Was ihr errafft an Geld und Gut, Schmuck, Schuh, Gewänder aus den Schränken
Vertut´s, bevor ihr Schlimmres tut, für Wein und Weiber in den Schenken
Francois Villon, Ballade von der guten Lehre
Oder auch: Ein Thema, mit dem man sich wenig Freunde macht, aber, wie der bekannte bayerischen Politikphilosoph Franz Josef Strauss einst so treffend bemerkte: Eveybody´s darling is everybody´s Depp. Natürlich, das sei unbestritten, gibt es gewisse Ressentiments auf reiche Erben. Ich kenne sie nur zu gut, musste ich mich doch einst selbst gegen die Lüge eines vom Schicksal und schlechten Quellen fehlgeleiteten Schreibers wehren, vom Erbe meiner – im Übrigen quicklebendigen und sehr robusten – Vorfahren zu leben. Wie alle aus meiner Schicht bin ich reichlich sensibel, wenn es um Familienbelange geht, aber im Lauf der Diskussion um dieses Vorgehen, das in seiner Schneidigkeit gegen ein sog. “Gesellschaftsmagazin” aus der sog. “Hauptstadt” nichts von den Ehrenhändeln des 19. Jahrhunderts missen ließ, stellte jemand eine Frage, die mich seitdem umtreibt: Was wäre eigentlich so schlecht daran, als reicher Erbe ohne die Mühsal einer Erwerbsarbeit seinen Neigungen nachzugehen?
Denn die alte, allgemein gültige Weisheit, dass es die erste Generation erwerbe, die zweite erhalte und die dritte verschwende, stimmt so nicht mehr. Dank effektiver Geburtenkontrolle in den 60er Jahren laufen breite Familienbesitztümer heute auf wenige Einzelkinder ohne familiäre Ambitionen zu, und deren Eltern, mit den Früchten ihrer Erziehung konfrontiert, finden heute genügend halbwegs solide Produkte auf dem Bazar der Finanzindustrie, die einer schnellen Verschwendung in Monte Carlo oder Berlin entgegenwirken, wie man sie aus dem 19. Jahrhundert kennt. Ich darf an dieser Stelle zugeben, dass viele meiner geschiedenen oder alleinstehenden Altersgenossinnen in eben jene Kategorie fallen und, von Arbeit gelangweilt oder vom Rosenkrieg zermürbt, für Zerstreuungen aller Art stets erreichbar sind.
Natürlich gibt es eine Fassade, die diesen Zustand kaschiert: Sie haben in aller Regel irgendeine gesellschaftlich akzeptierte Betätigung, leitende Mitgliedschaft in einem Kulturverein etwa, oder einen staubigen Schreibtisch in einem verschlossenen Büro in der Firma eines Verwandten. Natürlich sähe es die öffentliche Empörung gerne, würde ich hier nun die Makel dieser Geschöpfe aufzählen, ihre Neurosen, ihre Unsicherheit, der vergebliche Wunsch nach einem Kinde oder das, was der Volksmund stets als penetrierenden Eingriff gerne sehen würde, aber:
Ich habe wirklich lange überlegt, das Abgründige gesucht und an losen Seelenfäden gezupft, muss aber letztlich gestehen: Ich kenne kaum ausgeglichenere, höflichere, liebenswertere Menschen als reiche Erben. Natürlich finden sich auch Ausrutscher, nicht immer gelingt die Transformation, und man endet bei jenen, die man in den Medien antrifft: Manche prügeln Leute nieder, andere treten im Privatfernsehen auf, wieder andere übernehmen öffentliche Ämter oder gar Ministerposten in Berlin, wo sie dann wirtschaftliche Sachkenntnis vortäuschen und sich Wählern mit einer großen Kinderschar anbiedern müssen, oder schreiben schlussendlich öffentlich gegen den eigenen Stand Romane oder, moderner und niedriger, Weblogbücher bei Zeitungen, die nicht das Heimatblatt sind.
Im Gegensatz zu diesen Bel Amis und Madame Zizibes jedoch gibt es einen wirklich vorteilhaften Stand schöner, relativ junger Menschen, die in der Provinz bleiben, und der sichere Kernbestand jeder besseren Buchhandlung, des Konzertvereins und der Raumausstatter sind. Sie sind stets auf den Wochenmärkten anzutreffen, keine französische Meersalzbutter ist ihnen zu teuer, und ihr Geplauder mit den Marktfrauen ist reizend und von Respekt geprägt. Sie genießen einen guten Ruf als Gastgeberinnen und würden nie mit nassen Schuhen über den Perserteppich laufen. Entblättert von Prada und Feraud, findet man an ihnen keine künstliche Verunstaltung der Art, wie sie andere Menschen als mit Blauschimmel bemalten Emmentaler erscheinen lässt.
Sie sind, zugegeben, etwas antrieblos. Manchmal überkommt sie an der Stelle, an der andere über den Chef schimpfen, die Kosten der Scheidung berechnen oder Existenzängste besitzen, ein melancholisches Gefühl der fehlenden Perspektive, der Glaube, dass da noch etwas Spannendes kommen müsste, was aber bitte nicht schreit, der Windeln bedarf oder sich später mit Morbus d´Regierungsviertel der Sekretärin zuwendet. Moralinsäure wird hier nicht siegen: Derartige Bedenken sind nichts substanziell und dauerhaft wie ein Chef oder der Untergang unseres geschätzten Nachbarlandes Österreich, sondern flüchtig wie eine Zusicherung, das Geld sei sicher, und so genügt ein Scherz, eine Anekdote aus der sinkenden Finanzwelt oder der Vorschlag eines Wochenendes am Tegernsee, um die blauen Stunden in vergnügliche Zeiten übergehen zu lassen.
Manchen, die nicht so sind, erscheint das sicher als unbefriedigend. Würde man ihnen aber zurufen: Mach was aus deinem Leben! – würden sie erstaunt vom Opernprogramm aufschauen und antworten: Tu ich doch, aber heute bringen sie nur Wagner. Würde man ihnen sagen: Alles Vanitas! würden sie eine Bemerkung über das Leben einer Kassiererin, so zutreffend sie auch wäre, rücksichtsvoll hinunterschlucken, auch das “es kann nicht jeder arbeiten” und anderes aus der ihnen manchmal innewohnenden Boshaftigkeit vermeiden, was man ihnen übel auslegen könnte, und gekonnt das Thema wechseln. Noch etwas Tee?
Man mag das hassen, aber vielleicht möchte man bedenken: Es ist diese Haltung, die handgedruckte Tischdecken bestellt, es ist dieses Klientel, das Stücke bei Rosenthal nachkauft, sie erhalten das Konditorenhandwerk und werfen für Künstler die 50-Euro-Scheine in die Geldkörbe, wenn die Orgelmatinee begeistert hat. Sie verbringen den Tag nicht damit, weitere Reichtümer aus weniger Begünstigten herauszupressen, sie verspekulieren nicht ihr Geld an andere Zocker, sondern führen es behutsam über viele Jahre wieder denen zu, die Arbeitsplätze in Deutschland schaffen und europäische Traditionen am Leben erhalten. Es kann, gestatten Sie mir die Bemerkung, nicht jeder Schuhe aus Kinderarbeit kaufen. Sie tun damit niemandem weh, die Gleichheitsfanatiker müssen sich nur ein paar Dekaden gedulden, bis das Geld wie ein Maienregen versickert ist. Meine Bekannten fänden es aber sehr freundlich, wenn sie solange auch nichts bei Ketten kauften, deren Mitarbeiter an den Ketten der Überwachung oder denen des chinesischen Regimes häingen.
Irgendwann werden sie alt, runzlig und trotz aller Pflege nur noch ein Schatten der einstigen Schönheit. Sie werden inkontinent, dement und sterben und bleiben eine Weile als Erbtante in Erinnerung, und vielleicht erfreuen sie noch ein paar Jahrzehnte den Nachwuchs, wenn sie ein Photoalbum mit all den erfreulichen Begebenheiten ihres Lebens als Tradition weitergeben. Sehen Sie, werte Leser, kurz nachdem das Berliner “Gesellschaftsblatt” die Strafe für meine juristischen Stiefeltritte überwiesen hatte, erstand ich mit eben jenem Gelde in einem Münchner Antiquariat, dessen Besitzer meine Neigung zum öffentlichen Tagebuch kennt, das handschriftliche Diarium einer Dame der Gesellschaft. Sie klebte sorgsam Zeitungsausschnitte ein, die sich mit ihren Kleidern bei öffentlichen Auftritten beschäftigten, und Briefe, in denen ihr Komponisten die Liebe antrugen. Es ist alles sehr eitel, keine Frage, aber selten hatte ich ein entzückenderes Schriftwerk als diese an sich belanglose Kostbarkeit in Händen.
Die Erben, die es für ein paar lumpige Euro an den Antiquar verkauften, arbeiten heute für eine Partei, die sich dem Bestand sozialer Trennung verschrieben hat.