Der Sonntag in Washington

Der Sonntag in Washington

Der Fernsehtalk in Amerika

Was tun mit Putin? Isolation heißt das Zauberwort

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Den Vereinigten Staaten fehlt es in der Krise um die Ukraine an Optionen, stellt der ehemalige Verteidigungsminister Gates fest. Werden sie eine Sezession der Krim ernsthaft kritisieren können?

Tony Blinken, der stellvertretende Sicherheitsberater von Präsident Obama, hat am Sonntag in der Talkshow „Meet the Press“ auf NBC den Versuch unternommen, Ziele und Mittel der Ukrainepolitik der Vereinigten Staaten zu erläutern. In der Hauptsache beschrieb er Bemühungen, „die internationale Gemeinschaft“ zu einer gemeinsamen Haltung gegenüber Russland zu bewegen. Blinken zählte die Staats- und Regierungschefs auf, mit denen Obama in den vergangenen Tagen telefoniert hat, und erwähnte den bevorstehenden Besuch des ukrainischen Premierministers im Weißen Haus. Man konnte den Eindruck bekommen, Obama sei nicht der Präsident der Vereinigten Staaten, sondern der Generalsekretär der Vereinten Nationen. Der Erfolg seiner Politik liegt in den Händen der leitenden Staatsmänner der anderen Mächte (inklusive der deutschen Bundeskanzlerin). Von anderen Instrumenten als gemeinschaftlichen Bekundungen des guten Willens war nicht die Rede: Auch als Weltpolitiker bleibt Obama ein „community organizer“.

Blinken behauptete, die von Amerika organisierten Reaktionen auf das russische Vorgehen zeigten Wirkung. Er war aber nicht in der Lage, Nachteile zu benennen, die Russland sich durch seine Antworten auf die Revolution im Nachbarland zugezogen hat. Blinkens Ausführungen bewegten sich in diesem Punkt auf der allerallgemeinsten Ebene der Feststellung, dass es überhaupt solche Nachteile gebe. Immer wieder beschwor er die „Kosten“, die Russland heute schon trage und erst recht nach einer eventuellen Eskalation werde tragen müssen, ohne anzugeben, in welcher Währung sie abgerechnet werden. Teilweise soll es sich um Kosten im wörtlichen Sinn halten: Blinken verwies auf den Kursverlust des Rubels und Rückgänge in den Indizes der russischen Finanzmärkte. Mike Rogers, ein Republikaner aus Alabama, der im Repräsentantenhaus in den Ausschüssen für Verteidigung und innere Sicherheit sitzt, erwähnte allerdings als Gast von „This Week“ auf ABC, dass es auch einen Absturz der amerikanischen Börse gab. Möglicherweise gleichen sich die Kosten für beide Vormächte eines hypothetischen neuen Kalten Krieges aus.

Rogers, ein Dauergast in den sonntäglichen Talkshows, trug das republikanische Ceterum censeo dieser Tage vor, dass Obamas unstete Außenpolitik die Vereinigten Staaten geschwächt habe. Indem er eine robuste amerikanische Reaktion auf die von Putin geschaffenen Tatsachen forderte, sprach er zugleich für das republikanische Establishment in Washington und gegen diejenigen in seiner Partei, die aus dem Fiasko der Weltbeglückungspolitik des zweiten Präsidenten Bush die Lektion einer Rückbesinnung auf die nationalen Kerninteressen ziehen wollen. Eine Vereinigung der Krim mit Russland auf der Grundlage des von der Provinzregierung angekündigten Referendums charakterisierte Rogers vorsorglich als Völkerrechtsbruch, den – insoweit unterstützt Rogers die demokratische Strategie der Weltmeinungsmache – kein Staat der Welt billigen werde.

Aufschlussreich war die Antwort von Rogers auf die Frage der Moderatorin Martha Raddatz nach den möglichen Antworten auf einen Akt, durch den sich Russland angeblich aus der Weltgemeinschaft ausschließen würde. Statt Strafmaßnahmen zu nennen, beschrieb Rogers die Schwierigkeiten eines Gegenschlags. Einer Einigung auf effektive Wirtschaftssanktionen würden die wirtschaftlichen Interessen großer europäischer Staaten entgegenstehen – an erster Stelle die deutschen Geschäftsverbindungen nach Russland. Noch bemerkenswerter war ein reichlich unklarer Satz, in dem Rogers zuzugestehen schien, dass ein durch Plebiszit abgesegneter Anschluss der Krim an Russland eine neue rechtliche Situation herstellen würde. Die Russen richten sich wie alle Akteure in der internationalen Politik „nach ihrer Interpretation des Rechts“, und sie haben von ihrem Standpunkt aus schon deswegen Gründe, das Provinzreferendum als verbindlich zu behandeln, weil sie die Revolution in Kiew für illegal erklärt haben.

Mutmaßlich unabsichtlich klang hier durch, dass es der amerikanischen Regierung nicht leichtfallen wird, eine durch Volksabstimmung eingeleitete Rückkehr der Krim unter russische Herrschaft schlüssig als illegitim zu bewerten. Die Vereinigten Staaten sind aus einer Sezession hervorgegangen und verstehen sich seit jeher als Schutzmacht der Selbstbestimmung der Völker und gerade nicht der Unverletzlichkeit der souveränen Staaten. Mit der Berufung von Samantha Power, einer Vordenkerin der Selbstermächtigung zur humanitären Intervention, setzte Obama ein Zeichen gegen einen weltpolitischen Konservatismus, der im Interesse des Friedens die Unverletzlichkeit der Staatsgrenzen respektiert.

Robert Gates, der frühere Verteidigungsminister, bezeichnete im Gespräch mit Mike Wallace von „Fox News Sunday“ den russischen Griff nach der Krim als „aggressive, illegitime Handlung“, stellte aber den historischen Hintergrund der zu erwartenden russischen Rechtfertigung dar: Unter Chruschtschow wurde die Krim 1954 aus der russischen Kernrepublik der Sowjetunion ausgegliedert und der Ukraine angegliedert. „Damals machte das im Grunde keinen Unterschied, und so werden die Russen behaupten, sie holten sich etwas zurück, das ihnen gehöre.“ In Washington grassieren pathologische Beschreibungen des russischen Präsidenten, der als Schurke oder Verrückter oder beides dargestellt wird. Die frühere Außenministerin Madeline Albright verstieg sich zu der These, er leide unter Wahnvorstellungen. Gates dagegen behandelte Putin in seiner eingehenden Lageanalyse als rationalen Akteur. Nach aller historischen Erfahrung fördert es die Rationalität der eigenen Entscheidungen nicht, dem Gegner die Berechenbarkeit abzusprechen. Dass Putin in der Krimfrage die Initiative ergriff, zeigt für Gates, „was für ein geschickter Politiker er ist“: Er sah die Chance, den großen strategischen Rückschlag der Entmachtung seines Verbündeten Janukowitsch in einen Sieg umzuwandeln.

Dass weder der stellvertretende Sicherheitsberater noch die republikanischen Kritiker Obamas am Sonntag etwas dazu sagen konnten, welche amerikanischen Taten auf die verbale Verurteilung der erwarteten Annexion folgen sollen, gab der pessimistischen Einschätzung von Gates recht, wonach die taktischen Optionen für Washington „ziemlich beschränkt“ sind. Sanktionen wie Einreisebeschränkungen oder das Einfrieren der Guthaben bestimmter russischer Kunden bei amerikanischen Banken würden keinen abschreckenden Effekt auf Putin haben, und direkte militärische Optionen gebe es nicht.

Gates wies den Vorwurf seiner republikanischen Parteifreunde zurück, Obama habe durch sein zurückhaltendes Auftreten Putin geradezu ermutigt. Putin habe eine solche Ermutigung nicht gebraucht; Gates erinnerte außerdem daran, dass Russland während der Präsidentschaft von George W. Bush in Georgien einmarschierte, obwohl Bush nicht als Schwächling verschrien war. Als ernsten Fehler bewertete Gates hingegen die von seinem Nachfolger Chuck Hagel angekündigte Kürzung der Militärausgaben. Durch eine Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen sieht Gates die weltpolitische Situation geprägt. Russland, China, Japan, Iran und Nordkorea: „Sie operieren mit dem Modell des Nationalstaats aus dem zwanzigsten Jahrhunderts. Grenzen sind wichtig, strategische Interessen sind wichtig. Politik ist ein Nullsummenspiel: Ich gewinne, du verlierst. So betrachten diese Länder die Welt. Unsere Sichtweise und die der Westeuropäer unterscheidet sich davon.” In der revolutionären Tradition der amerikanischen Außenpolitik gibt es eine Linie der Kritik der traditionellen Mächtepolitik. Kann Gates sagen wollen, dass Amerika wirklich keine wichtigen strategischen Interessen habe? Oder stellt er mit instinktivem Bedauern fest, dass seine Landsleute strategische Interessen nicht mehr wichtig nehmen? Die neokonservative Vorstellung, die Europäer unterschieden sich durch ihre postheroische Denkungsart von den Amerikanern, teilt Gates jedenfalls nicht.

Eine Lageanalyse gemäß den klassischen Grundsätzen der Gleichgewichtsdoktrin nahm in der gleichen Sendung Senator Rand Paul aus Kentucky vor. Er hat das politische Erbe seines Vaters Ron Paul angetreten, zu dessen freikonservativen Prinzipien die Skepsis gegenüber außenpolitischen Abenteuern gehört. Den Verdacht, er rede der Abwendung Amerikas von der Welt das Wort will er ausräumen; er stellte sich in die Tradition der Realpolitik und berief sich auf Henry Kissinger. Zwar blieb er eine Verurteilung der russischen Absichten nicht schuldig, aber er setzt darauf, dass das russische Eigeninteresse dem Expansionsdrang seine Grenze ziehen wird: Eine Annexion der mit Russland sympathisierenden Regionen der Ukraine sei für Putin gar nicht wünschenswert, weil die Rest-Ukraine dann ohne Opposition, mit der Russland sich verbünden könnte, ins westliche Lager übergehen würde.

„Wenn Russland sich wie ein Schurkenstaat verhält, wird die Gemeinschaft der zivilisierten Nationen das Land isolieren.“ Hier gebrauchte Paul die Formel, auf die sich an diesem Sonntag eine große Koalition einigen konnte. In einer Lage ohne Option diente „Isolation“ als Zauberwort – in zweifacher Verwendung. Die Bösen müssen isoliert werden, die Guten dürfen sich nicht isolieren. Isolationismus ist das Undenkbare, daran muss sich jedenfalls rhetorisch auch Paul halten. Kurios eine Epochenbestimmung, die der republikanische Abgeordnete Peter King aus New York bei „Meet the Press“ vornahm. „Wir leben nicht mehr in der Zeit von Charles Lindbergh.“ Hatte Lindbergh in Kings Augen denn bessere Gründe für seine Warnung vor dem Engagement Amerikas in der alten Welt? Beruht die Tabuisierung des Isolationismus nicht auf dem Glauben, dass Lindbergh Unrecht gehabt hat? In innerrepublikanischen Geschichtsdebatten wird kein Präsident so verbissen verteidigt wie Franklin Roosevelt.

Dass die Weltgeschichte einen Rückzug Amerikas auf sich selbst unmöglich gemacht habe, postulierte Rogers. „Die beiden Ozeane um die Vereinigten Staaten isolieren uns nicht mehr vollständig.“ Der ozeanische Abstand zwischen neuer und alter Welt war die Begründung für eine Forderung der amerikanischen Staatsräson, die unter dem Namen der Monroedoktrin ins Völkerrecht einging. Präsident James Monroe postulierte 1823, dass europäische Mächte sich aus Angelegenheiten des amerikanischen Kontinents herauszuhalten hätten. Als kontinentale Vormacht nahmen die Vereinigten Staaten in der eigenen Hemisphäre ein Interventionsrecht heraus, wie es heute Russland im eigenen Vor- und Hinterhof natürlich erscheint.

Das von Rogers beschriebene Zusammenrücken der Welt hat nun nicht dazu geführt, dass die Amerikaner ihre Rolle als Ordnungsmacht in der Nachbarschaft aufgegeben hätten. Im Gegenteil: Diese Nachbarschaft umfasst heute die ganze Welt, und für die Ukraine interessieren sich die Vereinigten Staaten ebenso stark wie für Kuba. Blinken, der stellvertretende Sicherheitsberater, bestimmte das Ergebnis des Umsturzes in der Ukraine als den Übergang der Macht an eine Regierung, „die sich stärker am Rest der Welt und am Westen orientiert“. Der Rest der Welt, der Westen: Diese Begriffe sind wohl als Synonyme zu verstehen.


2 Lesermeinungen

  1. Devin08 sagt:

    Ob eines alten Mannes wahnhafter Rache
    Auch und gerade wenn man kein Fan Putins ist, sollte man ihn nicht unterschätzen. Putin denkt nicht daran, für einen Ernest H. alias Zbigniew Brzezinski den Bären zu spielen, den dieser zu erledigen wünscht. Und Obama scheint ja seinem „Berater“ aufs Wort zu folgen. Unter dem Titel „Die Welt als Schachbrett“ hat Hauke Ritz schon 2008 in der Zeitschrift „Hintergrund“ den neuen kalten Krieg des Obama-Beraters Brzezinski dargestellt. Doch will Obama das Schicksal der Zarin Alexandra wiederholen, die da von ihrem Rasputin nicht lassen wollte? Wenn Brzezinski die Früchte seines (vielleicht nur Alters-) Starrsinns zu seinen Lebzeitennoch ernten will, dann muss das bald geschehen. Und China hat sich bisher nicht sonderlich beeindrucken lassen, sowenig wie der Iran, der, während Putin seine Zeit zielsicher nutzt, mit der seinigen noch ein wenig blufft. Darauf bauend, dass die Russen das bessere Schach spielen. So nah waren wir jedenfalls einem 3. Weltkrieg noch nie (nicht einmal während der Kubakrise); und das vielleicht nur ob eines alten Mannes wahnhafter Rache.

  2. rimitino sagt:

    Realistisch und verständlich
    Ein realistischer Artikel, analytisch und verständlich berichtet! Sie tragen dazu bei,
    dass wir Leser aufmerksam reagieren und uns auch für gute Arbeit bedanken können. Ich bezeichne Sie als einen wissenschaftlich arbeitenden Journalisten! Ich freue mich,
    dass ich Sie entdeckt habe!

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