Froh über das grosse Glück, das ihm beschieden worden war, kehrte der König von Terra-d’Ombra mit seiner Gemahlin nach Neapel zurück.
Pompeo Sarnelli, Posilecheata
Wäre das hier ein Vortrag für Studenten der Betriebswirtschaftslehre oder des Journalismus, würde dieser Beitrag nach der herrschenden Ideologie in etwa so beginnen müssen: “Natürlich sind alle Entscheider und Moneymaker da, wenn die Konferenz im Golfhotel von S**feld die neuesten Trends vorstellt, ist Invitation Only, da bieten sich Opportunities auf dem Gang, die man sonst das ganze Jahr nicht bekommt, der Rahmen ist echt nobel. Abends dann noch ne Runde Pokern im Casino, die PR-Frau vom S. von der U******* war echt gut drauf, hat mir das neueste Projekt erklärt, und ich am nächsten Tag gleich weiter nach FFM, na ja, Termin und so, da konnte ich das gleich vortragen, also, wenn ihr wollt, ich kenne da jemand in S**feld, der die Einladungen rausschickt, die haben auch Interesse an High Potentials wie euch, und schon die Anreise über die Berge ist so was von toll, Wagner einlegen und ab über den Sylvensteinspeicher.”
Nun ist der Sylvensteinspeicher wirklich schön, das besagte Golfhotel ist fraglos ein Traum für alle Liebhaber von Halogenspots, und tatsächlich verdanke ich solchen Treffen, bei denen man mich mit einem interessierten Journalisten verwechselt, einen grossen Teil meiner Einsichten in das Wirtschaftsleben. Aufgrund dieser Verwechslung bin ich auch mitunter als Redner an irgendwelchen Centern für Entrepreneurship und höre dann Vorträge, in denen Investoren das Lob der Mobilität als Lebensstil herunterbeten, wie ein Pfarrer seinen Rosenkranz. Auslandserfahrung, Mobilität, mehrfache Studienortswechsel und Praktika in allen möglichen Städten gehören heute für die Kinder der Mittel- und Oberschicht zum standardisierten Lebenslauf. Seit Jahren sitze ich hinten in der Finsternis des für den Beamer abgedunkelten Raumes, und denke mir: Ihr Idioten. Und dank der Wirtschaftskrise kann ich es hier auch niederschreiben: Ihr Idioten.
Denn Mobilität ist nicht gut. Mobilität ist schlecht und, schlimmer noch, gesellschaftlich nicht vertretbar, und gerade in Umbruchzeiten wie den unseren brandgefährlich. Wer jederzeit überall sein kann, hat keine Planungssicherheit. Wer keine Planungssicherheit hat, wird jede feste Bindung und dauerhafte Anschaffung vermeiden. Und genauso, wie man mit dem dummen Geschwätz das Leben in überteuerten Hotels mit Halogenspots als erstrebenswert darstellt, werden auch die Insignien dieses mobilen Daseins gefeiert. Allen voran das Iphone, das Prestigeobjekt dieser Gruppe schlechthin.
Als Historiker kennt man diese teuren Prestigeobjekte für Mobilität von nicht sesshaften Gruppen: Die Barbaren etwa, die das Römische Imperium zum Einsturz brachten, waren ebenfalls hochgradig flexible und schnell reisende Menschen. Mobilität bedeutete, dass man sich auch mobil kleiden musste, statt Toga und Tunika griff man zu Hosen, Hemden und Umhängen. Praktische Dinge für Menschen auf dem Rücken von Pferden und in Karren, mit denen man reisen, Hälse abschneiden und plündern konnte. Das erraubte Gut, Gold und Silber etwa, hatte für diese Niedergangsverursacher keine reale Bedeutung mehr, weil es keinen Wirtschaftskreislauf mehr gab, der sich von ihnen die Hälse abschneiden lassen wollte.
Also formten sie aus dem funktionslos gewordenen Metall Gürtelschnallen, Fibeln und Schmuck, den sie an ihre Frauen hängten und mit ins Grab nahmen. Das sieht, wenn man es ausgräbt, grandios aus, es schlägt römische Brandgräber in jeder Hinsicht. Aber es ist kein Zeichen von Reichtum, sondern für Verelendung, Krieg und vernichtete Sozial- und Rechtssysteme. Erst mit der Sesshaftwerdung verschwinden die Grabbeigaben wieder: Man tritt zum Christentum über, bringt jenseits des Adels nicht mehr erwerbsmässig Menschen um, und hängt das Gold lieber in die Kirche. Das ist dann die karolingische “Renovatio Imperii”.
Iphone, Macbook Pro, die Kreditkartensammlung, die ultraflache Digitalkamera mit der immer neuesten Pixelzahl, bald auch das eBook und der iPod: Das sind die Insignien der neuen Barbaren. Ganze Industrien leben davon, diese Barbaren am Laufen und stets auf dem neuesten Stand zu halten, sie brauchen Taschen für sieben unterschiedliche Ladegeräte und Geldbörsen mit vielen Schlitzen, einen Schutz für das Telefon und Downloadmöglichkeiten, wie der Barbar eine Quelle brauchte; sie sind frei in der Bewegung und trotzdem Sklaven von WLAN und Steckdosen anderer Leute. Ihre Landkarte ist im Internet, und ihre aktuelle Position teilen sie ihren Mitbarbaren über Twitter mit, das mit seinen 140 Zeichen Menschen mit rudimentärem Primärwortschatz entgegenkommt.
Der Raubzug der modernen Barbaren sieht anders aus, ist aber im Effekt für die Gesellschaft nicht weniger schädlich als ein Goteneinfall: Mobile Menschen tendieren dazu, frei zu arbeiten, sie haben “Jobs” und nie “Arbeit”, sie verzichten auf soziale Sicherungssysteme und besonders auf deren Beitragszahlungen, sie sind damit billiger, und sehen sich als Räuber gegen Festangestellte, für die sie unverhohlene Verachtung empfinden. Die Fälschung von Fahrtenbüchern wird getwittert, Schwarzarbeit ist üblich, und ein Loblied wird auf den Medikamentenmissbrauch gesungen. Vorsorge ist das Problem der anderen, aber ein bedingungsloses Grundeinkommen finden sie toll. Sie nehmen, was sie kriegen können, sie fordern kostenlose Funknetze und die Abschaffung von Urheberrechten, um sich nach Lust und Laune im Internet bedienen zu können. Die Gesellschaft, die sie fordern, soll sich an die Gebräuche der Barbaren anpassen und ihnen ideale Lebensräume zur Verfügung stellen, finanzielle Förderung ihrer Kongresse und günstige Büromieten ohne Verpflichtung.
Sie können auf diesem Niveau leben, weil es dafür Angebote gibt. Irgendeine Tanke hat immer offen, irgendwo stinkt immer ein Döner für 2 Euro. Natürlich ist so ein Boarding House in Neuperlach nicht das legendäre “München” mit seinen feinen Altbauwohnungen, sondern nur ein aufgesexter Sozialbau. Aber es sieht besser aus als ein Obdachlosenasyl, selbst wenn es diese Funktion übernimmt. Man kann dort für weniger auf kleinerer Fläche leben, man kann andere, die hier regulär wohnen und hohe Kosten haben, unterbieten und schnell wieder weg sein, vielleicht in Neukölln oder London, oder wo sich sonst etwas bietet, für ein paar Tage oder Wochen.
Aus Wochen werden Monate und aus Monaten Jahre, die Festplatten werden grösser und die Gesundheit bleibt mangels Hausarzt auf der Strecke, man hat tausend Kontakte und ist bei allen Communities, man ist so individuell wie alle anderen auch, die das gleiche Telefon und den gleichen Dispo und die gleiche Bio haben, man könnte sich überall zum berufsjugendlichen, vollmobilen Vollidioten machen, denn ab 40 ist das alles nicht mehr so leicht. Mit durchschnittlich 40 sank der vollmobile Aware ins Grab, der Awarenessjunkie dagegen muss noch 40 Jahre irgendwie weitermachen, und das wird kein Spass, wenn gerade eine Wirtschaftskrise alle Tore verrammelt.
An Negativbeispielen wird es uns in den kommenden Monaten nicht mangeln, wenn geschlagene Mobile nach Hause kommen und sich neu orientieren. Einer halben Generation hat man diesen Lebensstil als Ideal gepredigt, Powerpoint statt Bücher, MP3 aus Quäkboxen statt Musik aus Tonmöbeln, Miete statt Besitz und Ikea statt Möbel, und damit Internetspiesser geschaffen, die andere über den Übertragungsstandard ihres Mobiltelefons beurteilen. In einer Zeit, da Banken ihre Kündigungen gerne im Ausland vornehmen, kreditfinanziertes Wachstum tödlich ist und nur Reserven über die Krise hinweghelfen, wäre es vielleicht gar nicht so schlecht, jungen Menschen wieder Begriffe wie Planungssicherheit und stabile Strukturen nahe zu bringen.
Ausserdem ist das Essen im Golfhotel von S**feld wirklich miserabel.
Begleitmusik: Von den Unannehmlichkeiten des mobilen Lebens erzählt das geistliche Singspiel “Serpentes Ignei in Deserto” von Johann Adolf Hasse, der dramatisch das Leiden und die Krankheit der Hebräer in der Wüste vertonte. Die vorzügliche, bei Ambronay erschienene Aufnahme muss man laut hören, wenn man über den Abgrund des Sylvensteinspeichers zu so einem Totentanz der mobil Verdammten fährt.