Lassen Sie mich Ihnen, werte Leser, eine Geschichte erzählen.
Ende der 70er Jahre bauten meine Eltern ein Haus. Es hatte einen hübschen Garten und einen kleinen Teich, eine umfangreiche Terrasse und grosse Glasflächen, und hellbraune, damals sehr moderne Fliessen in Räumen und Gängen. Die Fliessen waren neutral, damit die Perserteppiche darauf um so besser zur Geltung kommen konnten. Ein schönes Haus ohne Perserteppiche war damals – und ist es für mich bis heute – nicht vorstellbar.
Das Haus wurde in die iranische Revolution hinein gebaut, und als meine Eltern den freundlichen, als Händler alt eingesessenen Perser zu sich einluden, und der freundliche Herr einen Teppich nach dem anderen auf den braunen Fliessen zur Begutachtung auslegte, war Khomeini schon an der Macht. Wir Kinder durften bei der Entscheidung ein klein wenig mitreden, und weil die 70er Jahre sehr farbenfroh waren, blieben einige Teppiche im Haus, die sehr bunt und psychodelisch waren. In jenen Tagen waren diese Exemplare sehr teuer, aber als Kind hat man davon keinen Begriff, mit zwei Mark Taschengeld plus Buchflatrate pro Woche sind 5000, 6000 und 8000 Mark völlig irreale Preise. Als dann die Auswahl getroffen und die Gesamtsumme doch recht hoch war, machte der Händler meinen Eltern ein Angebot: Wenn sie ihnen nach ein, zwei Jahren nicht mehr gefallen würden, würde er sie zum gleichen Preis zurücknehmen. Denn bald werde es diese Teppiche nicht mehr geben.
Er hatte Recht: Die iranische Revolution führte zu einem Niedergang der persichen Teppichkultur, viele Hersteller wanderten aus, und andere Nationen wie Indien, Pakistan oder Ägypten übernahmen die Muster, ohne die Qualität der Originale zu erreichen. Deren Preise schossen aufgrund des verschwindenden Angebots in den frühen 80er Jahren in die Höhe, und über den Teppichen zeigte das TV-Gerät die Botschaftsbesetzung im Iran, den Krieg gegen den Irak, fanatisierte Menschen und all das Elend der arabischen Welt, so unendlich fern von den eingewebten Paradiesgärten auf jenem Teppich, den die Katzen klar bevorzugten, wenn sie gestreichelt werden wollten.
Nach all den Kriegen, Bürgerkriegen, Massakern, Staatsstreichen, Diktatoren, dem Ölembargo und den Attentaten, den Flugzeugentführungen und bestialischen Grausamkeiten war die islamische Revolution so etwas wie der Endpunkt des grossen Missverständnisses der europäischen Orientliebe. Goethe konnte unbeeindruckt von der Realität dem Dichter Hafiz im west-östlichen Diwan huldigen, Hollywood konnte Errol Flynn ohne Bedenken in einem Pappbagdad sein Glück finden lassen – das TV-Gerät in den Wohnstuben zeigte zu lange, zu deutlich, dass es dort, durchaus auch aufgrund westlicher Machtpolitik und Wirtschaftsinteressen, ganz anders war. Noch zehn Jahre sollte es dauern, bis der Kalte Krieg zu Ende war, aber der neue Krieg gegen den Terror, der seit 2003 heiss geworden ist, war in jener Zeit schon im Entstehen begriffen.
2010 war in Deutschland ein Buch der absolute Bestseller, das sich umfassend mit der Bedrohung dieses Landes durch Zuwanderer aus der islamischen Welt beschäftigte, ein Buch, das noch einmal auch schlimmste westliche Vorbehalte gegen diese Anderen in sich trug. Kurz vor Weihnachten gingen Terrorwarnungen durch die Medien. 2011 erschüttern dann Revolutionen die islamische Welt, aber die Revolutionäre verlangen weder den Tod für Amerika noch die Vernichtung Israels, sie wollen Europa nicht erobern und das Christentum unterjochen, keiner von denen will uns mit Bomben bewerfen – sie wollen einfach nur ihre korrupten Herrscher loswerden, Demokratie, Gerechtigkeit, ein Ende von Korruption und Unterdrückung. Dieses Verlangen betrifft unsere hochverehrten und lupenrein demokratischen Freunde des Westens in Ägypten und Tunesien mit ihrer Offenheit für neoliberales Wirtschaften und gute, alte Folter nicht weniger als die anderen, uns weniger genehmen Diktatoren im Sudan, Jemen und Syrien. Und so stellt sich mir 30 Jahre nach dem Teppichkauf durchaus die Frage:
Haben wir da etwas übersehen?
Sind die vielleicht gar nicht so, wie es in diesem Bestseller und den Propgandabüchern des Krieges gegen den Terror beschrieben wird? Gibt es dort eine Kultur und einen gesellschaftlichen Wandel, den man bislang übersehen hat? Warum stehen amerikanische Botschafter, Islamisten und wir leider auch gerade offenen Mundes am Strassenrand, wenn die bei Facebook verabredeten Jugendlichen vorbeiziehen? Wo ist das Einigende, von dem Goethe geträumt hat? Gern, zu gern würde man das ausgestreckt auf einem Perserteppich Abende für Abende besprechen, aber es sind Zeiten der Revolution und des Aufstandes, so schnell kommen die Nachrichten durch Glasfasernetze, zu atemlos treiben uns die Ereignisse vor sich her. Zudem sind meine Perserteppiche nicht gross genug für Sie alle, werte Leser.
Ich darf Ihnen deshalb dieses kleine FAZ-Blog als einen Führer der Unschlüssigen in den Weiten der Nachrichtenwüsten anbieten, in dem wir einfach ein wenig sammeln und ordnen, was dazu an Meinungen, Entwicklungen und Überlegungen kluger Menschen im Netz zu finden ist. Wir wollen hören, was die Menschen zu sagen haben, Debatten darstellen, und Sie sind natürlich herzlich dazu eingeladen, in den Kommentaren zu reden und interessante Links zur Thema niederzulegen. Aufgrund der Ereignisse werden wir das am Anfang täglich tun und, wenn hoffentlich alles gut ausgegangen ist, später der Hektik entsagen und normale Geschichten erzählen. Wer „wir“ sein werden, weiss ich auch noch nicht genau, man wird sehen, wir haben Zeit, ich hoffe, andere werden davon mehr als ich verstehen, ich bin nur neugierig und mache die Tür auf, das hier ist ein offenes Gebäude, treten Sie ein, setzen Sie sich auf das west-östliche Sofa, es ist Ihr Haus.
Lieber Don,
das verspricht ja...
Lieber Don,
das verspricht ja interessant zu werden. Ich freue mich darauf und komme sicher gerne gelegentlich auf einen Minz-Tee vorbei. Oder einen Kardamom-Kaffee.
Beste Grüße
B
oh da passt der link aber noch...
oh da passt der link aber noch besser:
https://www.foreignaffairs.com/articles/40456/john-c-campell/the-mantle-of-the-prophet-religion-and-politics-in-iran
auch gut (und trotzdem billig) sind (die hefte) von cibedo – eine von der dt. bishcofskonferenz gesponsorte stelle –
https://www.cibedo.de/
Die hefte sind gut lesbar, billig s.o., und sie freuen sich über jeden abonnenten
Don Alphonso übernimmt die...
Don Alphonso übernimmt die FAZ. Das wäre doch mal ein Spaß.
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Hatte ich bereits vor ca. einem Jahr an anderer Stelle zitiert, aber ich finde, es passt auch hier:
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Ob das Glück Euch lächelt oder nicht,
ob die Tage glücklich oder unglücklich sind,
Eure Leben sind ein stetiger Austausch,
es gibt keine Freude und keinen Schmerz,
die Euch nicht Gelegenheit wären, Eure
Ehrlichkeit zu beweisen, Eure Bande zu
verstärken und einander Halt zu geben.
(Abu Hayyan Al-Tawhidi, 10. Jht.)
Nix da. Noch eine...
Nix da. Noch eine selbstgeschnitzte Ruderbank auf der Galeere.
Großartige Idee!
Meine...
Großartige Idee!
Meine Kenntnisse dieser Gegenden wurden vornehmlich von Karl May geprägt und nicht von Teppichen oder ihren Händlern, deswegen kann ein fruchtbares Gespräch und die Einordnung, die andere vielleicht nicht vornehmen, nur von Nutzen sein.
Alles schön und gut, DA, doch...
Alles schön und gut, DA, doch wer unter uns im Osten gelebt resp. gearbeitet hat, oder sogar mit einem Auslander/einer Ausländerin im Osten veheiratet ist oder war?
P.S. Boooster. When you are sitting on DA’s sofa drinking a coffee, remember „the evil eye“ and don’t say „Oh, these coffee cups are beautiful“ because then DA will have to wrap yours up and give it to you – the evil eye (ENVY) scenario…. in Greece for example, at all social levels.
Nein, WIR haben nichts...
Nein, WIR haben nichts übersehen und auch unsere „ach so voraussehende“ Regierung hat nichts übersehen. Sofern diese allerding eine diffuse Angst schüren kann, um eine Einführung von Vorratsdatenspeicherung, Videoüberwachung etc. gegenüber ihrer eigenen Bevölkerung durchzusetzen, wird Sie alles Wissen dahingehend redigieren. Das war schon immer so und wird auch immer so bleiben.
In Rom waren es die Christen, auf die man alles schieben konnte, später die Moslems, die man mit Kreuzzügen überziehen konnte, später die Juden und jetzt sind es wieder die Moslems. Es ist doch so einfach von Einzeltätern/-gruppen auf die Allgemeinheit zu schliessen. Mich wundert nur, dass man von den Tatender RAF nie auf den ganzen deutschsprachigen Raum geschlossen hat.
Die abgestellte...
Die abgestellte Hungersnot
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Als im Lande Hungersnot war,
Und dem König ward berichtet,
In des Reiches reichsten Städten
Stürben viele Arme Hungers;
Höret, welche rasche Auskunft,
Welche Abhilf kurz und bündig
Peros traf, der Perserkönig.
Eigenhändig schrieb er einen
Brief an jede Stadt im reiche,
Dieses Inhalts: Wo ein Armer
Hungers stirbt in euren Mauern,
Werd’ ich für den Armen einen
Reichen nehmen, und im Kerker
Auch ihn Hungers sterben lassen.
Niemand starb im Lande Hungers,
Und die Reichen selber brauchten
Nicht zu hungern, mit den Armen
Nur den Überfluss zu teilen.
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(Friedrich Rückert)
Werter Don, eine feine Idee...
Werter Don, eine feine Idee dieser Blog aus aktuellem Anlasse.
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Mich erinnert das aktuelle Geschehen jedenfalls an die aus dem Geschichtsunterricht bekannten Umstände, die zu der Revolution in Frankreich – Georg Büchner brachte das dann mit „Friede den Hütten! Krieg den Pallästen!“ auf den Punkt – und später auch in Russland führten.
Dank an den...
Dank an den Türöffner.
https://www.heise.de/tr/blog/artikel/Der-digitale-Katalysator-1182006.html