Als Kind war ich vollkommen amoralisch. Ich belog und bestahl meine Mutter ohne Gewissensbisse, ich habe sogar versucht, sie umzubringen.
Claire Goll, Ich verzeihe keinem
Nachdem vorhergehende Versuche nichts gebracht haben, möchte die britische Regierung heute ihren bedrohten Banken ein weiteres Rettungspaket zuwerfen . Weil man in Downing Street 10 vermutlich genau so viel milliardenteuren Sachverstand wie in Hamburg, Kiel und Frankfurt besitzt, wird man die Probleme der britischen Banken nach dem bewährten Muster umfassend lösen, mit dem man sich auch aller Sorgen der britischen Automobilfirmen in den 80er Jahren entledigt hat. Daran werden auch meine umfangreichen Unterstützungsmassnahmen nichts ändern, mit denen ich zwar Briten von den Alpenpässen, nicht aber vom Staatsbankrott fernhalten kann. Immerhin, auch der Inhalt des heutigen Pakets beweist hinlänglich, dass es nicht an mir gelegen hat:
Ich könnte mich stundenlang über die eleganten Linien, das hohe Silbergewicht und die zierlichen Bocksbeine und Hufe begeistern, auf denen die Sauciere steht. Ich könnte über diese Beinchen auf lukullische Ideen kommen, oder gar überlegen, welche frivolen Dinge man damit nach dem Essen treiben könnte – elegantes Aufbringen von Honig und anderen Dingen auf Frauenkörper sollte man keinesfalls dem schnöden Plastik der Ehehygiene überlassen – aber kaum etwas könnte mir in diesen Zeiten ferner als ein Paarungsakt liegen, da ich mit den schlimmen Folgen solcher Betätigung konfrontiert werde.
Ein Skandal erschüttert nämlich unser Städtchen, man darf das nicht erzählen, so schlimm ist das – es ist nämlich so, dass Frau P., die ihre Tochter nach alter Sitte religiös erzogen hat, die Kontrolle verlor, allerdings nicht in Gestalt von Drogen, Tätowierungen oder einem Job bei der Bildzeitung, wie man das vielleicht in diesen Tagen zügelloser Verkommenheit erwarten würde. Nein, der Tochter war der Glaube der Mutter zu lasch, und so suchte sie eine Sekte auf, die neben ihrer Seele und absoluten Gehorsam auch Geld wollte. Geld, das unlängst in großer Menge auf Konten eines reichlich prominenten Erbfalls zutage trat und, wie nun die Anwälte zwischen Mutter und Tochter klären müssen, nicht wirklich berechtigterweise in der Sekte verschwand.
Die Tochter jedenfalls, das weiß man, obwohl darüber nicht geredet werden darf, beruft sich nun darauf, dass es für ihre Erzeugerin doch egal sei, denn auch Frau Mama werde bei ihrem eigenen Tod nichts mitnehmen können. Imaginieren Sie an dieser Stelle eine kleine Pause, um diese Botschaft in Ihr Bewusstsein sinken zu lassen, und denken Sie sich meine Frage “Noch einen Tee” dazu, die Ihnen die Gelegenheit böte, noch schnell das Thema zu wechseln. Nein? Prima. Denn es sind solche greisliche Krawatten, wie wir in Bayern sagen, mit denen es mir und Freunden aus der aussterbenden besseren Gesellschaft leicht fällt, eine kategorische Ablehnung jeder Vermehrung vorzutragen.
Ich lehne Kinder ab. Es gibt wenig, was mich so aus der Ruhe bringt, wie ein quengelndes Balg in meinem Rücken in einer Schlange, aus der es keine Fluchtmöglichkeit gibt. Wir, meine geschätzten Freundinnen und ich, sehen absolut nicht ein, warum wir unser von Wohlstand, Lebensfreude und Touren in die Schweiz geprägtes Leben zwischen dem Ufer des Tegernsees und dem Foyer der Oper zugunsten von Duzizidu und hässlicher alter Weiber aufgeben sollten, die ihre fazialen Faltenansammlung in Kinderwägen stecken. Waren unsere Urgrossmütter noch wahre Wurfmaschinen, hielten sich unsere Großmütter merklich zurück, unsere Eltern kamen dank Pille selten über das Einzelkind hinaus, und wir sind uns der Tradition bewusst und bringen die Sache zu ihrem algebraisch-logischen Abschluss. Zumal wir aus eigener Anschauung sehr genau wissen, wie extrem teuer so ein verzogenes Balg in unseren Kreisen wird, selbst wenn es nur Papas Sportwagen in den Baum setzt und nicht mit dem Vermögen der Erbtante christistischen Gruppen bezahlt, die im Papst einen Verräter des Glaubens an die Juden sehen.
Und bevor jetzt die übliche Frage kommt: Nein. Mir fehlt nichts. Ich habe auch lange genug Angehörige im Altersheim besucht, um zu wissen, dass all die süßen kleinen Bratzen zu 99% später nicht im Traum daran denken, etwas ähnliches zu tun. Auch unsere ultrakatholischen, besseren Töchter schieben im Zweifelsfall die eigenen Kinder vor, um so selten wie möglich das Spital aufzusuchen. Wir werden alle einsam sterben, der Unterschied ist nur, ob die Kinder in Barbados oder nicht existent sind – im zweiten Fall wird man sich vielleicht eine bessere Unterbringung leisten können. Meine Großmutter war so intelligent, diese Mechanismen zu kennen, hielt sich gar nicht mehr bei diesem sentimentalen Blödsinn auf und stellte im Bezug auf das Aussterben die Frage, die einzige Frage, die in diesem Kontext schwer zu beantworten ist: “Was machen wir dann mit unserem ganzen Sach?”
Das ist wahrhaftig ein Problem. Nachdem ich die Vorstellung eines Leben nach dem Tod grässlich finde – irgendwann reicht es, und falls nicht: Könnte man wenigstens die Deppen tot sein lassen? – sind Grabbeigaben wenig sinnvoll. Obwohl ich oft von der Auflösung von Bibliotheken profitiere, finde ich die Vorstellung entsetzlich, dass es meinen mühsam zusammengetragenen Papierschätzen dereinst ähnlich ergehen könnte. Und nur zu oft sehe ich, wie die besten Stücke bei Auktionen in die Hände von Leuten gelangen, die sie kaufen, weil sie teuer sind, und nicht, weil sie etwas davon verstehen. Die Frage, was wir mit unserem Sach machen, berührt in mir Schichten, in die nie ein Kinderwunsch wird vordringen können.
Allerdings ist Nachwuchs zu diesem Zweck so sinnlos wie eine Geldbörse einer Nobelmarke, die exakt das kostet, was man an Geld besitzt. Stiftungen dagegen haben den Nachteil, dass sie schon bald von CSU-Politikern und anderen Nebenwirkungen unseres politischen Systems unterwandert und ausgeblutet werden. Die Lösung jedoch ist überraschend einfach und mit allerbester Tradition gesegnet: Wir werden uns am römischen Adoptivkaisertum orientieren. Denn genau so, wie die Ausrutscher, Gewalttaten und Irren der vorhergehenden und nachfolgenden Dynastien die Unbrauchbarkeit des Prinzips “Kinder” belegen, bewiesen Adoptivkaiser wie Marc Aurel und Trajan das Primat der Kompetenz und der Erfahrung vor all den Neros, Caligulas und Konstantins und ihren Schrecken. Es war die beste Lösung für das römische Reich, das goldene Zeitalter, bevor es immer neue, machtgierige Clans hinabführten in die Fressnäpfe für anstürmende Barbaren.
Unsere Reiche nun werden wir ähnlich angenehm weitergeben. Nicht alle sind in unserem Umfeld schon auf der Stufe angelangt, auf der ich mich befinde; sie pflanzen sich fort und bringen ihren Kindern bei, dass dies etwas vollkommen richtiges ist. So manches Kind wird sich anders entwickeln, wie etwa die junge Frau T., die, wie man allgemein in meinem Umfeld weiß, im Schulchor mit ihrer göttlichen Stimme verzaubert und im normalen Leben das Gegenteil ihrer engelsgleichen Erscheinung darstellt, in der die mütterlich-taiwanesischen Gene glücklicherweise breite Schneisen durch das bayerische-formlose Erbmaterial des Vaters geschlagen haben. Die junge Frau T. ist das absolute Gegenteil der oben geschilderten Frau P.. Sie wird sicher einmal eine große Dame, und ich denke, dass man solchen Frauen gerne das antragen kann, was vom Besitz nach einem erfüllten Leben noch übrig ist. So eine Tochter wäre vielleicht gar nicht so entsetzlich schlimm, aber warum sollte man sich dem Risiko eines christistischen Fehlschlags aussetzen, wenn es andere bereitwillig tun?
Wenn ich also mit diesem Dasein abgeschlossen habe, werde ich mich nach einer geeigneten Person umschauen, sie finden und entsprechend bedenken. Ich möchte nicht verhehlen, dass ich mir keinesfalls Juristen oder gar BWLer erwähle; für meinen Nachlass braucht es eine Kunstgeschichtlerin oder eine nicht ganz erfolgreiche Mezzosopranistin, schöngeistig sollte sie sein, ein selbstbewusstes Auftreten kann nicht schaden, und ideal wäre es, wenn ihre Frau Mama in jungen Jahren sehr schön und ihr Gatte sehr blöd gewesen wäre. Dann nämlich hätte ich auch im Sterben noch etwas von meinem Sach: Nicht nur die Gewissheit, dass all unser Besitz in den besten Händen ist. Ich werde ein letztes Mal für einen Fetzenskandal sorgen, denn natürlich redet man darüber nicht, aber man wird sich schon fragen müssen, wieso der gerade diese Tochter… also, die Mutter, die war ja früher, da hörte man so Sachen… und der Mann, also bei dem hat man sich schon immer… und die Tochter, also, wenn man die so anschaut, die ist auch ein ganz anderer Typ, die kommt mehr dem Erblasser nach… also, man darf das ja nicht gleich denken, aber…
Lachend werde ich dieses Dasein verlassen. Und man wird noch lange über mich sprechen. Von Adoptivkaisern lernen heißt ruhmvoll Aussterben lernen.