Der Sonntag in Washington

Wie schafft man es, dass ein Überwachungsstaat gut aussieht?

John McCain, republikanischer Senator aus Arizona, weckte im Präsidentschaftswahlkampf des Jahres 2000 die Hoffnung, dass der demokratische Wettbewerb noch Staatsmänner hervorbringen kann. Auch Stammwähler der Demokraten faszinierte McCain, weil er die Fähigkeit und den Mut zeigte, die Dinge beim Namen zu nennen. Als er 2008 unter dem Markenzeichen des „straight talk“ gegen Barack Obama antrat, wirkte sein Stil der deutlichen Worte manchmal wie eine Masche; der raffiniertere Rhetoriker siegte. Aber der gescheiterte Vermittler, der jetzt aus Kairo zurückkehrte, ist wieder der alte John McCain. In der Talkshow „Fox News Sunday“ genügte ihm am Sonntag ein Satz, um die Unglaubwürdigkeit der amerikanischen Haltung gegenüber dem ägyptischen Umsturz offenzulegen: „Wenn die Vereinigten Staaten sich weigern, eine militärische Machtübernahme einen Putsch zu nennen, wird es offensichtlich schwer für uns, diese Machthaber dazu zu bewegen, sich an die Beschränkungen einer rechtsstaatlichen Verfassung zu halten.“

Nicht nur die Anhänger des aus dem Amt entfernten Präsidenten sehen sich in antiamerikanischen Vorurteilen bestätigt. Die Pointe von McCains Analyse ist die Einsicht, dass die Obama-Regierung das Ansehen der Vereinigten Staaten auch in den Augen der Akteure herabsetzt, deren Partei sie durch ihr Lavieren de facto ergriffen hat. Euphemismen bewahren nicht etwa diplomatischen Spielraum.  In der Zweideutigkeit der Botschaften aus Washington werden die einen im Lager der alt-neuen Machthaber einen Beweis für die Schwäche der westlichen Demokratien sehen und die anderen eine chiffrierte Aufforderung zum Weiterprügeln.

Der Putschregierung lässt McCain nicht durchgehen, dass sie die Verantwortung für ihre Maßnahmen zur Zerstörung der Opposition hinter Verweisen auf die Gewaltenteilung versteckt. Als die Unterhändler aus Washington die Freilassung politischer Gefangener verlangten, wurde ihnen gesagt, das sei eine Angelegenheit der Rechtsprechung. „Es ist keine Angelegenheit der Rechtsprechung. Es geht um Anordnungen der neuen Regierung und des Militärs.“ Auf Nachfrage des Moderators Chris Wallace sagte der Senator, dass der Kongress sich unter den gegebenen Umständen mit der Frage der Streichung der Finanzhilfen für Ägypten werde beschäftigen müssen. Er wies darauf hin, dass den vermeintlichen Rettern der säkularen Zivilgesellschaft am Nil vierzehn Milliarden Dollar aus den Golfstaaten zufließen, deren Fürsten die geschworenen Feinde des Projekts einer muslimischen Demokratie sind.

McCain warf Präsident Obama vor, den russischen Präsidenten Putin zu unterschätzen. Naiv habe sich Obama in seiner Pressekonferenz am Freitag seiner Fähigkeit gebrüstet, im persönlichen Gespräch mit Putin zu Resultaten zu kommen. Er verkenne, dass dem einstigen KGB-Mann die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten gleichgültig seien. Auch im Verhältnis zu einer Großmacht wie Russland ist es nach McCains Überzeugung ein Gebot des amerikanischen Staatsinteresses, die Tatsache der Verletzung demokratischer Grundregeln festzuhalten.

Im Unterschied zu Parteifreunden, die in anderen Talkshows auftraten, wollte McCain die von Obama am Freitag in Aussicht gestellten administrativen Modifikationen der Datensammelprogramme ausdrücklich nicht kritisieren. Michael McCaul, der Vorsitzende des Ausschusses für innere Sicherheit im Abgeordnetenhaus, warf dem Präsidenten bei „Meet the Press“ auf NBC vor, die Affäre um die überkritische Prüfung der Gemeinnützigkeit politischer Vereine durch die Finanzverwaltung habe das Misstrauen gegenüber der Regierung entstehen lassen, das nun auch der National Security Agency (NSA) entgegenschlage. Der Vietnam-Veteran McCain beobachtet dagegen in den Einstellungen gegenüber der Staatsmacht Folgen eines Generationswechsels. „Die jungen Amerikaner trauen dieser Regierung nicht. Ohne Vertrauen in die Regierung kann man viele Dinge nicht tun. Deshalb widerspreche ich keinem dieser Vorschläge des Präsidenten.“

Für die vertrauensbildenden Maßnahmen, behauptete McCaul, müssten die Amerikaner mit Einbußen an Sicherheit bezahlen. Obama hat den Vorschlag von ehemaligen Richtern des Foreign Intelligence Surveillance Court (FISC) aufgegriffen, Anwälte des öffentlichen Interesses für Verhandlungen vor dem Geheimgericht zu benennen, damit das Gericht nicht nur die Regierung, sondern auch eine Gegenseite hört. McCaul gab die Warnung aus, dass ein solcher Advokat des Teufels die Effizienz der Prozesse beeinträchtigen müsste. Er berief sich auf seine eigene Erfahrung: Als Staatsanwalt habe er für Anti-Terror-Ermittlungen Datensuchgenehmigungen beim FISC beantragt.

General Michael Hayden, der frühere Chef der NSA, stellte bei „Face the Nation“ auf CBS fest, dass sich der Präsident auf der Pressekonferenz in diesem Punkt „sehr kunstvoll“ ausgedrückt habe. Was hat er tatsächlich vorgeschlagen? Keinen Pflichtverteidiger für „jeden Tony Soprano“, dessen Daten durchgekämmt werden sollen, sondern einen Gegen-Staatsanwalt in Verfahren, die allgemeine Fragen der Gesetzesauslegung aufwerfen. Hayden demonstrierte, dass die Abwägung zwischen Sicherheits- und Freiheitsbelangen, die Obama wieder einmal pflichtschuldig beschwor, der Mentalität der Praktiker fremd ist: Jede Erhöhung der Darlegungslasten der Regierung in den Prozessen des Geheimgerichts stilisierte der General zum unkalkulierbaren Sicherheitsrisiko. Wie es zynischer Brauch ist in seinem Metier, malte er die Drohkulisse des nächsten erfolgreichen Anschlags aus. Vor Tätern und Opfern gibt es die Schuldigen schon: Bürokraten, die den Staat nötigen wollen, sich selbst zu schikanieren.

Was hält der pensionierte Geheimdienstchef von den gewählten Vertretern des Volkes? Die 205 Abgeordneten des Repräsentantenhauses, die am 24. Juli dafür stimmten, der NSA das Geld für die Archivierung aller Telefonverbindungsdaten zu entziehen, charakterisierte Hayden als einen von Panik erfassten und von Unkenntnis getriebenen Mob. Auch Dutch Ruppersberger, der ranghöchste Demokrat im Geheimdienstausschuss des Repräsentantenhaus, der ebenfalls bei „Face the Nation“ zu Gast war, möchte seine Kollegen „erziehen“ – und mit ihnen die gesamte amerikanische Öffentlichkeit. „In der Politik haben wir es nicht nur mit der Wirklichkeit, sondern auch mit der Wahrnehmung zu tun.“ In Ruppersbergers Lesart soll sich durch die Vorschläge des Präsidenten also an der Wirklichkeit der Überwachungsprogramme nichts ändern. Er wiederholte die Legende, dass die Komplettüberwachung des Telefonverkehrs das probate Mittel zur Vereitelung der Anschläge vom 11. September 2001 gewesen wäre. Ruppersbergers republikanischer Kollege McCaul sähe die Datenmassen lieber in der Obhut der Unternehmen. Aber wäre das nicht auch nur eine Konzession aus optischen Gründen?

Die Privatwirtschaft macht dem Staat vor, dass man gar nicht genug Daten sammeln kann. Wie selbstverständlich diese Durchleuchtung geworden ist, zeigte am Sonntag David Ignatius, der CIA-Experte der „Washington Post“, der sich bei „Meet the Press“ zum Verkauf seines Blattes an Jeff Bezos äußerte. „Wenn ich auf die Amazon-Seite gehe, sehe ich, dass sie eine Menge über mich wissen. Es gibt keinen Grund, warum das auf der Seite unserer Zeitung nicht auch so sein sollte.“

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