Geistige Bewegungen können nur mit geistigen Mitteln aufgehalten werden.
Ignatius von Loyola
[von Don Alphonso] Sollten Sie die Diskussionen in der FAZ um unser Finanzsystem für aufgeregt und kontrovers halten, darf ich Sie beruhigen: Es geht zwar um alles, aber doch sehr gesittet zu. Niemand nimmt hier 100 Schüler oder Kommentatoren mit Äxten mit, wenn die Meinungen aufeinanderprallen. Niemand, (mit Ausnahme einiger verwirrter Gamer) käme auf die Idee, mich wegen einer abweichenden Meinung als Dr. Sau, das Schwein aus Ingolstadt oder einfach nur Dreck zu bezeichnen. Genau das hat man aber einem Herrn angedeihen lassen, dessen Sterbehaus ich erblicke, wenn ich daheim von meinem Rechner nach draussen blicke.
Dort nämlich steht das Sterbehaus von Dr. Johannes Eck, und sein nicht gerade vornehmer Widersacher, dem man heute die Begründung der modernen deutschen Sprache zuschreibt, heisst Luther, Martin Luther. Johannes Eck war in der ersten Hochphase der Reformation das personifizierte Bollwerk der Katholizismus in Deutschland und bei öffentlichen Auftritten ein gefürchteter Diskussionsgegner der Protestanten. Dort drüben verfasste Eck sein Enchiridion locorum communium adversus Lutherum et alios hostes ecclesiae, das 46 Auflagen erlebte und so eine Art krachlederne Generalanweisung zum Umgang mit Luther und anderen Kirchenfeinden war. Dass Eck das Werk ausgerechnet dem englischen König Heinrich VIII. widmete, der später selbst die katholische Kirche zugunsten seiner Staatsreligion abschaffte, ist da nur ein weiterer Treppenwitz der Kirchengeschichte. Eck war von einfacher Herkunft und bodenständig, ein Streittheologe und rustikaler Freund öffentlich ausgetragener Konflikte, gern auch im Beisein seiner waffentragenden Schüler.
Nur sechs Jahre nach seinem Tod, im Jahr 1549, trat dann die Elite auf den Plan. Eine Elite, die sich gar nicht mehr lang mit den alten Geistlichen abgab, die hier den Protestanismus bekämpft hatten. Die Gesellschaft Jesu war damals sehr neu; erst 1540 hatte sie Papst Paul III. mit seiner reichlich deutlichen Bulle Regimini Militantis Ecclesiae ins Leben gerufen. Die Jesuiten waren der Kontrolle durch Bischöfe und Kardinäle entbunden, der Ordensgeneral war alleine dem Papst verantwortlich, den der Orden als einzige Autorität anerkannte. Als die Jesuiten vom bayerischen Herzog mit einem Lehrauftrag an die Landesuniversität Ingolstadt berufen wurden, bauten sie auch genau so, wie man eben baut, wenn man auf Befehl von ganz oben handelt und nicht nur einen Auftrag, sondern eine “Sendung” hat.
Zwei ganze Blocks in der Altstadt, gleich nach dem Münster das grösste Areal der Stadt, nahm das Jesuitenseminar aus der Zeit um 1550 ein. Die Gesellschaft hielt sich erst gar nicht mit dem Kleinklein der bisherigen Professorenhäuser auf, und dachte auch nicht daran, sich in den kleinen Lehrsälen der Universität anderen Hierarchien unterzuordnen. Kaum war der Orden in die Stadt einmarschiert, häuften sich die Klagen von Franziskanern, Professoren und anderen, die eigentlich mit ihnen zusammen das Bollwerk gegen den Protestantismus bilden sollten: Die Jesuiten liessen sich nichts sagen, sie stahlen den anderen die besten Studenten, hielten eigene, prachtvolle Messen und überhaupt: Sie benahmen sich, als hätten sie alleine hier das Sagen.
Bezeichnenderweise stammten die ersten Entscheidungsträger der Jesuiten sämtlich aus der schmalen Schicht der gesellschaftlichen Elite ihrer Zeit. Ihre Vorstellung vom Krieg um den Glauben war hochmodern und würde heute noch Platz in Managerbüchern finden, wenn Manager so etwas wie Bildung hätten: Marketing und PR, Imagebildung und Eventkultur waren der Gesellschaft wohlbekannt. Statt mit wüsten Beschimpfungen reagierte Petrus Canisius mit dem weichen Begriff der “neue Lehren” auf die Lutheraner. Er bot den Söhnen abgefallener Adliger beste Bildung an, und bemühte sich gleichzeitig auch um die Erziehung der Kinder anderer Würdenträger, die von anderen Institutionen der Uni eher als Geldesel gesehen wurden. Es dauerte nicht lang, und die Gesellschaft Jesu war in Bayern hinter ihren strengen Fassaden eine Art Staat im Staate, eine Religion in der Religion, und faktisch die Organisation, die in Ingolstadt mit Unterstützung von oben bestimmte, wo es lang ging.
Macht schafft Einfluss, Einfluss zahlt sich aus: Während die Gesellschaft die Oberen mit Leistung und die niederen Stände mit den Spektakeln des Jesuitentheaters überzeugte, oder ab und an, wenn es sich in frisch gegenreformierten Gemeinden anbot, auch mit Hexenverbrennungen, mehrte sich das Vermögen durch Gönner, die sie ausgebildet hatte. Diese weltlichen Alumni blieben durch Marianische Congregationen mit den Jesuiten verbunden, bildeten Netzwerke zur gegenseitigen Förderung und richteten selbst kleine Seminare nahe der Jesuiten ein – wie das Obige, erbaut um 1600. Dort wohnte auch mancher Professor, der seine Ruhe vor den Studenten gegenüber haben sollte, es gab eine eigene Bibliothek, insgesamt ging es dort schon etwas lockerer zu, und die Architektur ist nicht mehr ganz so streng: Giebelchen, Strahlenkranzmadonna, Erker zum Rauslinsen auf das Treiben auf der Strasse und hinten ein Arkadenhof mit Garten, und auch ein Gesindehaus. Ein angenehmer Ort – wenn nicht gerade der Schwede vor der Stadt lag.
Denn in diesem Haus wurde weiter fleissig gegen den Protestantismus und dessen Ausrottung geschrieben; im Verlauf des frühen 17. Jahrhunderts zunehmend erbittert und unnachsichtig, als sich zeigte, dass vielen Protestanten nicht mit Theater und schönen Worten beizukommen war. Hier wurden die Texte verfasst, mit denen man katholischen Herrschern ein gewaltsames Vorgehen ans Herz legte. 1618 freute man sich über den Krieg und schnelle Erfolge, und als der katholische Feldherr Tilly 1631 das evangelische Magdeburg abbrannte, hatte hier niemand etwas dagegen. Dieses Ereignis jedoch lieferte dem evangelischen Schwedenkönig Gustav Adolf den Anlass zu einem Durchmarsch bis nach Bayern. Eines schönen Apriltages des Jahres 1632 lag er dann vor der Stadt, die als Propagandakorps der katholischen Sache und Zentrum der deutschen Gegenreformation keine freundliche Behandlung zu erwarten hatte. Der schwer verwundete Tilly jedoch, selbst Jesuitenschüler und Mitglied der Marianischen Congregation, verlor im obenstehenden Gebäude den Kampf gegen den Tod, während der Schwede vergeblich die Mauern des Katholizismus berannte.
Auch die Gesellschaft Jesu hatte nach dem Ende des 30-jährigen Krieg verstanden, dass das Konzept eines totalen Religionskrieges ihrer Sache nur begrenzt nutzt, wenn der Schwede dabei die eigenen Häuser anzündet, und versuchte es nun wieder mit gewaltfreier Hinwendung zum Menschen. Natürlich wollte man auch weiterhin ganz vorne dran sein und Einzigartiges bieten. Also baute man für die Marianische Congregation ein Oratorium, einen in der Theorie eher kleinen Gebetsraum unterhalb der Ansprüche einer Kirche. Heraus kam eine rosa Sahneschnitte: Gigantische Ausmasse, rosa und verschnörkelt wie ein Petit Four, innen ein gigantischer Saal und an der Decke nicht weniger als das beste Fresko von Cosmas Damian Asam. Nichts erinnert darin noch an den Krieg vor 100 Jahren oder an die militärische Zucht der ersten Jesuitengeneration; alles ist heiter, beschwingt und frei von Schmerz und Folter. Nach gut 200 Jahren ist die Gesellschaft Jesu selbt reichlich weltlich geworden, sie forscht und sammelt, sie bildet Kinder aus und ist mit dem Erreichten satt und zufrieden. Sie wird geistig träge, kann nicht mehr richtig auf die Propaganda der Aufklärung reagieren, und als sie 1773 aufgelöst wird, ist sie längst nicht mehr der Orden der päpstlichen Krieger, sondern herabgesunken zu einem reichen Geklüngel der Bauart, gegen die die Jesuiten selbst zu Beginn angetreten waren.
Und dennoch … In der Kirche trifft sich heute noch im Sommer jeden Sonntag die bessere Gesellschaft der Stadt zum Konzert und bewundert die Pracht des Rokoko. Man ist heute wieder stolz, Heimat der Gegenreformation gewesen zu sein, an vielen Häusern prangen Tafeln, die die geistigen Leistungen ihrer jesuitischen Bewohner verkünden. Ich selbst wohne in der ehemaligen Marianischen Congregation, mehr noch: Ich bin ihr Hüter für meine kurze Lebensspanne. Ich habe es nicht mit den Jesuiten, sondern mehr mit ihren Gegnern. Aber ich habe dieses Kolleg selbst restauriert, ich kenne jeden dicken Balken, der sich nach 400 Jahren kaum einen Zentimeter gesetzt hat, ich kenne die meterdicken Mauern, den für die Ewigkeit geschaffenen Marmorboden, die handgeschmiedeten Nägel in den Eichendielen, die nicht für meine oder der Jesuiten Gegenwart geschaffen wurden, sondern, wie die Handwerker meinen, für die Ewigkeit.
Elite? Sicher? Arrogant? Absolut, bis zur Verleugnung des eigenen Daseins. Des Daseins von Glaubensfeinden sowieso. Ich wüsste gerne, warum ich es mit allem Wissen nicht schaffe, für diese gebauten Symbole der Arroganz die gebührende Verachtung aufzubringen. Warum ich gerne in so einem Jesuitenbunker lebe und nirgendwo anders sein möchte, trotz all der schlimmen Geschichten, der Toten, und der blutigen Spur, die von Rom hierher führt, in das beste Bollwerk des Katholizismus an der Front zum Unglauben. Ich fürchte, ich habe Respekt davor. Vielleicht verliere ich ihn ja, wenn ich morgen nach Rom fahre und dort die weichgespülten, nachgiebigen und angepassten Medienfiguren der Gegenwart erlebe.