Eine Revolution ist sicher die autoritärste Sache, die es gibt, ein Akt, durch den ein Teil der Bevölkerung seinen Willen dem anderen Teil durch Flinten, Bajonette und Kanonen, alles das sehr autoritäre Mittel, aufzwingt; und die Partei, die gesiegt hat, muß ihre Herrschaft durch den Schrecken, den ihre Waffen den Reaktionären einflößen, behaupten.
Wladimir Iljitsch Lenin, Staat und Revolution
Auch, wenn es meiner Klasse nicht gefallen mag, und ich mich damit von der ein oder anderen Einladungsliste für Gartenpartys streiche: An massiven Steuererhöhungen für die bessere Gesellschaft führt in der aktuellen Lage kein Weg vorbei. Der Staat braucht Geld für die Behebung von Schäden, die durch einen Finanzkapitalismus entstanden, dessen Ursachen in den sozialen Veränderungen der letzten 25 Jahre liegen: Durch den rapide steigenden Reichtum der Oberschicht, durch die politisch geförderte Umverteilung von unten nach oben entstanden Vermögen, die zu groß waren, als dass man sie wie früher nur in realen Werten hätte anlegen können. Diese Reichtumsblase, dieses Geld, das dem Konsum entzogen wurde, suchte neue, renditeträchtige Anlageformen.
Der sträflich gefährlichen Erfindungen der New Economy, der Derivate und der Hedge Fonds standen und stehen vermögende Kunden gegenüber, die mehr Zinsen, mehr Profit, mehr Akkumulation von Reichtum wollten – und heute feststellen, dass sie ihr Geld nicht durch die Weltrevolution, sondern durch ein, sprechen wir es ruhig mal aus, weitgehend bankrottes Weltfinanzsystem mit anschließender Inflation verlieren werden, dank der Neigung der Staaten, wie England Geld zu drucken , oder wie Irland zukünftige Pensionszahlungen in kaputte Banken zu stopfen – etwas, das den USA mangels Pensionen verwehrt ist.
Nun sind wir in Deutschland in einer relativ komfortablen Situation. Statt den Sozialstaat zu plündern oder die Geldpresse anzuwerfen, gibt es wirklich viele Reiche, denen eine Zwangsanleihe oder ein höherer Spitzensteuersatz bei gestrichenen Steuervorteilen nicht wirklich weh tun würde. Das Privatvermögen ist auch nach anderthalb Jahren Weltwirtschaftskrise immer noch so groß, dass man Österreich oder andere verschuldete Balkanstaaten einfach aufkaufen könnte, und genug für die kommenden Jahre der Dürre hätte.
Würden sich die Reichen entschließen, das kommende Jahr nicht so elend zu sparen, sondern in Saus und Braus zu leben – hier ein 6er BMW für den Sohn, bald eine amüsante Weltreise, luxuriöse Gartenfeste, die gesellschaftliche Ächtung von Müllkaufhäusern und der Bildzeitung, vielleicht eine kleine Villa am See, einige Privatdrucke oder ein paar Kubikmeter Leipziger Schule für den Hobbykeller – würde es der Wirtschaft blendend gehen. Weil aber die bessere Gesellschaft genau das Gegenteil macht, und Discounter und Gossenmedien, deren leitende Mitarbeiter nicht den Eindruck machen, man könnte risikolos auf ein herausragendes Verhältnis zum Thema Tischsitten wetten, auf dem Vormarsch sind, gibt es als Rezept für diese unschöne Sparsamkeit wie aus dem “Blockviertel” eigentlich nur eines:
Diejenigen, die überproportional profitiert und das ganze Unheil durch ihre Begierde nach Geldanhäufung mit angerichtet haben, auch zahlen zu lassen. Wenn man die feinen Leute erst mal vor die Wahl stellt, das Geld dem Finanzamt zu geben, oder es im Konsum zum allgemeinen Wohle zu verschwenden, werden sie wieder anfangen, ihre Sofas mit Stoffen für 300 Euro den Meter zu beziehen, teure Autos zu kaufen und Immobilien zu restaurieren, und damit ihre Geldanhäufung wieder in Umlauf zu bringen. Nirgendwo steht geschrieben, dass Umverteilung in maroden Bankbilanzen enden muss.
Außer, und das ist die Krux, in der Veranlagung der Regierenden. Ich will beileibe nicht behaupten, dass Personen wie Graf Lambsdorff ein Ausbund an sozialem Ausgleich waren, aber es scheint, dass nichts die bessere Gesellschaft besser mästet, als Regierungen, die von politischen Aufsteigern aus unluftigen Nichthöhen geleitet werden. Dass sich reiche Politiker selbst bedienen und vom Waffenlobbyisten Geldkoffer erhalten, liegt in der Natur der Sache und gilt fast schon als Brauchtumspflege. Der Wunsch, dabei zu sein, die Anbiederung, das Reindrängeln, das Hofieren der übrig gebliebenen Reste der besseren Gesellschaft dagegen wurde Kleinbürgern und der Mittelschicht perfektioniert. Der streberhafte Kohl, der Brioni-Schröder, der industrielle Clementismus, der Championsleague-Stoiber und nicht zuletzt das wirtschaftsbeirateske Teuerfriseuraussitzen merkelscher Prägung, das alles steht für eine Anbiederung an Kreise, die hintenrum vermutlich nicht wenig maliziös lächeln, über die Bereitwilligkeit, mit der Politiker aus weniger begüterten Kreisen für einen Brocken Anerkennung vieles zu tun bereit sind.
So ein Politiker gewöhnt sich natürlich schnell und früh an die Annehmlichkeiten gesellschaftlicher Akzeptanz, die ihm einen begrenzte Zugang zu den besseren Kreisen gewährt. Jedem ist klar, dass er von Opern nichts versteht, aber man lässt es ihn nicht wie der Metzgermeistersgattin spüren. Man bedrückt ihn nicht mit Erzählungen von besseren Vorfahren, die er sich allein schon aus Wahrung der Volksnähe nicht erfinden darf. Man verdreht nicht die Augen, wenn der Politiker das Areal um seinen Teller in ein Kabul en miniature verwandelt, und gibt ihm nachher eine Zigarre. Man ist nett und freundlich, solange man das bekommt, was man möchte, kurz, man behandelt ihn zuvorkommend wie den Blockbewohner, der mal eben kostenlos die Heizung repariert.
Den Liebesentzug der normalen Bevölkerung, aus der er stammt, und die ihn mehrheitlich für diese Abstammung gewählt hat, bekommt so ein Politiker nur durch TV-Übertragungen zu spüren, die Mittel, mit denen sich die bessere Gesellschaft enttäuscht zeigt, fühlt er in dem Umfeld, dem er angehören möchte, und das ihn je nach Bedürfnis aufwerten oder ausschliessen kann.
Eigentlich sind diese Politiker mit dem Drang nach gesellschaftlicher Anerkennung traurige Gestalten. Sie können und wollen nicht zurück, denn unten hat man mit ihnen Rechnungen offen. Sie können aber auch nicht wirklich nach oben, denn dafür fehlen ihnen Tradition und Geschichte. Diese Politiker sind die Neureichen der Macht, sie werden später in Wirtschaftsposten gehoben und hoffen, dass sich ihre Kinder nach oben heiraten, um so eine Art Dynastie zu gründen, die aber in Deutschland nie die Dimensionen der Kennedys oder Bushs erreichen wird – zu arm, zu mittelmässig, zu langweilig.
Sie stolpern und haspeln also durch eine Welt, die nicht die ihre ist, sie tanzen gequält auf der Gala und sind froh, wenn sie danach im Bademantel daheim sitzen können. Sie reden zu viel mit Journalisten, in denen sie artverwandte Türenkratzer der besseren Gesellschaft finden. Man kann es ihnen nicht verdenken, dass sie nach oben wollen, dazu sind sie ja Politiker. Nur: Im Ergebnis gibt es fast zwei Jahre nach Ausbruch der Krise immer noch viel Geld für kaputte Banken, aber keine Gesetze, die Kontrollen wirkungsvoll verstärken, Strafen androhen und die Grundlagen für verantwortungsvolles Handeln an den Finanzmärkten bilden – sicher zum Schaden hoher Renditen, aber auch zum Nutzen der Gesellschaft. Die Regulierung aber würde bedeuten, die Instrumente der Umverteilung zu begrenzen, was sicher kein Vergnügen ist, wenn man bei denen akzeptiert sein möchte, die an solchen Mechanismen wie die Junkies am Heroin hängen.