“Hierauf warf der Papst seine brennende Kerze ins Volk hinunter, und wie zum Spaß oder irgendwelchem andren Grund Kardinal Gonzaga eine zweite hinterher – insgesamt hatte man drei angezündet. Um die Kerzen entstand unten nun ein Mordskrawall, denn jeder wollte ein Stück an sich reißen. Schließlich schlugen alle mit Fäusten und Stöcken wild aufeinander ein.”
Michel de Montaigne, Tagebuch der Reise nach Italien über die Schweiz und Deutschland, 1580/81.
[von Andrea Diener] Das Bedürfnis, aus fernen Landen etwas nach Hause zu tragen, gibt es vermutlich schon solange es Reisende gibt. Der Grandtourist des 18. Jahrhunderts kaufte sich Kupferansichten der Orte, die er besichtigt hat und hängte die nach der Heimkehr an einen hübsch prominenten Ort im Hause auf. Das Bedürfnis, seinen Nachbarn zu imponieren, gibt es ja vermutlich auch schon seit es Nachbarn gibt.
Neben dem Bildungstouristen mit seinem Interesse für Altertümer gibt es aber auch den Pilger. Er teilt Orte nicht nach kultureller Bedeutung, sondern anhand ihrer Heiligkeit ein – angesichts der Heerscharen, die einem vom Petersplatz her entgegenkommen, ist das bis heute so. Auch der Pilger möchte gern etwas mit nach Hause nehmen, das haben alle Reisenden so an sich, und daher ist auch er als potentielle Käuferzielgruppe erschlossen. Dem Kulturreisenden verkauft man weitestgehend Kulturelles, dem Pilger weitestgehend Heiliges. Natürlich gibt es hier auch Kultbedarf für den Gottesdienst und andere ganz praktisch einsetzbare Dinge. Aber vor allem bedeutet es, daß der gesamte kirchengeschichtliche Fundus geplündert und mit dem einschlägigen Nippes moderner Tage gekreuzt wird.
Der Ort des heiligtümelnden Kaufrausches ist gleich neben dem Petersplatz gelegen, wo allerhand klerikales Personal und bärtige junge Menschen mit Pilgerkreuz herumirren, dazu Touristen und einigermaßen desinteressierte Schulklassen. Da reicht auch nicht ein einfacher Souvenirshop, es muß schon ein zweistöckiges Warenhaus mit Rolltreppe sein.
Gleich rechts vom Eingang gibt es auch ein Selbstbedienungsrestaurant mit Plastiktabletts wie in allen Kaufhhäusern, daneben eine Geldwechselstube. Dann aber geht es über quietschgrünen Teppichboden nach unten, und dort ist nichts mehr wie in anderen Warenhäusern. Ich habe noch nie so viele Plastikrosenkränze auf einem Haufen gesehen, und die Verpackung jedes Einzelnen von ihnen trägt das Bild des winkenden und lächelnden Papstes. Es gibt eine ganze Wand mit Dingen, die man aufhängen kann, ganz ähnlich wie Stände mit Christbaumschmuck am Weihnachtsmarkt: Kreuze, Engel, alle mit dem Bild des winkenden und lächelnden Papstes.
Es gibt Flakons mit “Vatikanwasser”, was immer das sein soll, Leitungswasser vermutlich. Kostet im kleinen Fläschchen 6 Euro und trägt, natürlich, das Bild des winkenden und lächelnden Papstes. Es gibt Münzen mit dem Bild des winkenden und lächelnden Papstes. Kalender mit zwölfmal dem Bild des winkenden und lächelnden Papstes. So oft winkt und lächelt der Papst einem hier als gutmütiger Oberhirte entgegen, daß ich mich frage, ob er den Arm eigentlich noch heben kann nach den vielen Fotoshootings, die er schon über sich hat ergehen lassen müssen.
Erstaunlich ist, wie bereitwillig sich der Glaube offenbar infantilisieren lässt, und wie sich das in seinen Accessoires ausdrückt. Wie niedlich die kleinen Engelchen sind, die betenden Porzellankinderchen. Wie sehr das ganze nach Spielzeug aussieht, quietschbunt ohne Ausnahme und gern aus Plastik. Lauter Figürchen und Püppchen, Krippenschneekugeln, Holzheilige, Pietaszenen in allen erdenklichen Materialien, Madonnen mit und ohne Blinklichter.
Das, was hier steht, unterscheidet sich jedenfalls kaum von anderen Fanartikeln. Manche dieser Engel würden auch als Blumenelfen aus dem Fantasyshop durchgehen. Zweitausend Jahre kultureller Vorsprung helfen jedenfalls auch nicht, schlechten Geschmack zu verhindern. Von dieser gewissen Vorstellung von Würde und Andacht, die mit dem Konzept des Christlichen Glaubens einhergeht, ist hier nichts zu spüren. Eher schon von wild wucherndem Volksglauben, von den Marienecken in den Wohnungen älterer süditalienischer Damen, wo neben einem Fläschchen Wasser aus Lourdes und dem Foto des verblichenen Gatten auch das Marienbildchen im bunt beleuchteten Bilderrahmen steht, daneben eine frische Blume im Kristallväschen. Wenn man sich dann fragt, wer eigentlich die ganzen Sachen mit winkendem Papst drauf kauft, landet man gedanklich bei einer älteren weiblichen Zielgruppe.
Ist man dem Warenhaus entflohen, erwartet einen draußen vor der Engelsburg wieder weltlicherer Nepp: Plastikgladiatoren, Plastikwagenlenker, Plastiklegionäre und dazu die gesamte Bildhauerkunst der Antike und der Renaissance in Kunststoff. Auch hier ist mir nicht endgültig klar, wer das kaufen soll. Den besten Beitrag zum Thema seltsame religiöse Devotionalien entdecke ich dann aber an einem ganz profanen Zeitungskiosk: Den Priesterkalender 2010. Junge, gutaussehende Herren in Dienstkleidung posieren weltgewandt in Schwarzweiß. Besonders Mister Juni gefällt mir, der sitzt vor einem MacBook, genau wie ich gerade. Wir müssen dann sehr lachen, und ich denke, das glaubt mir zu Hause niemand, ich muß schon einen kaufen und mitbringen. Und dann lasse ich mich dazu hinreißen, genau das zu tun. Ich werde den Kalender an einen hübsch prominenten Ort im Hause aufhängen, damit jeder, der dort vorbeikommt, ihn angemessen bewundern kann.