Ich hingegen, wenn ich lachte, weil Gorgonius nach Ziegenbock riecht, um nicht wie Rufillius nach Bisam zu stinken, scheine neidig dir und giftig?
Horaz, Satiren I/4
Am 11. September 2001 rasten die Flugzeuge in die Hochhäuser, und deshalb fuhr ich Anfang November am Starnberger See vorbei nach Süden, bog bei traumhaft schönem Wetter hinter Garmisch in ein kleines Seitental ab, und erreichte wohlgelaunt Schloss Elmau. Ein Münchner Geschäftsnetzwerk nämlich hatte sich mit der Ausrichtung zweier New Economy Konferenzen übernommen, und gab wegen des globalen Anspruchs der “Munich Area” der Leistungsschau in Amerika den Vorzug. Angesichts des damals schon reichlich komatösen Zustands des Neuen Marktes schien es, als müsste dafür das in Elmau stattfindende Gründerforum aus Geldmangel gestrichen werden, doch dann kamen die Attentate, die amerikanische Veranstaltung wurde abgesagt, und so traf man sich in den sicheren Alpen, um allerlei schräge und damals schon unverkäufliche Firmenideen und peinliche Gründer vor imposanter Bergkulisse zu begutachten. Oder zu verhöhnen.
Denn 2001 hatten sich all die Träume von der Jobmaschine Internet zerschlagen. Viele von denen, die 2000 noch Erfolgsgeschichten erzählten, trugen nun unerfreuliche Lebensläufe beim Arbeitsamt vor, manche hatten Ärger mit Insolvenzen, und die paar hundert Euro für den Kongress, die man im Jahr davor noch als Spesen verbuchte, waren plötzlich wieder viel Geld – für eine nun generell kostenpflichtige Veranstaltung, die deshalb von den Wirtschaftsjournalisten gemieden wurde, die sich im Jahr davor bei freier Bewirtung ihren hehren Idealen entsprechend Gründern als PR-Berater angewanzt hatten. Ich dagegen erfreute mich an der morbiden Stimmung, dem guten Essen, am Pool, in dem ich die ersten Kapitel meines Romans kichernden Assistentinnen vorlas, und führte reichlich bizarre Gespräche mit jenen, die noch nicht begriffen hatten, dass sie tot waren.
Da war beispielsweise jene junge Dame, die PR-Baukästen zum Selbstfabrizieren von Luftblasen anbot, der feiste Mediziner, der vor dem Essen über den Zukunftsmarkt Geschlechtswarzen referierte, und die luftige Lebensberaterin, die fest an neue Börsengänge glaubte und sich allen offensiv näherte, die den Eindruck machten, als könnten sie demnächst Coaching für den Auftritt bei Emissionsbanken benötigen. Ich hatte eine nette halbe Stunde mit ihr, bis ich dummerweise präzise erklärte, warum ihr Geschäftsmodell mangels Markt keinerlei Zukunft habe. Dergestalt eigentlich bemüßigt, ihre Erwartung von sehr viel Geld in sehr kurzer Zeit zu hinterfragen, fand sie eine Ausflucht, indem sie mir sagte, das sei ja mal wieder die typische deutsche Neidkultur, die alles schlecht mache und alle Entwicklungen sofort ablehne. Sie wandte sich anderen Herren zu, ich jedoch ging mit ein paar Freunden im lauschigen Bergwald vor dem Schloss spazieren und besprach die Chancen von Geierfonds zum Ausschlachten von Startups.
Wenig, sehr wenig ist aus dieser Zeit geblieben, diese ganze Welt mit allen ihren Protagonisten ist untergegangen, der Neue Markt verschwand, das Schloss brannte ab, die PR-Dame bekam drei Kinder, der Geschlechtswarzenmann floh aus der Firma, die Beraterin hat ein schauderhaftes Profil bei einem Netzwerxing für traurige Selbstdarsteller, und ich zog von der bei Startups beliebten Maxvorstadt mit ihren jungen Pleitiers an den feinen Tegernsee mit seinen alten Millionären. Was aber geblieben ist, was ich immer wieder höre, und was bei Kritik inzwischen fast so gebräuchlich wie der Nazivorwurf ist und schon kommt, wenn ich es hier nur wage, ein klein wenig Steuern von Besserverdienenden anzuregen: Das ist der Vorwurf der typisch deutschen Neidgesellschaft.
Nun ist Neid allerdings etwas, das in der Gesellschaft, also, in der besseren Gesellschaft, nach meiner Erfahrung hochgradig verpönt und ungewöhnlich ist. Die bessere Gesellschaft neidet nicht. Wenn sie etwas nicht schätzt, schließt sie es aus, erwähnt es nicht und falls doch, weil man ihnen auf die Haut rückt, diskriminiert sie andere, die sich nicht konform verhalten. Nehmen wir nur etwa den jungen Mann, der die ausgesprochen teure Geschmacklosigkeit beging, sich an seinen rosa Pseudopalladio ein Torhaus zu klatschen, dessen Säulen keine Kapitelle, sondern Edelstahlringe haben. Das Viertel ist voll von exzentrischen Architekturdetails der letzten Jahrzehnte, die man für viel Geld bei wenig Stilsicherheit kaufen konnte, aber wenn diese Säulen besprochen werden, ist es ganz eindeutig: Kein Neid. Pure Diskriminierung.
Neid nämlich hat bei uns einen entscheidenden Nachteil: Neid sagt etwas über Vermögen aus. Genauer, über Vermögen, das man nicht hat. Wäre man etwa neidisch auf diese Edelstahlringe, bedeutete das, dass man seine eigene Burg mit Halbrundturm und Butzenscheibenimitat nicht wegreißen könnte, um dann auch so eine neovenezianische Fehlinterpretation in den Weg des nächsten Donauhochwassers zu stellen, das dieses Frühjahr wohl wieder das feine Westviertel heimsuchen wird. Ich persönlich glaube durchaus, dass dort draußen jeder neu bauen könnte, eben weil dort mit abschätzigem Lächeln darüber gesprochen wird, dass der junge Mann wohl noch nie die Malcontenta oder die Villa Badoer gesehen hat, na ja, bei denen, da…
Über das eigene Vermögen bekommt man im Übrigen eingetrichtert, die Welt nicht mehr wissen zu lassen als “Mir langt es”, mit Betonung auf Mir, was alles sagt, und nichts. Den Rest drückt man, immer wenig Angriffsfläche bietend, durch Jammern über die Anlage KAP aus, über die schlimmen Straßenverhältnisse auf dem Winterweg nach Davos, den Arbeitsaufwand durch 53 Zimmer, oder das miserable Angebot für größere Wohnungen mit Blick auf das Gärtnerplatztheater. All diese Schicksalsschläge zeigen dem Gegenüber, dass für Neid keinerlei Anlass gegeben ist, eher jedoch für Mitleid, das leider zu selten kommt. Ansonsten ist man großzügig, serviert immer ein Stück Torte zu viel, und tut alles, um nicht als “Knack” oder “Ruach”, als Geizhals oder Habgieriger zu erscheinen. Der Neidvorwurf ist bei dieser Strategie brandgefährlich: Würde er doch ausdrücken, dass es tatsächlich, wenngleich nicht gerechtfertigten, aber doch: Anlässe gäbe, diesen von Finanzamt, Kursstürzen und Scheidungen der Kinder heimgesuchten Stützen der Gesellschaft ihre paar Millionen zu verübeln. Was ja heute wirklich nicht mehr viel ist, wo jedes Mietshaus in München schon ein paar Millionen kostet.
Abgesehen davon scheint die deutsche Neidgesellschaft reichlich international zu sein. Überall in Europa bekommt man von wenig erfolgreichen Gründern und Pleitiers zu hören, dass es in Amerika ganz anders sei, dort bewundere man Erfolg, oder zumindest den Versuch, oder, wenn alles scheitert, das Wiederaufrappeln. Amerikanische Gründer wiederum sagen, dass die von neidischen Stalkern und Webseiten wie Gawker verfolgt werden, die so gar nicht zum europäischen, neidfreien Bild des Neuen Kontinents passen – aber vielleicht haben die giftgrünen Neider ja alle deutsche Vorfahren. Wahrscheinlicher jedoch dräunt, als wäre der bei jeder Kritik erkannte Neid nicht mehr als ein Totschlagargument von jenen, die in Bankensubalternen Brotberufen nachgehen, die nach oben wollen, deren Ellenbogen spitz sind und deren Auftreten an Radiomoderatoren auf Kokain erinnert; die Neidkultur als billige Universaldebattenstörung der lauten Gründer und Rechthaber. Mit Neid kann man alles abbürsten, wenn man zu jenen gehört, die nie gelernt haben, wie man ignoriert, das Thema wechselt, ausschließt und auf das gesellschaftliche Abstellgleis schiebt. Der Vorwurf des Neides, der Neidgesellschaft ist billig, und wer sich nicht mehr leisten kann…
Gerne würde ich Betroffenen an dieser Stelle einen guten Personality Coach empfehlen, um die, erlauben Sie mir die deutliche Ansprache, Charakterschwäche des steten Neidkulturvorwurfs zu beheben, doch die einzige dieser Berufung, den ich kenne, ist oben beschrieben – und die hat, wie so viele andere, leider nur Personality. Und keine Persönlichkeit.