Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Menschenjagd in den Bergen III

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Nehmen wir an, Sie haben ausgesorgt. Gut, das ist hochgradig unwahrscheinlich in Tagen wie diesen, aber nur mal angenommen: Dann wäre Meran doch gar nicht schlecht für Sie. Angenehmes Klima, schöne Gegend, viele Gleichgesinnte und wirklich reizende Gespenster aus der guten, alten Bundesrepublik.

Wir tanzen Tango und gründen noch eine Partei,
und eines Tages, Franz Josef, sind Sie und der Spuk vorbei.
Georg Kreisler, Treten Sie näher

(Teil 1, Teil 2)

Ich esse kein Fleisch. Ich habe nur für sechs Wochen damit aufgehört, als ich meine Liebste moralisch bei ihrem Versuch eines vegetarischen Lebenswandels zu unterstützen gedachte , und bin dabei geblieben. Ich gehe seitdem ungern in Metzgereien. Wenn man sich das Gezeigte als Leiche vergegenwärtigt, ist das Angebot reichlich gruslig, selbst wenn es, wie in Meran unter den Lauben, mit fast schon italienischer Liebe dargeboten wird. Ich bin dort, weil ich Bekannten Kaminwurzen mitbringen soll. Die Metzgerin mit der überraschend blutlosen Schürze erzählt, dass sie sehr gute Hirschen haben, die werden gerade oben am Stilfser Joch gezielt abgeschossen, bitte, hier, möchte ich probieren, sagt sie, und reicht mir einen Teller mit allerlei totem Tier, das ich dankend ablehne und auf Nachfrage zugebe, dass Fleisch nicht das meine ist, aber für meine Bekannten hätte ich gern ein Dutzend Hirschwürste.

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Die Verkäuferin schneidet einen Strang Würste ab, die Tür öffnet sind, und ich stelle zu meiner Überraschung fest, dass sie sich zu einer Pforte der Unterwelt verwandelt hat, denn herein tritt Franz-Josef Strauss. Er wirkt 10 Jahre jünger, die Zeit im Erdreich hat ihm nicht geschadet, wie man sieht. Er ist immer noch sehr rund, und Hunger hat er nach all den Jahren auch, viel Hunger, denn er klatscht in die Hände und sagt etwas auf italienisch. Offensichtlich hat er auch eine neue Frau gefunden, und er ist laut und derb wie immer. Das Italienische passt zu ihm. Vielleicht arbeitet er jetzt bei der Lega Nord, die würde ihm gefallen. Die Metzgerin wickelt meine Würste in Papier, reicht sie über den Tresen und schickt mich zur Kassa, während aus dem Paket der penetrante, fettige Gestank von geräuschertem Hirsch aufsteigt. Franz Josef Strauss begeistert sich inzwischen, wie könnte es anders sein, für Lardospeck, eine geräucherte Schweinesparte, und ich sehe, wie sein eigenes, üppiges Nackenfleisch über dem speckigen Hemdkragen – dort unten gibt es vermutlich keine Waschmaschinen – lustig bei jeder Bewegung zuckt. Seine Frau trägt übrigens schweinchenerosa.

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Ich verlasse den Metzger reichlich schnell, bevor Strauss sich an mich und meine nicht gerade nette Reaktion auf seinen ersten Tod erinnert, denn das wäre mir fast so unangenehm wie ein entsetzlich berufsjugendlicher Fernsehmoderator, der mich für die Bildzeitung anquatscht. Dafür treffe ein paar Schritte weiter den alten Flick. Fast. Aber sehr ähnlich, im flüchtigen Blick. Ich bin mir nicht so sicher. Den Strauss habe ich persönlich erlebt und ausgepfiffen, den Flick habe ich dagegen nie getroffen. Könnte sein. Aber es ist schwer zu sagen, an diesem regnerischen Tag in Meran, an dem die Touristen alle in die Lauben gehen und einkaufen. Lauter alte Menschen, denen es sichtlich gut geht. Reiche, wohlgenährte Menschen. Ich eile weiter zu Frasnelli, um einer Bekannten das sehnlichst gewünschte Speckmesser zu kaufen, eine handgeschliffene Geheimwaffe für matschige Tomaten. Herr Frasnelli bedauert: Ausverkauft. Komplett. Kommt frühestens Ende des Monats wieder. Vielleicht war es doch der alte Flick vorhin, der hier wie eh und je alles zusammengerafft hat.

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Durch die Lauben gehe ich zurück zum letzten guten Tortencafe nach k.u.k.-Tradition, bevor weiter südlich die italienische Tortensahelzone beginnt, denn schon in Bozen sind keine guten Konditoren mehr. Ich setze mich auf rotes Plüsch, lese in den Dolomiten die Belanglosigkeiten aus der Region und die Todesanzeigen, während von nebenan die Sprachfetzen einer Seniorengruppe herüberdringen – Kreuzfahrt… neuer Wagen… letztes Jahr in Cortina…. das Palace Hotel ist… ob man nach Trautmannsdorf … hat doch wieder geheiratet, wissen Sie nicht… ja, gerne noch ein Stück vom Marillenstrudel… und dann habe ich dem Arzt gesagt… nächste Woche fliegen wir ja nach Mallorca… das macht mir doch nichts, wenn die die Rente erhöhen, das können sie behalten… die nehmen uns alles… so gut sind die Konditionen bei Mercedes aber auch nich..t. Deutsche Rentner. Die wahren Herren der Welt. Keine armen Schweine wie ihre amerikanischen Kollegen, deren Firmen gerade ein Billionenrisiko vor sich herschieben, das in den nächsten Monaten noch lustige Folgen haben wird. Ich schaue hinüber, aber Norbert Blüm ist nicht dabei. Oder doch? Ausgesprochen gesund aussehende Leute, die 1968 vermutlich in Berlin Steine auf einen Staat warfen, der sie zu Lehrern und Beamten, zu Managern und  Chefärzten machte. Keiner hat Frankfurter Börsenaugenringe, oder frisst Hamburger Frohmacher der Werbebranche vom Frühstücksbuffet. Sie sind unkündbar und arbeiten 120 Stunden die Woche beim Nordic Walking und im Wellness Ressort, und liefern eine schöne Vorstellung einer Zukunft, die niemand aus meiner Generation so einfach wird haben können. Aus meiner Tüte steigt langsam wieder der Geruch der toten Hirsche empor, ich zahle, gehe und haste durch den warmen, weichen Frühlingsregen am einzigen nicht gesund wirkenden Menschen des Tages vorbei zu meinem Wagen.

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Vor mir, hinter mir, neben mir, überall sind diese grauen Herrschaften, ein alter Mann jenseits aller Hoffnung dreht sich nach einer Italienerin mit kurzen Haaren und hohen Absätzen um, die über den Marmor unter den Lauben stolziert, man nimmt in diesem Alter eben mit, was man noch kriegen kann, man leistet es sich ohne Rücksichten, ohne einen Gedanken an die stürzenden Kurse. Man braucht diese Rentner, denn sie kurbeln einen Konsum an, den sich die Jungen auf ihren ausgereizten Kreditkarten nicht mehr leisten können. Mir langt’s, meinte eine Frau im Cafe, ihnen allen wird es langen, Meran wird schön und mild bleiben, und wenn Berlusconi das Land in den Bankrott wirtschaftet, wird es eben noch billiger, als es ohnehin schon ist, mit Kaminwurzen, die nur ein Viertel dessen kosten, was man in Frankfurts Kleinmarkthalle von hungrigen Bankern und abgewirtschafteten PR-Managerinnen haben will.  Hier ist es mild, hier kann man es aushalten und alt, sehr alt werden, wenn andernorts die Politik überall ausser bei der Rente versagt, und mit ihren Ahnherren Strauss und Adenauer jederzeit durch die Tür kommt, um sich Dank für diesen letzten Rest der alten Bundesrepublik bezeugen zu lassen.

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Zum Glück bin ich keine Zwanzig mehr, ich gehöre nicht zu denen, die den neuen und ungleichen Verteilungskampf der Dispokreditösen gegen die Gerontokraten führen müssen, dessen Ausgang so bombensicher wie die Überalterung der Gesellschaft ist. Ich verlasse Meran Richtung Norden, hoch ins Passeier Tal und dann über die gesperrte Strecke des Jaufenpasses hinein in das lichte Schneetreiben, vorbei an gestürzten Felsen und abgerutschten Hängen, bis der Schnee die Strasse unpassierbar macht und die Reifen den Fliehkräften kaum mehr standhalten. Auf 1800 Meter drehe ich wegen der Lawinen um, fahre über Bozen, Brixen und den Brenner zurück nach Innsbruck, keiner hält mich auf, kein Tafelpapiere suchender Zöllner und kein rachsüchtiger Geist von Strauss, aber dafür stinkt mein Auto gotterbärmlich nach dem fauligen Fleisch der Hirsche, die am Ortler abgeschossen wurden und nun gestopft und unausweichlich in der Wursthaut stecken, wie wir alle in der Krise feststecken, die wir jenseits der reichen Rentner und den letzten Wohltaten der alten, hinter mir im Schneetreiben verschwindenden Bundesrepublik in Meran leben, während am Achenpass das neue Deutschland mit seinen Horrormeldungen auf mich wartet.