Es hasst unser Geist alle Dinge, die von Missvergnügen begleitet sind.
Baldassare Castiglione, Der Hofmann
Einer der besseren Marketingtricks der katholischen Kirche war die Erfindung von besonders heiligen Zonen innerhalb ihrer Gotteshäuser. Auf den Friedhöfen wollte man demzufolge möglichst nah an den Kirchenmauern liegen, in der Kirche jedoch gerne weit vorne und idealerweise im Chorraum, wo besonders viel gebetet, geglaubt und verehrt wurde, was nach christlichem Glauben bei der Endabrechnung positiv zu Buche schlagen sollte. Ausserdem sind im Altar auch die segensreichen Reliquien, deren sündenwaschende Ausstrahlung während der Übergangszeit im Fegefeuer den Verstorbenen das ein oder andere Jahr der Qualen ersparen konnte. Wie ein ordinärer Billigflieger verkaufte auch in der Kirche unterschiedliche Preisklassen, nach denen sich die Ruhestätte der Verstorbenen berechnete. Und selbst in unseren aufgeklärten Zeiten, da man eher gewillt ist, eher an den Steuerberater und den abgabenmindernden Filmfonds zu glauben, mag es ganz angenehm sein, bei der Flucht des Geldes in die Schweiz durch den Ort Laatsch in Vinschgau zu fahren. Denn in Laatsch liegen unter dem Chorraum der Kirche keine Toten – unter diesem hochheiligen Ort liegt die Strasse nach Müstair in Graubünden, und sollte der Katholizismus alter Schule doch recht haben, gibt es dort einen Segensdusche, die beim Grenzübertritt mit unversteuerten Geldern hilfreich sein kann.
Ansonsten ist es dort unten trocken. Das ist famos, denn an solchen Tagen wartet nur eine kurze Wegstrecke mit dieser Annehmlichkeit auf. Ein Tag, an dem man wirklich nur in die Schweiz fährt, um dort das Geld zu verstecken. Nichts anderes könnte sinnvoll erklären, warum man sich 250 Kilometer in Grau und Schwarz wie aus dem seriös wirkenden Prospekt einer Bank antut. Das Wetter ist so mies wie das Klima an den Börsen, und man würde keinen Hund und keinen Zöllner vor die Tür jagen. Vor mir am Achenpass ist eine schwäbische M-Klasse in Schwarz mit goldenem Bodenseeaufkleber am Heck: So stelle ich mir die idealtypischen Geldschmuggler vor. Niemand hält sie auf. Vor und hinter der Grenze – keine Staatsgewalt.
Auch ich komme problemlos durch. Ein Hohn für all die klugen Grünwalder, die in den letzten Jahren beim Steuerbetrug die Dienste bekannter Privatbanken in Anspruch nahmen, die den Transfer des Geldes im Transporter gegen einen gar nicht so kleinen Obulus bewerkstelligten – durch die Liechtenstein-Affaire kam das alles trotzdem ans Licht, Strafverfahren plus Kosten für den Transport, Gott hasst manchmal die Steuerhinterzieher. Nur bei Wattens lauert ein österreichischer Jäger am Strassenrand auf deutsche Raser. Die wenigen Hindernisse sind reichlich ungeschickt tankende Schwaben, die ausser der Selbstverbrennung alle nur denkbaren Fehler machten, ein lahmer Opel Kombi und ein VW-Bus auf dem Reschenpass, bevor ich den Alpenhauptkamm überschreite.
Unten bei Mals geht es rechts ab Richtung Schweiz. Auf diesen 10 Kilometern zum sicheren Hafen ändert sich das Bild; das Tal verengt sich, die Dörfer sind nicht mehr herausgeputzt, sondern bröckeln graubraun vor sich hin, und die alten Menschen am Strassenrand, die ihre Hühner beaufsichtigen oder Heu in Ställe tragen, machen faltig und braun gegerbt einen wenig gepflegten und ärmlichen Eindruck. Die Strasse wird so schmal, dass nur ein Auto Platz hat; für die Entgegenkommenden halte ich an, fahre zurück, und habe ein wenig Zeit, sie zu studieren. Es sind auffallend viele Deutsche. Und es sind auffallend viele grosse Wägen. Sie bilden einen reichlich süddeutschen Kontrast zur Umgebung, draussen die schiefen Häuser und Menschen mit Lücken in Mauern und Zahnreihen , drinnen, hinter dem glänzend-dunklen Lack, Pelze, Leder, Holz, täuschend echte Brücken und gestraffte Haut, vielleicht auch feine Musik, ein Cellokonzert etwa oder Ouvertüren von Fasch. Die Strasse windet sich durch Wälder und verschneite Wiesen, bis die Grenze zur Schweiz erscheint.
Die italienische Finanzpolizei lässt sich Zeit und redet mit dem Fahrer des Wagens vor mir, lacht ein paar mal und winkt ihn durch. Für mich hat die Staatsgewalt keinen Blick, egal wie auffällig die Geldtasche neben mir liegt. Unser alter Freund, der Schweizer Grenzer, der ab heute unser Feind sein sollte, lässt mich in vollkommenem Gleichmut passieren. Keine kritischen Blicke, keine Fragen, nichts. Auf der anderen Seite verlässt ein metallgrauer Chrysler aus München die Schweiz, der Fahrer mit diesem bestimmten “Ihr könnt mir gar nichts”-Grinsen im Gesicht, für das ich ihn bis auf die Unterhose – aber auch er muss kaum anhalten.
Ich fahre durch das mit Banken gespickte Müstair, halte neben einer Filiale und kaufe gegenüber Torta da Nuosch in goldener Verpackung, was neben Käse und dem karolingischen Kloster eine der anderen Gründe ist, in dieser Zwischenzeit hierher zu kommen. Die Menschenjagd in den Bergen jedoch – es ist doch so: Das bringt für den normalen Steuerhinterzieher nur etwas, wenn man das Geld der unversteuerten Rendite willen in der Schweiz auch anlegt. Am besten in spekulativen Anlageformen, von denen der heimische Bankberater keine Ahnung hat: Derivate, Dachfonds für Hedge Fonds, Produkte auf Basis von CDOs, eine Firma namens Madoff, und was es sonst noch an Geheimtipps gibt. Dinge, die in den letzten Jahren traumhafte Gewinne bescherten, und im letzten Jahr kaum besser aussahen, als die mit Rissen durchzogenen Mauern von Laatsch und Taufers.
“Stupid German Money” ist der Fachterminus der internationalen Anlagebranche für die sauer ersparte Zuwendung der Pharmaindustrie an Ärzte, für die von Grossvater geerbten Assets, die man beim Finanzamt nicht angegeben hat, für die Einnahmen aus der Auftragserteilung und all die schönen, leicht illegalen Kickbacks aus Bau- und Filmbranche. Wie gewonnen, so zerronnen, sagte meine Grossmutter immer. Und: Das ist alles noch kein Unglück. Nicht alle grossen Wägen mit deutschen Nummernschildern, die mir beim Weg nach Südtirol entgegenkommen, haben glücklich aussehende Sportsfreunde am Steuer, die diese Einschätzung teilen würden. Die Menschenjagd in den Bergen hat auch heute den Schweizer Zöllner nicht zu fürchten – sehr wohl aber den Schweizer Anlageberater, die bilanzrote Disqualifizierung nach dem Rennen, und den nächtlichen Alptraum, in dem man in den Keller geht, das Schliessfach öffnet und aller Besitz, in einen grünen Schleim verwandelt, herausspritzt über Kiton-Anzug und Ozelotpelz, sich durch Haut und Knochen frisst und doch keinen Ort findet, an dem je eine Seele, oder auch nur etwas Geist gewesen wäre.
Es ist in dieser grauen Jahreszwischenzeit gar nicht so leicht, ein Hotel für die Nacht zu finden, aber ich bin oft in dieser Gegend, und der Segen aus Laatsch reicht auch noch bis ins Vintschgau. In einem alten Adelssitz mitten in Naturns, heute der Gasthof Goldene Rose, finde ich auch diesmal wieder freundliche Aufnahme für die Nacht, ein schönes Zimmer, die versprochenen Schlutzkrapfen und Aussicht auf nebelverhangene Berge, schemenhaft und ungewiss in ihrer Grösse, aber auch schwer und massiv wie die alles zermalmende Krise, die auch vor den Depots in den höchsten Bergtälern nicht halt macht.