West-östliches Sofa

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Kreuzritter gegen die Türken vor Wien in Tripolis

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Mögen sie schon vor 600 Jahren ausgestorben sein: Als Propagandamittel taugen die Kreuzritter in der arabischen Welt bis heute. Diktatoren, Terroristen und lupenreine Demokraten setzen sich mit diesem Begriff vom Westen ab, sie geben sich populistisch und negieren historische Fakten. Wie gut, dass der Westen da ganz anders denkt.

Die Unwissenheit wird verschwinden, wenn alles so gezeigt wird, wie es ist, und wenn Wissen für alle Menschen in einer Form verfügbar ist, die ihnen entspricht.
Muammar al-Gaddafi, Die soziale Basis der dritten Universaltheorie

Die Kenntnis um die exzentrische, um nicht zu sagen ausgefallene Natur des libyschen Revolutionsführers Gaddafi war stets eine der leichteren Lehren der internationalen Diplomatie. Mag man seinen Pomp mit Fantasieuniformen, Beduinenzelt, Leibwächterinnen und ausgefallener Herrenmode auch verlacht haben, so war dieser Gaddafi immer noch ein angenehmerer Gesprächspartner als der Gaddafi der 80er Jahre mit seiner Unterstützung für Krieg und Terror. Mitunter schien es, als habe sich der Irrsinn des „verrückten Hundes“, um Ronald Reagan zu zitieren, im Laufe der Jahre aufgelöst, sich ausgewaschen und ein clowneskes Äusseres hinterlassen: Anstrengend, aber eigentlich harmlos und sogar bereit, dem Westen Bunga Bunga statt Angst und Schrecken zu lehren.

Bild zu: Kreuzritter gegen die Türken vor Wien in Tripolis

Nun, im Krieg ist das alles wieder anders, oder besser, es wird offensichtlich, dass es wohl doch nicht so anders war. Man hätte das schon früher bemerken können, so etwa im Falle des Aufrufes zum heiligen Krieg gegen die Schweiz 2009, oder des Aufrufes zur Islamisierung Europas, oder sein energisches und oft wiederholtes Verlangen, Europa sollte sich endlich für die Verbrecher der Kreuzritter im hohen und späten Mittelalter entschuldigen. Dass er das nicht zum Spass forderte, zeigt sich jetzt, da er die gegen ihn gerichtete Allianz erneut als Kreuzfahrer bezeichnet. Womit er sich, nebenbei gesagt, in eine längere Tradition von ebenfalls nur begrenzt zurechnungsfähigen Leuten stellt, die sich gleichlautend äusserten: Osama Bin Laden, Saddam Hussein, Muslimbrüder, Islamischer Dschihad, Hisbollah, Achmadinejad – seit dem ägyptischen Präsidenten Nasser, der damit seinem Panarabismus eine historisch begründete Abgrenzung gegen den Westen gab, ist das Kreuzritterstereotyp äusserst beliebt, wenn es um westliche Einmischungen in die Belange der arabischen Welt geht.

In der westlichen Welt hält man solche Aussagen für einen weiteren Beweis der geistigen Instabilität dieser Leute, und auch, wenn sie von lupenreinen Demokraten wie Putin ausgestossen werden, werden sie nicht historisch richtiger. Die Kreuzzüge von 1096 bis 1396 sind nun doch schon ein Weilchen her, Europa hat sich seitdem erheblich gewandelt, und die letzten Versuche solcher Unternehmungen stellten die Päpste im 17. Jahrhundert ein. Bei militärischen Konflikten spielt die Religion keine Rolle mehr; die ganze Geisteswelt, aus der Kreuzzugsideale entsprangen, ist längst vergessen. Man übersieht dabei leicht die Bedeutung der Kreuzzüge im kollektiven Bewusstsein vieler Araber: In deren Vorstellung versuchte sich das Christentum einer der heiligsten Stätten des Islam zu bemächtigen, und scheiterte nach hartem Kampf auf ganzer Linie. Aus islamischer Sicht ist das Zurückdrängen der Kreuzfahrer ein perfekter Sieg in einem gerechten Krieg, den die anderen angezettelt haben. So unschick es heute in Europa wäre, sich politisch als Kreuzfahrer zu profilieren, so beliebt ist es im Orient, sich an diese grosse Stunde zu erinnern.

Bild zu: Kreuzritter gegen die Türken vor Wien in Tripolis

Gaddafi ist also nur durchgeknallt, wenn man ihn bei solchen Aussagen aus westlicher Sicht beurteilt; in seiner Welt mag es vielleicht überzogene Propaganda sein, aber durchaus auch im Rahmen der populären Geschichtsschreibung. Der aufgeklärte Westen dagegen würde niemals derartig geschichtsklitternde Vergleiche aus längst vergangenen Epochen bemühen, sondern das Kreuzfahrertum quellenbasiert als jene Zeiterscheinung erklären, die sie gewesen ist: Bedauerlich, aber für unser heutiges Zusammenleben vollkommen irrelevant.

Wirklich.

Das heisst natürlich nicht, dass der Westen nicht auch noch eine Kleinigkeit im kulturellen Dialog anzubringen hätte. Anno 1683 nämlich wagten es die Türken, vor Wien zu erscheinen, mit dem Ziel, die Stadt zu erobern. Gut, also, genau betrachtet stimmt das nicht ganz, die Türkenbelagerung war eine Eigenmächtigkeit eines renitenten Kommandanten, der die Sache mit der Hohen Pforte nicht abgesprochen hatte, und müsste deshalb vielleicht eher „ein übereifriger Türkengeneral und seine Armee ohne Erlaubnis vor Wien“ heissen, aber das ist nicht so griffig wie „Die Türken vor Wien“. Ein übereifriger Türkengeneral und seine Armee ohne Erlaubnis vor Wien, daraus könnte man ebenso schlecht die Schicksalsstunde des Abendlandes machen, wie man aus „schlecht ausgerüstete Fanatiker suchen in eine drittklassigen Provinz heilige Stätten und finden Hitzschlag und neue Krankheiten“ die Schicksalsstunde der arabischen Welt machen kann.

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Dergestalt verkürzt, sind die Türken vor Wien ein erstklassiges Schlagwort im Westen, und niemand gilt hier als durchgeknallt a la Gaddafi, wenn er sagt: „Schon der Kampf gegen die Türken vor Wien fand statt, damit das Christentum konstitutiver Teil Europas bleibt.“ Das ist zwar noch ein wenig fälscher – der Konflikt entsprang dem Unwillen der Habsburger, einen Friedensvertrag mit dem Sultan zu verlängern, den sie in Erwartung des Konfliktes durch einen Militärpakt mit Deutschen und Polen ersetzten. Aber die simple Deutung passte dem CSU-Bundestagsabgeordneten Uhl nur zu gut ins Konzept, als vor zwei Wochen die Leitkultur- und Islamdebatte wieder hochzukochen drohte. Wir wollen um Gottes Willen keine Tradition zu den Kreuzfahrern und ihrer Aggression, die uns der irre Hund Gaddafi unterstellt. Aber wir sehen uns ganz selbstverständlich in der Tradition armer, überfallener Opfer im Wiener Balkan, die sich gegen Bestien behaupten und ihre Religion retten.

Die Türken vor Wien, die passen dem Uhl und islamophoben Blogs – eines heisst dann auch so, Gates of Vienna – bestens in die Argumentation, der Türkenbezwinger Sobieski wird von Geert Wilders verehrt, und wenn ein Fussballländerspiel gegen die Türkei ansteht, entblödet sich ein gewisser Medienkonzern in Deutschland auch nicht, hier noch geschichtliche Vergleiche zu ziehen. Die Türken vor Wien, das passt. Die Geschichte ist zu schön. Besonders, wenn man sie nicht weiter denkt. Nach der Belagerung gingen die christlichen Mächte in die Offensive und brannten Sarajevo und Belgrad unter brutalen Massakern nieder. Das waren glanzvolle Siege, die seinerzeit die Bewunderung ganz Europas (ausser bei den mit dem Sultan verbündeten Franzosen) hervorriefen. Aber dennoch, das ist eine der christlich-abendländischen Traditionen, die man bei uns ebenso gerne erwähnt, wie Gaddafi seine militärische Niederlage im Tschad.

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Ungeachtet dessen nennen wir trotzdem niemanden verrückt, der an die glorreichen Zeiten von 1683 erinnert. Allenfalls Akademiker werden vielleicht nachdenklich die Stirn runzeln, und Volkskundler könnten schöne Beiträge über Mythenbildung und ihre ungebrochene Effektivität im populärpolitischen Unterholz schreiben. Aber die anderen, die verstehen. Damals, als wir die anderen aus Akko und Klosterneuburg rausgeworfen haben. Damals, als wir ganz gross waren, unter Saladin und dem blauen Kurfürsten und Türkenkrieger Max Emanuel, wir Araber, wir Europäer. Verrückte Hunde? Die sind nur bei den anderen.

Soviel zur Kultur von Kampfbegriffen in Zeiten des Krieges.


117 Lesermeinungen

  1. donalphonso sagt:

    Die netten Herren auf den...
    Die netten Herren auf den Bildern stammen übrigens aus Venezien, genauer, aus Vicenza, wo man mit Irren aus dem Orient und Okzident gleichermassen Erfahrung hatte.

  2. sterne sagt:

    Lieber Don, die Bedeutung der...
    Lieber Don, die Bedeutung der Kreuzzüge im kollektiven Bewusstsein vieler Araber ist relativ neu. sie stammt aus der Mitte des 20. Jh., zuvor waren die Kreuzzüge in der arabischen Welt vergessen. Besondere Bedeutung hatten sie nie. Zu Zeiten der Kreuzzüge war Jerusalem auch noch keine Hl. Stätte des Islam, sondern ein Provinznest, das man nach der Eroberung

  3. sterne sagt:

    sorry...
    ...nach der Eroberung...

    sorry…
    …nach der Eroberung gerne den Christen beließ, der Betriebskosten wegen.
    .
    Vergessen ist bei Muslimen wie auch vielen Nichtmuslimen, dass die Kreuzzüge nicht aus dem Nichts kamen, sondern Folge waren einiger Entwicklungen in Jerusalem: Die islamischen Herren hatten
    – das Pilgern von Christen nach Jerusalem untersagt (und den Christen war Jerusalem tatsächlich heilig)
    – die christlichen Einwohner Jerusalems getötet
    – die christlichen Kirchen geschleift – nicht bis auf die Grundmauern, sondern diese gleich mit, damit man nichts mehr finden möge, was nur an ihren Ort erinnerte.
    Man frage sich, wie Muslime reagieren würden, geschähe das ihnen in und mit Mekka. Die christliche Reaktion war damals (damals!) keineswegs überzogen. (Übrigens auch nicht aus Sicht der Muslime damals, die damals (!) nicht behaupteten, die Versuche der Christen, den Pilgerort wieder zugänglich zu machen, sei ungehörig.)

  4. Reinhard sagt:

    Ach, Fakten. Gar historische...
    Ach, Fakten. Gar historische Fakten. Gut zu wissen und immer gut anzubringen, wenn der Gegenüber sich dementsprechend ereifern mag, aber ganz ehrlich … Fakten? Was will der Fanatiker hüben wie drüben mit Fakten? Ich habe immer noch kein probates Mittel, um diesen Leuten verbal das eigene Wort so mit Schwung ins perfide Drecksmaul zurückzustopfen, dass Teile davon eines Tages vielleicht im Verstand landen …

  5. @Don
    Danke, sehr schöner...

    @Don
    Danke, sehr schöner Artikel.

  6. colorcraze sagt:

    Ganz hübsch, diese...
    Ganz hübsch, diese Gegenüberstellung. Was Gaddafis Opposition betrifft: daß deren Begeisterung über das Zerdeppern von Gaddafis Strukturen qua „Westmächten“ anhält, bezweifle ich sehr.

  7. Jeeves sagt:

    Ja, Fakten. Man lernt nie aus....
    Ja, Fakten. Man lernt nie aus. Dafür mein Dank an den Don und sterne.

  8. donalphonso sagt:

    Sterne, ichz habe keine...
    Sterne, ichz habe keine Ahnung, woher Sie dieses „Wissen“ haben, aber das ist definitiv falsch: Wie bitte hätte denn die Besatzung von Jerusalem die römisch-christlichen Bewohner vor der Belagerung aus der Stadt treiben sollen, wenn sie sie umgebracht hätten? Oder sollte Fulcher von Chartres, der das vermerkt, etwa ein Lügner zugunsten der Muslime sein?
    .
    Die Legende der Zerstörung der Kirchen geht auf die Zerstörung der Grabeskirche im Jahr 1009 zurück, was beim ersten Kreuzzug schon fast 90 Jahre zurück lag. Und selbst das muss man im Kontext der Verwaltungsreform unterr Al-Hakim bi-amri ʾllah sehen. Dem Herrn ging es dabei nur um die Staatsfinanzen, alles andere ist nachgeschobene Legende. 1055 stand die Grabeskirche schon wieder – das war 40 Jahre vor dem ersten Kreuzug.
    .
    Was die Pilgerprobleme angeht, so sind das Übertreibungen der Zeit von Gesandten aus Byzanz.

  9. Sie zielen da natürlich auf...
    Sie zielen da natürlich auf die innerdeutschen Äußerungen der letzten Zeit, verehrter Don, die mich ja nicht interessieren. Gewiß, auch bei uns nennen sich die Kommentatoren in diversen Foren gerne Sobieski; aber so richtig antimuslimisch sind die Byzantiner, Bosnien WK2 und Bosnien immer noch und
    etwa auch Bulgarien, wo erste Vertreter eines muslimischen Revival auf der Gefängnisinsel landeten.

  10. Tillmann sagt:

    Ist es nicht erstaunlich, wie...
    Ist es nicht erstaunlich, wie ein paar Tausend zornige Rebellen im längst vergessenen und ignorierten Nordafrika, nur mit Turnschuhen und Mistgabeln bewaffnet, die honorige Weltbühne mitsamt ihrer weltbekannten Macht-Darsteller ins Wanken bringen…?
    .
    Ist diese Weltbühne der Mächtigen tatsächlich so ordinär wie das Stück aus dem Bauerntheater, das derzeit aufgeführt wird…?
    Wen wundern da noch Weltfinanzkrisen und die hemmungslose Verdummbeutelung ganzer Regierungen – und deren Steuerzahler sowieso – durch nicht minder dummdreiste Bänker…?
    Da steht die Macht der Mächtigen nun da wie ein wankendes Kartenhaus. Fragiler als Japan bei Erdbeben und Tsunamis; ein paar Aufständische in Arabien sind ja in der Tat keine Naturgewalt.
    .
    Putin den Mächtigen haben Sie schon zitiert. Auch der scheint Mistgabeln mehr zu fürchten als Bänker und Tschernobyl.
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    George Dabbeljuh den Mächtigen haben Sie aber vergessen. Nicht nur seinen Kreuzzug gegen das Reich des Teufels im Land der Ölquellen.
    Seine Republikaner schlagen jetzt hysterisch die Alarmglocken ob der Militärhilfe für die Mistgabeln in Arabien. Frei übersetzt: Der mächtigste Kleptokraten-Clan der Welt, Bush-Saudi & Co., hat plötzlich Angst vor den Ärmsten der Armen…
    .
    Man darf wirklich gespannt sein, was uns in diesem Jahr noch alles erstaunen wird (von Wahlergebnissen in Sachsen-Anhalt mal abgesehen; aber das liegt ja nicht auf diesem Globus).

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