Der Sonntag in Washington

Der Sonntag in Washington

Der Fernsehtalk in Amerika

In Washington stehen die Uhren still

Schrammt die Weltmacht doch noch am Bankrott vorbei? Die Tea Party schaut jedenfalls sorglos in die Woche.

Aus dem sonntagmorgendlichen Fernsehpalaver ragt Bob Schieffer seit vielen Jahrzehnten als ein Moderator, der in all seinem mäßigenden Bemühen die Bezeichnung zu Recht trägt. Wenn er nicht in „Face the Nation“ versucht, die Washingtoner Streithähne einigermaßen unter Kontrolle zu bringen, meldet er sich nun auch in einem Blog zu Wort. Und da lässt er schon mal seine neutrale Zurückhaltung fahren. „Die Republikaner“, ließ er uns gerade wissen, “haben eingesehen, dass man sie auf einen Gartenpfad gelockt hat, an dessen Ende sie jetzt aber nichts mehr als eine Müllhalde vorfinden.“ Will heißen? Sagen wir’s so: Die republikanischen Extremisten der Tea Party wollten Revolution machen und haben, wie das im revolutionären Überschwang halt gern getan wird, nur ihren Sieg, nicht ihre Niederlage in Betracht gezogen. Damit haben sie die moderaten Republikaner, die ihnen auf dem betörend nach Sieg duftenden Gartenpfad gefolgt sind, ziemlich verärgert. Denn die Müllhalde droht ihnen allen.

Trotzdem sind, wie auch der Moderator weiß, die Moderaten im Repräsentantenhaus noch nicht ganz bereit, gemeinsam mit den Demokraten und folglich unter dem Geschrei und Gezeter der republikanischen Extremisten wenigstens den Staat vor der Müllhalde zu retten. Alle Hoffnung richtet sich deshalb auf den noch nicht ganz so heillos zerstrittenen Senat, und die beiden Senatoren, der Demokrat Chuck Schumer und der Republikaner John McCain, die bei Schieffer zu Gast sind, üben sich tatsächlich in geradezu sensationell vernünftigem Abwägen. Die vierzig Tea-Party-Extremisten will Schumer schon gar nicht mehr in seine Berechnungen miteinbeziehen. Sie würden nie umzustimmen sein. Von John Boehner, dem Sprecher des Repräsentantenhauses, sei also auch keine Lösung zu erwarten. Die müsse vom Senat kommen. Und Boehner könne dann den Deal des Senats übernehmen, um mit den Stimmen der Demokraten und moderaten Republikanern doch noch die Zahlungsunfähigkeit der Vereinigten Staaten von Amerika abzuwehen

So der Wunschtraum des demokratischen Senators Chuck Schumer. Sein Kollege John McCain ist auch froh, dass es in seiner noblen Kammer überhaupt noch Verhandlungen gibt, zeigt sich vorhersehbar, aber doch eher reserviert enttäuscht über den eisernen Verhandlungsunwillen des Präsidenten und spricht bedeutungsvoll an alle die Warnung aus: „Bei Al Qaida gibt es keinen Shutdown!“ Allerdings lehnt er es auch ab, als Senator dem Sprecher des Repräsentantenhauses Anweisungen zum Einlenken zu geben, denn die Abgeordneten dächten ohnehin, dass die Herren und Damen des Senats ein „Haufen von Snobs“ seien. „Wahrscheinlich stimmt’s“, fügt McCain uncharakteristisch selbstkritisch hinzu. Dem Newcomer, Mit-Snob und Proto-Texaner Ted Cruz, der im Namen der Tea Party die Revolte so richtig in Schwung brachte, ohne sich auch nur um den Anschein einer Strategie zu bemühen, bescheinigt McCainn, die Partei nun kräftig in Streit versetzt zu haben. Die Umfragewerte der Republikaner sänken so rapide, das sie wohl bald nur noch mit den Stimmen von „Blutsverwandten und Parteiangestellten“ rechnen könnten. Zumindest den Galgenhumor hat sich der „Senior Senator“ aus Arizona bewahrt.

Kelly Ayotte, republikanische Senatorin aus New Hampshire, gibt sich neuenglisch gemäßigt und baut darauf, in letzter Minute an der Staatspleite vorbeizuschrammen. „Wir können das nicht tun“, versichert sie, hat als Lösung aber nur die Forderung nach „presidential leadership“ anzubieten. Was immer damit gemeint sein mag. Die eigenen Parteigenossen kommen bei ihr nicht ungeschoren hinweg: „Das Abgeordnetenhaus muss sich zusammenreißen.“ Und was den Senator Cruz betrifft, meint die Senatorin, er habe von Anfang an eine fehlerhafte Strategie verfolgt. Wie so oft, wenn Republikaner weder aus noch ein wissen, lässt Kelly Ayotte darum den Ruf nach einem Retter vom phantastisch idealisierten Format des derzeit Größten aller republikanischen Heilsbringer erschallen: Ronald Reagan.

Den Mann von der Tea Party, den Abgeordneten Tim Huelskamp aus Kansas, hätte Schieffer dann gar nicht erst einzuladen brauchen. Der lächelt jede Frage stur hinweg oder gibt sich nicht die kleinste Mühe, seine Antworten mit Schieffers Fragen auch nur halbwegs abzustimmen. Gebetsmühlenhaft wird da vorgetragen, Obama habe an allem Schuld und das drohende Schuldenfiasko sei nichts als Angstmache der Gegenseite sei. Amerika sei unfähig, bankrott zu gehen. Am Ende ist sogar Schieffer genervt von der ungenierten Verbohrtheit des Abgeordneten und dankt ihm mit den Worten: „Sie haben ihren Standpunkt klar gemacht, Sie geben nicht nach.“ Später werden Bilder von Washington gezeigt, zum Beispiel von einer zweihundert Jahre alten Standuhr vor dem Senatssaal, die erstmals zum Stehen gekommen ist, weil sie niemand mehr aufzieht, und von einem aufrechten Bürger, der seinen Rasenmäher mitgebracht hat, um die Washingtoner Heiligtümer nicht im Gras versinken zu lassen. „Ich habe schon ein langes Leben hinter mir“, seufzt der alterfahrene Moderator, “aber ich hätte nie geglaubt, das zu erleben, was ich letzte Woche mitansehen musste.“