Am Anfang steht der Glaube, am Ziel die Schau.
Augustinus von Hippo
[von Don Alphonso] Es ist Samstag, und die italienische Sonne brennt hinunter auf die Statue von Giordano Bruno auf dem Campo de’ Fiori, jenes hochgebildeten Ketzers, der unter anderem die Gottessohnschaft Christi leugnete und für diesen Affront gegen Papst und Kirche im Jahre 1600 an eben jener Stelle zur Erleichterung seiner gläubigen Zeitgenossen verbrannt wurde. Mit gebundener Zunge, damit er keine Gelegenheit habe, seine Ketzereien der zu diesem Anlass gekommenen Menschenmasse mitzuteilen, und glaubt man zeitgenössischen Berichten, war Bruno bis zu seinem tragischen Ende auch nicht der stille, in sich gekehrte Denker, als den ihn das Standbild vorstellt, sondern jemand, den man sich aggressiv, zynisch und aufbrausend vorstellen muss. Jemand, dessen Zunge man fürchten musste.
Gleich nebenan, in einer Querstrasse, kümmert sich eine Frau um das, was vermutlich aller sprachlichen Gewandtheit zum Trotz für die normalen Menschen schon immer mehr Eindruck macht als Brunos Lehren, die reichlich komplex und zudem nicht gerade auf Schmeicheleien bedacht waren. Das Wissen Brunos um die Unendlichkeit des Weltraums, seine Leugnung des Jenseits, das Verbringen der Schriften von Kirchenvätern in die Latrine und anderer seiner Ketzereien mögen für Gebildete spannend sein, aber solange es um das gemeine Volk geht, ziehen andere Argumente:
Äusserlichkeiten und Festlichkeiten, Prunk und Party, Eventkultur, wenn man so will. Und nie ist in der christlichen Religion über all ihre Richtungen, Strömungen und Sekten hinweg diese Eventkultur stärker ausgeprägt, als zwischen Palmsonntag und Ostermontag; in jener Phase also, in der der Glaubensstifter Jesus den Evangelien zufolge erst vom gemeinen Volk beim Einzug nach Jerusalem als Herrscher der Welt begrüsst und kurz darauf als Ketzer mit plebiszitärer Beteiligung ans Kreuz gebracht wurde. Emsiges Treiben herrscht da kurz vor dem Palmsonntag in den Kirchen der Stadt, die man die Ewige nennt, es gibt viel zu tun, gut gelaunte Priester postieren Blumenstöcke, und Helfer verzieren die Sakralräume mit Seidenstoffen in Rot, die Farbe für den Beginn, die Ouvertüre der Karwoche.
So wird die Kirche zur Kulisse für eine Krönungsfeierlichkeit, die Gemeinde schlüpft in die Rolle der Jesus zujubelnden Menschenmenge – oder genauer nach dem Johannesevangelium, jener Menschen, die in ihm beim Einzug nach Jerusalem aufgrund seiner Taten und Wunder den Messias erkannten. Über den Rest sagt Johannes in Kapitel 12, Vers 18: “Ebendeshalb war die Menge ihm entgegengezogen: weil sie gehört hatte, er habe dieses Zeichen getan.” Schlachtenbummler, Mitläufer, Schaulustige, Gaffer oder, etwas böser gesagt, der Mob, der seine gestrigen Helden morgen im Staub sehen möchte, dem jedes Krönungsspektakel recht ist, egal ob mit Dornen oder Lorbeer. Die unsicheren Kantonisten, die jede Bewegung braucht, aber jede Ideologie natürlich nicht allzu gerne hat, die Staffage für jedes Unrecht, billig und hinterhältig. Die Leute, denen man die Zweige in der Kirche extra hinstellen muss, damit sie was zum segnen haben.
Vielleicht ist diese Bereitstellung auch ein feiner Zug der Kirche, ein Beispiel für ihre Dienstleistungshaltung, oder auch nur der Erkenntnis geschukdet, dass es nicht schön wäre, wenn jeder Römer zur Palmzweigweihe an diesem Tag die Olivenbäume der Stadt rupfen würde. Vielleicht aber ist es auch nur die kirchliche Version des Give Aways. So oder so lagern kistenweise Ölzweige in den Kirchen, die sich am kommenden Tag dann teilweise achtlos weggeworfen auf den Strassen und in den Rinnsteinen finden, auf dem Heimweg entsorgt von jenen, die gern nehmen und dabei sind, aber sich nur ungern dauerhaft belasten. Es tun Leute, die in die Kirche gehen, weil man an solchen Tagen gesehen werden muss, aber sobald jemand nicht hinschaut, die Symbole des Glaubens als Lightversion des Hostienfrevels in Müll verwandeln. Späte Nachfahren der Gaffer am Ölberg und am Campe de’ Fiori, die dabei waren, weil es was zu sehen gab.
Wem es zu peinlich ist, diese weggeworfenen Zweige aufzusammeln, kann auch anders an den Schein der gesegneten Ware kommen: Gleich neben dem gefälschten Taschenkonsumglück der fliegenden Händler verkauft einer mit einem elektrisch beleuchteten Heiligenbild gefälschte Palmzweige an diejenigen, die gern die Symbole des Glaubens daheim haben, aber wenig Neigung verspüren, dafür die Kirche aufzusuchen. Eine reichlich postmoderne Einstellung scheint da durch, eine gewisse Beliebigkeit, die es bei allen Vorbehalten der Aufklärung irgendwie verständlich macht, warum so manche in der Kirche gern zurück zu alten Werten möchten, die Lauen aus ihren Reihen feuern und wieder eine schlagkräftige Truppe Gottes aus überzeugten Kämpfern marschieren sehen wollen, frei einer Mitmachdemut, die an der Kirchentür endet, und gelöst von Feiertagshalbheiden, die sich auch um einen Giordano Bruno erst kümmern würden, hätte der neben ein astronomischen Ketzerlehren auch etwas Tand und Eitelkeitswaren im Angebot.
Mit den anderen Anhängern kann man vielleicht ein System am Laufen halten, man kann den Verfall bremsen und die Verwesung parfümieren, aber man wird damit keinen Aufbruch erzwingen, keine neuen Wege finden und niemand haben, der bereit ist, für seine Überzeugungen einzustehen. Das geht nur mit den Irren, den Fanatikern, den Extremisten und den Verstockten, und vielleicht ist das im Geheimen auch ein Grund gewesen, warum die katholische Kirche im Jahr 2000 die Verurteilung von Giordano Bruno revidiert hat: Denn natürlich war Bruno ein Ketzer, ein wirklich verstockter Ketzer, ein Erzketzer mit vollem Bewusstsein und allen Konsequenzen. Aber damit dem Ideal der Gläubigen weitaus näher als der morsche Wellnesskatholizsmus mit seinen den Gläubigen nachgetragenen Riten, die nach Belieben gekauft, weggeworfen oder vergessen werden. Mit einem Ketzer kann man sich streiten, man kann an ihm leiden, ihm die Pest an den Hals wünschen und andere unchristliche Dinge mehr. Aber für den religiösen Smalltalk mit den Eventtouristen des Glaubens mit ihren Technomessen und Andenken braucht man beide Seiten nicht mehr, die Lauen sind der Tod der Überzeugten, und dieser beiläufige, vergessene Tod am Wegesrand der dummen Schafherde ist vielleicht für den Geist und eine elitäre Haltung noch schlimmer, als ein Verbrechen, das nach Jahrhunderten noch für gebildete Kontroversen und Streit über einen sorgt, zu dessen Füssen heute das Fegefeuer der Eitrelkeit lodert, indem Tand und Kitsch für Geschmacklose und Leichtgläubige verkauft wird.