Der Prozess ist vorbei, das Urteil gesprochen. Aber die Debatte geht unvermindert weiter. Auch im sonntagmorgendlichen Fernsehtalk. Über die Folgen des Freispruchs von George Zimmerman, dem bewaffneten Angehörigen einer Bürgerwehr, der den unbewaffneten Teenager Trayvon Martin während einer weiterhin undurchsichtigen Auseinandersetzung erschoss, wird von „Meet the Press“ bis „Face the Nation“ und „This Week“ nachgedacht. George Stephanopoulos, Moderator von „This Week“, fragt unverblümt, ob Trayvon Martin sterben musste, weil er schwarz war, und ob George Zimmerman freigesprochen wurde, weil er nicht schwarz war.
Vor allem erzkonservative Meinungsmacher sind sich einig, dass an dem Fall keinerlei Spur von Rassismus zu erkennen ist. Pierre Thomas, der schwarze Gerichtskorrespondent der Fernsehgesellschaft ABC, erklärt dagegen nun, dass schwarze Amerikaner nichts anderes als Rassismus darin sehen. Umso überraschender, wie freundlich die Debatte im Fernsehstudio verläuft. Es könnte fast scheinen, als sei jeder Teilnehmer eifrig darum bemüht, möglichst positive Elemente aufzuspüren. Van Jones, ehemals in Diensten der Regierung Obama und jetzt für CNN aktiv, freut sich, dass die Hunderte von Demonstrationen in vielen amerikanischen Städten weitgehend friedlich verliefen. Ja, es müsse sich etwas ändern, aber Jones glaubt auch, dass die schlimme Sache viel Gutes bewirken könne. Cokie Roberts, altgediente Beobachterin der Washingtoner Szene, gibt sich ähnlich verheißungsvoll: „Wir sind weniger getrennt, als wir es waren.“
Das mag sogar stimmen, wenn es lediglich um das Verhältnis von Schwarzen und Weißen geht. Wo über „race“ diskutiert wird, kommt immer öfter aber auch „class“ ins Spiel. Matthew Dowd, bei ABC News für politische Zeitanalysen zuständig, sorgt sich um den Klassenaspekt mehr als um die Rassenfrage. Genauso klingt das in „Meet the Press“, wenn sich David Brooks, der moderat konservative Kommentator der „New York Timnes“, und Marc Morial, der Präsident der National Urban League und ehemalige Bürgermeister von New Orleans, zu Wort melden.
Die seit Jahren größer werdende Kluft zwischen Arm und Reich, als „class divide“ längst ein Endlosthema populärer Talkshows und akademischer Symposien, bezeichnet Morial als „größte Herausforderung“ für sein Land. Brooks stimmt ihm zu, gerade auch wenn er in Richtung der nun offiziell bankrotten Stadt Detroit blickt, deren verarmte Einwohnerschaft zu achtzig Prozent von schwarzer Hautfarbe ist: „It’s the class divide!“ Zugleich will er deswegen aber nicht Amerika im Niedergang sehen. Unfähige Verwaltung, Verfilzung und übermächtige Interessengruppen hätten den einst blühenden Ort zugrunde gerichtet. Jennifer Granholm, bis 2011 Gouverneurin des Bundesstaats Michigan, zweifelt nicht an der Möglichkeit einer wirtschaftlichen Gesundung und erteilt kurz und verblüffend den Rat: „Wir können von Deutschland lernen.“ Leider nur ein knapper Zwischengedanke, deutsche Ohren hätten, vielleicht im Gegensatz zu amerikanischen, gern mehr darüber gehört.
Auch Dave Bing, der Bürgermeister von Detroit, lässt sich nicht den Mut nehmen. Es sei kein schwarzweißes Problem, versichert er in „This Week“, sondern ein grünes. Grün, wie eine Dollarnote. Washington habe die Banken gerettet und vorher die Autoindustrie. Warum jetzt nicht Detroit? Ein wenig verwundert es schon, wie positiv an diesem Sonntagmorgen die Erschießung eines schwarzen Teenagers und der bedrückende Fall einer Großstadt umgedeutet werden als Startpunkte einer nationalen Debatte um „race“ und „class“. Morial sieht gar eine „neue Bürgerrechtsbewegung“ heraufdämmern. Unter den ausschließlich schwarzen Teilnehmern der Talkrunde bei „Meet the Press“ herrscht jedoch keine Einigkeit über den Weg, der jetzt am Besten einzuschlagen wäre. Und was ist mit Obama? Hat er genug getan? War die Rede, in der er erzählte, wie er sich als jungen Mann in Trayvon Martin wiederzuerkennen meint, von berührender Überzeugungskraft? Oder kam sie zu spät und ging nicht über ein paar feierliche Worte hinaus?
Die demokratische Abgeordnete Marcia Fudge gibt zu bedenken, dass Rassismus nicht durch Gesetzgebung allein zu bändigen sei. Auch Charles Ogletree von der Harvard Business School scheint sich an seine schwarzen Mitbürger zu wenden, als er davor warnt, von Obama Wunder zu erwarten. „Er ist der Präsident, der zufällig schwarz ist.“ Amerikaner erhofften sich einfach zu viel von ihm. Soviel Verständnis geht Tavis Smiley, dem Moderator des nichtkommerziellen Senders PBS, aber gehörig gegen den Strich. „Der Professor liegt hier falsch!“ Obama müsse mehr tun, fordert Smiley, es reiche nicht, dass der Präsident lediglich Debatten anfache. Währenddessen ist John Boehner, der republikanische Sprecher des Abgeordnetenhauses, in „Face the Nation“ zu Gast. Er setzt alles dran, jede klare Antwort zu einer Zusammenarbeit zwischen Kongress und Regierung zu vermeiden. Lediglich in seiner Ablehnung von so gut wie allem, was Obama auf den Verhandlungstisch bringt, hätte er nicht deutlich werden können. Washington, ein Dauertrauerspiel. Einem Präsidenten bleibt da nicht viel mehr übrig, als Debatten anzufachen.