Der Sonntag in Washington

Der Sonntag in Washington

Der Fernsehtalk in Amerika

General Alexanders Vorgänger droht dem Deutschen Bundestag

| 30 Lesermeinungen

Fast hätte die NSA ja auch den Zweiten Weltkrieg verhindert: Wenn Frau Merkel die Sache mit ihrem Telefon nicht so peinlich wäre, hätten die Amerikaner die Geschichte schon längst ungeschehen gemacht.

Wenn der amerikanische Geheimdienst das Telefon von Adolf Hitler abgehört hätte, wäre der Zweite Weltkrieg verhindert worden. So ist wohl die jüngste Einlassung von Mike Rogers zur Verteidigung der National Security Agency zu verstehen. Der Vorsitzende des Geheimdienstausschusses im Repräsentantenhaus äußerte sich in der Talkshow „Face the Nation“ auf CBS. Den Kollegen im Kongress, die nach der Enthüllung über den Lauschangriff auf Angela Merkel die Zeit für ein Gesetz zur Beschränkung der Kompetenzen der NSA gekommen sehen, hielt er entgegen, man habe in den dreißiger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts schon einmal mit dem Überwachen der Kommunikation von Freund und Feind aufgehört – mit katastrophalen Folgen. „Wir haben es abgeschaltet. Es wurden Informationen zum Schutz Amerikas gesammelt, aber der damalige Außenminister sagte 1929, wir sollten es nicht mehr tun. Es gehöre sich nicht. So haben sie es abgeschaltet. Nun ja, das führte zu einem ganzen Haufen von Missverständnissen, der zum Zweiten Weltkrieg führte, in dem Millionen und Abermillionen von Menschen gestorben sind.“

Henry Stimson, der 1929 nach der Wahl des republikanischen Präsidenten Herbert Hoover die Führung des State Department übernahm, strich den Beitrag seines Ressorts zum Budget der Black Chamber, der von Herbert Yardley in New York aufgebauten Vorgängerorganisation der NSA, und soll diese Sparmaßnahme mit den unsterblichen Worten begründet haben, Gentlemen läsen die Post anderer Gentlemen nicht. Rogers ließ in seiner Kritik an Stimson offen, ob er die Gültigkeit dieser Maxime bestreitet oder ob er der Meinung ist, dass amerikanische Staatsmänner sich nicht leisten können, Gentlemen zu sein. Unklar war auch, ob sich die historische Lektion wirklich auf den europäischen Kriegsanfang 1939 bezog oder vielleicht nur auf den Krieg im Pazifik gegen Japan, ob Rogers also nahelegen wollte, dass der Überfall auf Pearl Harbor durch nachrichtendienstliche Aufklärung hätte vereitelt werden können. Zugunsten eines Politikers, der stolz auf seine historische Bildung ist und aus gegebenem Anlass daran erinnerte, dass das Wort „Spionage“ aus dem Französischen stammt, möchte man allerdings annehmen, dass er im Historiographischen kein Anhänger des Isolationismus ist, sondern den Zweiten Weltkrieg im Jahr 1939 beginnen lässt.

Die Rede vom Missverständnis passt auch gut zu der aus der Debatte um die Appeasement-Politik Englands und Frankreichs vertrauten Vorstellung, Hitler habe seine wahren weltpolitischen Ziele zunächst verschleiert. Doch nehmen wir an,  Yardleys Leute hätten wirklich mitgehört, wie Hitler im Gespräch mit Mussolini, Göring oder Heidegger ankündigte, nach der Erledigung der Engländer werde er mit den Amerikanern schon fertig werden. Wäre diese Information Präsident Hoover in der täglichen Übersicht des neuesten Geheimwissens vorgelegt worden, wie hätten Hoover und Stimson den deutschen Reichskanzler daran hindern wollen, seinen größenwahnsinnigen Plan in die selbstzerstörerische Tat umzusetzen? Hätte man den deutschen Botschafter einbestellt oder jenseits der offiziellen Kanäle Verbindung zu mutmaßlich altmodisch empfindenden Diplomaten wie Ernst von Weizsäcker aufgenommen? Jeder offizielle Protest hätte wohl nur dazu geführt, dass man Hitler das Mundwerk und nicht das Handwerk gelegt hätte.

Vor dem Hintergrund des Historikerstreits über die Frage, ob die Regierung Roosevelt im Weltkrieg aus Gründen der strategischen Räson davon absah, von den Nachrichten geheimer Quellen über den Holocaust den moralisch gebotenen Gebrauch zu machen, nimmt sich das von Rogers krakelig skizzierte Gedankenspiel makaber aus. Ähnlich wie der Abgeordnete aus Michigan, aber ebenso undeutlich hatte sich am Sonntag der vergangenen Woche schon sein Fraktionskollege Peter King aus New York geäußert. Solche Leichtfertigkeit ist keine Empfehlung für die von den Historikern Alexander Demandt und Niall Ferguson vertretene Ansicht, das Erwägen von Abläufen der ungeschehenen Geschichte schärfe die Urteilskraft.

Michael Hayden, der Vorgänger von General Keith Alexander als Direktor der NSA, entfaltete im Gespräch mit Bob Schieffer bei „Face the Nation“ ebenfalls ein kontrafaktisches Szenario. Seiner Analyse der laut Fritz Stern größten Krise der deutsch-amerikanischen Beziehungen seit 1945 legte der pensionierte Luftwaffengeneral die Einschätzung zugrunde, dass der „törichte, kriminelle Akt“ (Stern) des Zugriffs auf Frau Merkels Telefon nicht für den amerikanischen Präsidenten unangenehm sei, sondern für die deutsche Kanzlerin. Sache der Deutschen wäre es nach Haydens Meinung gewesen, die Peinlichkeit aus der Welt zu schaffen beziehungsweise gar nicht erst in die Welt zu tragen. „Nehmen wir einmal an, der Vorgang wäre nicht von der Presse entdeckt worden, sondern von der deutschen Spionageabwehr. Das Letzte, was die Deutschen gewollt hätten, wäre gewesen, den Fall öffentlich zu machen. Sie hätten sich privat an uns gewandt, und wir hätten das Problem gelöst. So, wie es gelaufen ist, sind nun wichtige Beziehungen, die wir unterhalten, zerstört worden oder doch bedroht.“

Bleibt nur die Frage: Wie hätten Haydens Kollegen das Problem gelöst? Nicht durch Abschalten der Überwachung des Telefons der Kanzlerin. Vorher hatte Hayden nämlich ausgeführt, dass die Geheimabteilung der Berliner Botschaft nur ihre Arbeit getan habe. Auf die Frage, ob Frau Merkel in den sechs Jahren seiner Zeit als NSA-Direktor zwischen 1999 und 2005 ausspioniert wurde, sagte er: „Ich kann einzelne Aktivitäten nicht kommentieren. Aber die Aufklärung der Absichten ausländischer Staatsführer hatte eine hohe Priorität im Leben der National Security Agency. Das ist nichts Besonderes, und es ist ganz bestimmt nichts Neues.“ Hayden sprach eine unverhohlene Drohung für den Fall aus, dass Edward Snowden als Zeuge vor einen Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages geladen wird. Sollten deutsche Stellen Snowden „eine Plattform geben, von der aus er noch mehr amerikanische Geheimnisse enthüllen könnte“, wäre damit „die Debatte hinfällig, ob wir nun eine befreundete Regierungschefin ausspioniert haben oder nicht“.

Der Ausschussvorsitzende Rogers und seine Amtskollegin im Senat, die kalifornische Demokratin Dianne Feinstein, äußerten sich in Schieffers Sendung zum Umgang mit Snowden, nachdem dieser in dem vom Bundestagsabgeordneten Ströbele übermittelten Brief an die Bundesregierung die Hoffnung bekundet hat, die Regierung der Vereinigten Staaten werde von der Absicht abgehen, ihn für Handlungen zu bestrafen, die auch hohe amerikanische Amtsträger mittlerweile als einen Dienst an der Öffentlichkeit bewertet hätten. Rogers und Frau Feinstein schlossen Milde für Snowden kategorisch aus. Auch Frau Feinstein, die mit ihrer scharf formulierten Rüge der Aktion gegen Frau Merkel Aufsehen erregt hat, sprach noch nicht einmal aus, dass dem Präsidenten nach der Verfassung das Gnadenrecht zusteht, das er nach dem Abschluss eines Strafverfahrens ausüben könnte. Kaltschnäuzig verwies sie Snowden darauf, er hätte sich vertraulich an ihren Ausschuss wenden sollen – als wäre Thomas Drake, der NSA-Mitarbeiter, der in Haydens Amtszeit genau diesen Weg beschritt, nicht angeklagt worden. Diese Art der Bekräftigung des Strafverfolgungswillens verbessert die Chancen des Auslieferungswunsches der Vereinigten Staaten nicht.

Rand Paul, der republikanische Senator aus Kentucky, der von seinem Vater Ron Paul die Fackel des libertären Flügels der konservativen Bewegung übernommen hat, lehnte es hingegen bei „This Week“ auf ABC ab, ohne ausreichende Kenntnis der Tatsachen eine Meinung dazu abzugeben, ob Snowden Gnade verdiene. Hat er einer ausländischen Macht Geheimnisse verraten? „Das wäre ein Grund zu großer Beunruhigung.“ Ihn beunruhige aber auch, sagte der Senator, dass James Clapper, der oberste Geheimdienstchef, den Kongress belogen habe. „Ich habe von niemandem gehört, der seine Maßregelung fordert. Dabei glaube ich, dass er unserem Ansehen in der Welt schweren Schaden zugefügt hat.“


30 Lesermeinungen

  1. Eckig sagt:

    Amerikanischer General droht dem deutschen Bundestag... Endlich einer, der Klartext redet!
    Jetzt legen die Amis die Karten au den Tisch, zusammen gefasst etwa so:
    – Klar hören wir Euch ab
    – Das ist auch richtig so
    – Wir werden das auch in Zukunft machen
    – Wenn Ihr versucht,mehr raus zu finden, dann werden wir Euch… (?!?)

    So ungefähr läßt sich die Kommunikation der letzten Wochen zusammen fassen.
    Das zeigt doch ganz klar, welchen Stellenwert wir bei unsrem „Transatlatischen Partner“ haben.

    Das sollten wir so nicht hinnehmen…die Frage ist nur, was tun?!
    Im Zuge der Globalisierung haben wir Deutschen den Anschluß an die „Weltspitze“ in Sachen Kommunikationstechnologie längst verloren.
    Aber auch so ist es möglich , der NSA die Tür vor der Nase zu zu schlagen – nur machen muss man es.
    Und für solch eine Aktion sind unsere Politiker, für die ein BIt eine Biersorte ist, leider denkbar ungeeignet, selbst wenn sie es nur anstoßen sollen.

    • Cimpoler sagt:

      Technologie in den Vereinigten Staaten
      Nennen Sie doch bitte eine Technologie, in der die Vereinigten Staaten uns weit vorraus sein sollen? Wenn die Vereinigten Staaten extrem genaue Maschinen benötigen, dann bestellen sie diese in Deutschland. Chipbau und Software? In D oberste Spitze! Wir haben die Technologie, wir haben die Experten. Wir haben davon sogar im Verhältnis mehr als die Vereinigten Staaten (pro Kopf der Bevölkerung). Wir sind nicht hintendran, die Vereinigten Staaten machen nur so viel Theater und haben ihre Leuchtturm-Firmen, die man aber an einer Hand abzählen kann (MS, Apple, Google, Intel, Oracle). Das ist typischer Imperialismus. In Deutschland hat diese IT-Wirtschaft aber mehr Substanz!

    • Jaho sagt:

      Freundlos
      Um so peinlicher, dass wir das zulassen, was die Amerikaner bei uns/gegen uns tun. Und ansonsten sei noch einmal daran erinnert: Befreundete Staaten gibt es nicht. Es gibt Verbündete – auf längere oder kürzere Dauer.

  2. covenants sagt:

    In Afghanistan verlieren die USA gerade einen 1000 Mrd-USD-Feldzug gegen rückständige Ziegenhirten
    Dabei mangelt es den Vereinigten Staaten nicht etwa an überwältigender Feuerkraft:

    Es ist vielmehr dieser ans Groteske grenzende Mangel an Glaubwürdigkeit, der einen „gewonnen Frieden“ verhindert.

    • Jaho sagt:

      Dann glauben Sie also eher den Taliban und Al Qaida!
      Na, wenn das so ist . . .

    • Tomas_Schweigert sagt:

      Warum sind die Amis so sauer auf Snowden?
      Weil hier ein substantieller Image Schaden verursacht wurde. Sei dem Ersten Weltkrieg weiss man, dass Kriege auch durch Propaganda gewonnen werden. Goebbels hat ausweislich seiner Schriften die alliierte Propaganda im ersten Weltkrieg sehr genau analysiert. Die NS-Juristen haben die Propaganda-Funktion des Rechts mit erschreckender Deutlichkeit herausgearbeitet.
      Gewinner des intellektuellen Gemetzels sind übrigens nicht wir Deutschen. Gewinner sind klar Chinesen und Russen, die den Vereinigten Staaten jetzt mühelos die moralische Legitimität abstreiten können. Es ist dieser Verlust des moralischen Führungsanspruchs (nebst seinen politischen Folgekosten), der den Vereinigten Staaten Kopfzerbrechen und sie so wütend auf Snowden macht.

  3. microplan2002 sagt:

    Weltherrschaftsallüren ...
    … made in USA.

  4. emilgilels sagt:

    Tolle Experten.....
    wer so argumentiert, hat den Boden der Realität längst verlassen und lebt in seiner eigenen (Schein)Welt, in der die Gehirne freien Lauf haben.

  5. microplan2002 sagt:

    Hitlers Absichten
    „Wie hätten Hoover und Stimson den deutschen Reichskanzler daran hindern wollen, seinen größenwahnsinnigen Plan in die selbstzerstörerische Tat umzusetzen?“ Wenn Hitler abgehört worden wäre, hätten die NSA beziehungsweise ihr Vorgänger nur erfahren, dass Hitler überhaupt keinen Weltkrieg wollte, sondern fest davon ausging, dass sich innereuropäische Grenzkonflikte lokal lösen ließen. Dass ihm dann die gar nicht unmittelbar beteiligten Staaten England und Frankreich den Krieg erklärten, hat den Diktator nachweislich zutiefst erschüttert und ratlos werden lassen.

  6. MOSEROTTO sagt:

    ENDLICH wird Klartext gesprochen ! Droht dem Deutschen Bundestag !
    Dabei nicken die doch eh ALLES ab ! Und jetzt muß das Marionettentheater, die Berliner Puppenbühne, noch massive Folgen fürchten !

    Hauptsache, wir haben gewählt.
    Fragt sich nur, was das wert ist. Und was das darf, und NICHT darf .

  7. emilgilels sagt:

    Man sollte die US-Geheimdienste auf den Mond...
    verlagern. Dort können sie sich austoben und die Welt neu erfinden und ihre Totschlagargumente verfeinern.

    • ASeibert sagt:

      Auf den Mond?
      Die Urväter Amerikas wurden 1620 zur Reise mit der Mayflower „überzeugt“, weil man ihren religiösen Fanatismus hier in Europa einfach nicht länger ertragen konnte. Amerika schien schön weit weg zu sein. Nun überlegen Sie einmal, wie nah Amerika heute ist. Da erscheint mir der Mond ehrlich gesagt viel zu nah.

  8. tholomaz sagt:

    Lieber desillusioniert als von Illusionen fehlgeleitet
    Die verschiedenen Verlautbarungen haben ihr Gutes. Man sieht, mit wes Geistes Kindern man zu tun hat. Es ist nur besonders schmerzlich zu beobachten, was für dumpfe Gestalten mit niedrigem Niveau hinsichtlich Bildung und Intellekt mit an den Schalthebeln der Macht herumwerkeln dürfen. Fast übermenschlich ist es nachgerade, wenn sich in der politischen Klasse dennoch Menschen finden, die trotz unvermeidbarer Schwächen in dem einen oder anderen Fall die Geduld und die Langmut aufbringen, mit der ihnen entgegenschlagenden Dumpfheit rational umzugehen. Da muss man u.a. die Kanzlerin einfach auch mal loben.

  9. winfriedsb sagt:

    Da haben wir ja noch einmal Glück gehabt.
    Wenn Frau Merkel nicht abgehört worden wäre, hätte sie doch glatt den Dritten Weltkrieg ausgelöst. Wäre ihr zuzutrauen, klar doch.

  10. JMense sagt:

    Einfach nicht aufregen - war das nicht auch des Innenministers Maxime?
    Hat sich nicht auch der Herr Innenminister Friedrich noch vor einigen Wochen darauf verlegt, die Bundesbürgerschar solle sich mal nicht so aufregen? War er es nicht mit seinem Pofalla-Kollegen, welcher die Affaire für beendet erklärte? Der sogar maliziös andeuten wollte, die Medien würden da etwas aufbauschen? Und die Bewohner dieser Republik wären doch selbst schuld, wenn sie sich nicht um ihre eigene Datensicherheit kümmerten? Und kaum ist das Kanzler-Handy betroffen, macht er Welle um Welle, empört sich theatralisch und vergisst seine eigene Missachtung, vergisst, dass ihm die Wahrung der Grundgesetz-Inhalte vor kurzem noch einen feuchten Kehrricht wert waren…

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