu müssen. Wenn man Aufträge für Cover oder für Buchillustrationen der Bösewichte bekommt. Man zeichnet Monstren in dunklen Farben, mit Tentakeln oder leuchtenden Augen. Man arbeitet mit undeutlichen Kontrasten, riesenhaften Proportionen, harten Linien. Das ist fröhliches Spiel, wenn man es in bestimmtem Kontext sieht.
Aber wie will man wirkliches Grauen illustrieren, das Schlimmste, das der Menschheit wirklich real passieren kann? Wie drückt man echtes, weltliches Leid in einer Bleistiftzeichnung aus?

 

Ich hatte den Poeten über sein Blog kennen gelernt. Mein Blog war gerade erst richtig angelaufen und ich verlinkte ihn, weil ich seine Poesie gern las. Wir tauschten uns in unseren gegenseitigen Kommentaren aus. Er konnte besser schreiben, als ich. Ich konnte besser zeichnen, als er. Insofern war es für mich eine sehr schöne Fügung, als er erwähnte, dass er bald einen Gedichtband verlegt und ob ich diesen nicht illustrieren wolle. Es war mein erster ernst zu nehmender Auftrag. Zugegeben, ich wurde nicht mit Geld bezahlt, sondern in einigen Druckexemplaren. Doch immerhin erschien mein Foto, so wie mein Name in dem Druckwerk. (Sigmar Erics – „Jugendblütenlese“, Shaker Media, 2008)

 

Es handelte sich dabei um eine Anthologie mit 50 Texten aus seinem Jugendwerk, die nach Jahren sortiert waren. Zu jedem Jahr wünschte er sich eine Illustration. Der verschiedene Ton der Texte erlaubte es mir, viele verschiedene Motive, sogar Stile zu verwenden. Die Arbeit hat mir Spaß gemacht. Der harte Kern, auf den ich beißen musste, war aber ein im Jahr 2001 entstandener Gedichtzyklus mit dem Namen „Auschwitz-Birkenau“ (den er als „Epigramm-Sequenz“ bezeichnet). Darin begeht er eine Strecke des ehemaligen Vernichtungslagers, dokumentiert die einzelnen Stationen jeweils mit einem selbst geschossenen Foto und einem fünfzeiligen Text. Auch für dieses Werk brauchte er eine ganzseitige Illustration. Und da fing meine Arbeit erst wirklich an.

Wie stelle ich Auschwitz in einem Bild dar? Die Anlage selbst ist ein schwaches Bild, technisch und selbst ausdruckslos. Erst die Assoziation mit dem Menschlichen ist es ja, was uns das Grauen einjagt. Und dann darf man ja nicht bei Auschwitz bleiben, wenn man Auschwitz zeichnet. Es ist alles, was daran hängt, von einer vielfältigen Gesellschaft bis hin zum Tod so furchtbar Vieler. Denn das muss ja schließlich eine Illustration leisten – sie muss zumindest die Ahnung des Gefühls erzeugen, das der Situation angemessen ist. Stelle ich eine Menschenmenge dar? Kann man diese Zahl zeichnen? Irgendwie? Nein, eine solche Zahl kann man weder begreifen, noch zeichnen. Für Gefühle ist es uns Menschen eigen, dass sie immer noch am ehrlichsten sind, wenn wir uns Einzelne ansehen. Einzelne also. Aber wen, oder was? Zeichne ich den Hunger und die Krankheit? Diese Bilder, mit deren Aufnahmen wir oft konfrontiert werden, von diesen menschlich anmutenden Leibern? Wiederhole ich die? Kann ich so etwas überhaupt? Ein alter Lehrspruch lautet, dass man immer mit dem arbeiten soll, was man selbst kennt. Ich dachte nach, was ich kenne. Was in mir eine Beklommenheit auslöst, die dem Thema auch nur annähernd gerecht würde. An welchen Menschen kann ich auf der Straße nicht einfach vorbei gehen? Bei jedem ausgehungerten Mann, wenn wir ihn zum Beispiel auf der Straße sitzen sehen, fragt sich ein Teil unseres Gehirns trotzdem ganz heimlich, wie viel Schuld er selbst an seiner Misere trägt. Diese völlige Hilflosigkeit, die Unverschuldetheit, die Angst und das gleichzeitige Unverständnis fand ich für mich nur in einem Bild wieder – eine Mutter mit einem Kind.

Eine Mutter mit einem Kind in einer schwierigen Lage ist eine der misslichsten Gestalten, die sich mein Gehirn ausdenken kann. Sie versteht ihre Situation selbst nur halb; wenig genug, um Angst zu haben, aber genug, um die Angst noch größer werden zu lassen. Sie ist selbst wie ein kleines, geängstigtes Kind. Aber gleichzeitig hat sie ihr Kind bei sich und das verlässt sich auf sie. Während sie Angst durchlebt, muss sie gleichzeitig ein Fels in der Brandung für ihr Kind sein. Sie muss die Starke sein, sie muss trösten, sie muss wissen, was zu tun ist. Schließlich ist sie die Mutter. Und sie würde ihr Leben dafür hergeben, etwas zu beschützen, das sie so rein und bedingungslos liebt, wie selten ein Mensch den anderen liebt. Das Kind hingegen lebt in gnädigem Unverständnis. Es fühlt sich nicht wohl, es hat auch Angst, es weint vielleicht und erwartet, getröstet zu werden. Es weiß, dass alles gut wird, solange Mama nur da ist. Bis sein Vertrauen enttäuscht wird.

Ich habe mich selbst beobachtet und gemerkt, dass es dieses Bild war, das mich immer am meisten verstört hat. Ob bei Fernsehberichten über Naturkatastrophen über Unfälle, ob beim Lesen von Geschichtsbüchern, ob bei dem Gedanken an meine eigene Mutter, die mit nichts als zwei Koffern und zwei kleinen Kindern in ein ihr völlig fremdes Land auswanderte und ganz allein dort auf dem riesigen Frankfurter Flughafen stand. Wenn ich versuchte, einem so schwierigen Thema der Geschichte eines seiner Denkmäler zu konstruieren, erschien es mir nur sinnvoll und angemessen, dieses Bild zu verwenden.
Ich machte mehrere Entwürfe, die letztendliche Version wurde dann aber das hier:

 

In einer wenig definierten Umgebung geht eine von irgendwas aufgebrachte Frau auf einer Straße. Ihr Mund ist vom Weinen verzogen, sie sieht sich um. Auf einem Arm trägt sie ein etwa drei Jahre altes Kind, im anderen Arm einen geknüllten Mantel. Das ist alles, was mir einfiel. Es ist ein letztes Aufflackern der lebendigen Szenerie, ehe die unbelebten, modernen Fotos von Sigmar folgen, die nur noch den Ort einer einst gewesenen Erinnerung zeigen. Ich wollte dem Betrachter aber noch einmal das Leben unbedingt vor Augen führen.

Erstmals groß öffentlich gezeigt habe ich dieses Bild bei einer Ausstellung in Mülheim an der Ruhr. Ich habe auf der Vernissage viele interessante Kommentare bekommen. Eine Dame in den mittleren Jahren hat etwas traurig gelacht. „Der Junge sieht so aus“, kommentierte sie: „wie ein dickes, verzogenes Kind, das jetzt denkt ‚Was ist denn nun los? Gerade wurde ich noch gefüttert und jetzt trägt man mich irgendwo hin… Ich fürchte, baden.“

Ich weiß nicht, ob ich die vor mich gestellte Aufgabe letztlich gut erfüllt habe. Oder ob sie zu erfüllen ist. Oder ob das wenigstens ein Mosaikstück ist. Die Aufgabe, die ich hinter solchen Werken sehe, ist das In-Relation-Stellen aller Wahrnehmung und aller Ereignisse. Der Einblick in eine Geschichte, die wir immer noch zu begreifen versuchen. Ein Mahnmal. Ein Vorstoß in das Menschliche hinter den historischen Etiketten von Volks-, Religions- und Zeitzugehörigkeit. Denn Mütter gab es schon immer und in allen Teilen dieser Welt. Und ihre Liebe zu ihren Kindern gibt es in allen Teilen dieser Welt. Und überall und immer muss sie beschützt werden, weil sie mit das Wertvollste ist, das die Menschheit besitzt.

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