Mit der knappen Mehrheit von 217 zu 205 Stimmen hat das Repräsentantenhaus am Mittwoch einen Gesetzesvorschlag abgelehnt, der die Befugnis der National Security Agency zur Sammlung von Daten über Telefongespräche auf dem Boden der Vereinigten Staaten mit Schranken versehen wollte. Mike Rogers, der republikanische Vorsitzende des zuständigen Ausschusses, verteidigte die von der Regierung Obama durch Eingaben bei einem Geheimgericht durchgesetzte Erweiterung der Kompetenzen der amerikanischen Geheimdienste. Bei „Meet the Press“ auf NBC und „Face the Nation“ auf CBS bekräftigte der Abgeordnete aus Michigan seine Argumente, nachdem er zunächst in beiden Talkshows auch die Methoden der ägyptischen Sicherheitsbehörden verteidigt hatte.
Um eine Stellungnahme zu den Nachrichten aus Kairo gebeten, wo am Samstag mindestens 72 Demonstranten getötet worden waren, nahm Rogers eine Lageanalyse im Stil des deutschen Staatsrechtslehrers Carl Schmitt vor: In einer Situation, wie sie jetzt in Ägypten herrsche, müsse man sich entscheiden, wen man zum Freund haben wolle. Die Muslimbrüder des demokratisch gewählten Präsidenten Mursi beschrieb Rogers als Feinde der Demokratie. Als das Militär Mursi absetzte, handelte es laut Rogers „im Namen der riesigen säkularen Bewegung, die Mubarak gestürzt hatte“. Was in Ägypten passiert, ist in dieser Sicht keine Konterrevolution der Kräfte, die das Mubarak-Regime getragen hatten, sondern die Fortsetzung und Vollendung der Revolution durch geeignete Sicherheitsmaßnahmen.
Rogers, geboren 1963, arbeitete in den fünf Jahren zwischen seinem Militärdienst und dem Beginn seiner Berufspolitikerlaufbahn als Agent beim FBI. Er rechtfertigt die ägyptische Militärdiktatur mit der Denkfigur des revolutionär legitimierten Ausnahmezustands aus der Epoche der Französischen Revolution. Das gibt zu denken, was den Realismus seiner Einschätzung der Sicherheitslage im eigenen Land betrifft. Die ägyptischen Machthaber stellen das brutale Vorgehen gegen die Demonstranten, von denen einige angeblich aus nächster Nähe erschossen wurden, als notwendig hin, indem sie die Muslimbrüder zu Terroristen erklären. Wenn Mursi wirklich wie angekündigt wegen Terrorismus der Prozess gemacht wird, weil er sich nicht ins Schicksal eines politischen Gefangenen unter Mubarak fügen wollte, werden die bewaffneten Garanten der Säkularität ihre amerikanischen Freunde noch in einige Verlegenheit bringen.
Zur Verteidigung der NSA-Programme präsentierte Rogers eine Erfolgsbilanz wie aus einem Prospekt für ein Wunderheilmittel. Demnach stehen null Verletzungen der Privatsphäre 54 vereitelte Terroranschläge gegenüber. Woher will Rogers aber wissen, dass es bei der Speicherung der Telefonverbindungsdaten von 300 Millionen Amerikanern zu keinem einzigen Übergriff gegen Unbescholtene gekommen ist? Wie kann er jedes Versehen ausschließen? Wenn seinem Ausschuss tatsächlich Informationen zu jeder einzelnen Operation der Dienste vorliegen sollten, würde sich der Schutz der Privatsphäre von vornherein erübrigen.
Unfehlbar effektiv, garantiert ohne Nebenwirkungen: an solcher Werbung erkennt man den Quacksalber. Rogers erzählt seinen Landsleuten, dass die Datensammlungen einerseits überlebensnotwendig und andererseits völlig harmlos seien. Ein Verbindungsdatensatz enthalte weniger Informationen als ein Briefumschlag, den man auf die Post gebe. Die dreistere Variante desselben Arguments: Die gesamte Datenbank der NSA enthalte weniger Informationen als ein Telefonbuch. Rogers unterstellt seinen unterlegenen Kollegen, sie hätten aus Unkenntnis für den Antrag seines Fraktionsgenossen Justin Amash gestimmt, weil sie irrtümlich geglaubt hätten, ihre Anrufe würden abgehört. Aber er scheint anzunehmen, dass die Zuschauer der politischen Talkshows nicht sehr viel Zeitung lesen. Sonst würde er sie nicht in der Sicherheit wiegen wollen, dass der „Inhalt“ ihrer telefonischen und elektronischen Mitteilungen für die Regierung unzugänglich bleibe.
Die Verteidiger des geheimen Staatsapparats weisen den freisinnigen Politikern der Rechten und der Linken, die im Sinne der amerikanischen Tradition auf Beschränkung und Kontrolle der Staatsmacht pochen, vorsorglich schon einmal die Verantwortung für den nächsten Terroranschlag zu. Das Misstrauen gegenüber der Regierung, Konstruktionsprinzip der gewaltenteiligen Verfassung, wird als Entwürdigung der Überlebenden und Hinterbliebenen des 11. September 2001 attackiert – so äußerte sich in dieser Woche in der ihm eigenen drastischen Manier Chris Christie, der republikanische Gouverneur von New Jersey. Zu dieser Rhetorik der Einschüchterung gehört die kontrafaktische Suggestion, dass der Massenmord verhindert worden wäre, wenn die NSA 2001 schon ihre heutigen Befugnisse gehabt hätte.
Rogers wiederholte eine Behauptung, die der frühere Vizepräsident Dick Cheney bei einem Talkshowauftritt am 16. Juni aufgestellt hatte. Es habe da einen Mann in San Diego gegeben, erzählte Rogers, den die Behörden für einen „ziemlich üblen Burschen“ gehalten hätten, der einen Terroranschlag plane. Warum wurde ihm nicht das Handwerk gelegt? „Weil wir das Verbindungsglied nicht finden konnten, weil wir nicht herausfinden durften, ob jemand im Ausland ihn hier in den Vereinigten Staaten anrief. Wir konnten das Puzzleteil nicht bekommen. Wir haben es übersehen. Der Bursche nahm ein Flugzeug und ließ es auf das Pentagon abstürzen.“
Die Factchecker des gemeinnützigen Online-Projekts Pro Publica haben diese Geschichte überprüft. Bei dem Mann aus San Diego handelt es sich um Khalid al Mihdhar. Sein Fall dient im Abschlussbericht der Untersuchungskommission des Kongresses zum 11. September 2001 als Exempel für Versäumnisse der Sicherheitsbehörden, die vorhandene Informationen nicht zusammenfügten. Nach Meinung von Bob Graham, dem Vorsitzenden der Kommission und früheren demokratischen Senator aus Florida, ergibt sich aus dem Bericht, dass die 2001 legalen Geheimdienstmethoden ausgereicht hätten, um Mihdhar ausfindig und unschädlich zu machen. Ein Zugriff auf „dieses Metadaten-System“ wäre nicht nötig gewesen
FBI-Chef Robert Mueller führte den Fall im Juni vor dem Geheimdienstausschuss des Repräsentantenhauses an. Nach seiner Darstellung kannten die Behörden die Telefonnummer eines Al-Qaida-Verstecks im Jemen, aber sie waren nicht in der Lage, Mihdhar als jemanden zu identifizieren, der dort angerufen hatte. Aus dem Kommissionsbericht ergibt sich, dass der Inhalt des in Rede stehenden Gesprächs der NSA bekannt war. Sie hatte das Gespräch abgehört, war aber nicht in der Lage, dem Anrufer einen Telefonanschluss zuzuordnen. Was Rogers erzählt, ist demnach falsch und irreführend. Er behauptet, ein Verdächtiger sei beobachtet worden, aber man habe über seinen Telefonverkehr nichts herausfinden dürfen. In Wirklichkeit verhielt es sich genau umgekehrt: Das Telefongespräch war dokumentiert, es fehlte der Verdächtige – weil der „Khalid“ am Telefon nicht zusammengebracht wurde mit dem längst anderweitig aktenkundigen Khalid al Mihdhar. Rogers stellt die Sache so konsequent auf den Kopf, dass er von einem Anruf aus dem Ausland in San Diego spricht, während es um einen Anruf aus San Diego in den Jemen ging.
Richard Clarke, der Koordinator der Terrorbekämpfung im Weißen Haus unter Präsident Bush, äußerte gegenüber Pro Publica die Ansicht, dass die NSA den vielbeschworenen Heuhaufen sämtlicher amerikanischer Telefonverbindungsdaten nicht benötigt hätte, um den Pentagon-Attentäter aus dem Verkehr zu ziehen. Nach damaliger Rechtslage hätte die Regierung mit Genehmigung des Foreign Intelligence Surveillance Court die Telefongesellschaften auffordern können, alle Daten über Gespräche zwischen amerikanischen Anschlüssen und der Nummer im Jemen herauszugeben. Der demokratische Senator Mark Udall aus Colorado, der bei „Face the Nation“ auf Rogers antwortete, will im Senat ein Gesetz einbringen, das den Telefondatenzugriff auf solche Verdachtsfälle beschränkt.