Ich bin ein Weib und obendrein kein gutes.
Teresa von Àvila
Vor ein paar Jahren hat sich eine gute Freundin ohne besondere Gründe von ihrem Mann scheiden lassen. Ich schreibe das hier so hin, als ob es ein banaler Vorgang wäre, und es mag sein, dass man es andernorts auch so banal sieht. Aber ich komme bekanntlich aus dem katholischen Bayern, und dort war das in meiner – gar nicht so lange vergangenen – Kindheit zumindest in meiner Schicht höchst unüblich. Es gab eine Reihe von Gründen, die eine Scheidung wirksam verhinderten, und der Umstand, dass man sich dann bei – hier die Namen einer Vielzahl leitender Mitglieder der Gemeinde – nicht mehr blicken lassen konnte, war nicht der geringste Grund. Es gab in meiner Bekanntschaft nur ein Scheidungskind, und dessen Eltern kamen nicht aus der Stadt, und blieben dort auch nicht. Die Stadt ist sehr katholisch gewesen, und war kein guter Ort für solche Regelverstösse. Generell wurde die Überzeugung vertreten, die Ehe sei ein heiliges Sakrament, die Kirche liesse keine Scheidung zu, also würde man das auch nicht machen, solange es irgendwie erträglich und unterhalb des Mordversuchs blieb.
Als sich dann 20 Jahre später meine Bekannte scheiden liess, war es ein teures Vergnügen mit Rosenkrieg, Anwälten, einem verkauften Haus und einem Ex-Ehemann, der sich als Stalker betätigte. Nachdem es nicht nur ein Paar, sondern auch zwei gute Familien betraf, zieht sich seitdem ein unsichtbarer Riss durch mehrere Stützen der Gesellschaft, man redet viel hintenrum und versucht trotzdem, die Chancen einer Wiedervereinigung auszuloten. Ungeachtet dessen ist meine Bekannte nun auf dem 2. Heiratsmarkt der kleinen Stadt als besonderer Leckerbissen angeboten, zumindest nach dem Willen einiger älterer Damen, die nun nach einem Mann suchen, der gesellschaftlich passt, den Umstand, dass er keine Patchworkfamilienreste mitkauft, zu schätzen weiss, halbwegs klug und gebildet ist und hoffentlich auch leidensfähig genug, die nicht immer einfachen Stimmungsschwankungen meiner Bekannten zu erdulden. Das kleine Problem: Der beste Kandidat spielt auch Golf, ist aber homosexuell, der zweitbeste Vertreter hat mehr als eine Freundin, der Drittbeste vergnügt sich nach der letzten Trennung mit einer Abiturientin, und so weiter und so fort, bis ich auch das Vergnügen habe, aufgrund diverser Lebensumstände als nicht passend erachtet zu werden. Meine fehlende religiöse Anhängigkeit ist da übrigens kein Kriterium, ganz im Gegensatz zu meinem schäbigen Auto, meinem undurchsichtigen Beruf, meinem losen Mundwerk und meiner erklärten Kinderfeindlichkeit, wird mir zumindest berichtet.
Diesen Paradigmenwechsel muss man kennen, um zu verstehen, was aus dem Papsttum wird. Das sind die tonangebenden Kreise in einem erzkatholischen Land, und damit die Kreise, die noch am ehesten ihre Kinder in den Gottesdienst schicken. Es ist eine Klasse, der ihr Katholizismus nicht auffällt, weil sie es seit jeher nicht anders kennt, und bei der weite Teile des Lebens von diesem Glauben bestimmt sind, weil es so ist und schon immer so war, und den selbst ich gut genug kenne, dass mir Rom und der Papst nicht als fremdartige Objekte ethnologischen Interesses erscheinen. Die gesellschaftliche Moral der Klasse war weitgehend deckungsgleich mit der Theorie der katholischen Kirche, gesellschaftliche Skandale und christliche Todsünden waren austauschbar. Aber während früher von älteren Damen noch auf die Pille geschimpft wurde, die die Anzahl der Enkel klein hielt, hat man sich heute sogar mit dem – nach Meinung der Kirche – Sakrileg der Scheidung abgefunden. Kurz: Dem Papst kommen seine altgedienten Prätorianergarden abhanden. Selbst wenn sie am Gründonnerstag noch pflichtschuldig in die Kirche gehen. Und dort den Auftrag des Religionsstifters an den Apostel Petrus hören: “Was du auf Erden bindest, soll im Himmel gebunden sein.”
Der Papst nun bezeichnet sich als Nachfolger des Apostel Petrus und als Stellvertreter – eigentlich Vikar, was den Anspruch ein wenig dämpft – Gottes auf Erden, insofern gibt es an den Regeln nichts zu deuteln. In der Theorie spricht die Kirche in Sachen Scheidung das schlimmste Verbot aus, das diese Klasse kennt: “Das tut man nicht.” Das ging früher – heute jedoch spielt der Papst mit solchen Worten mit dem Feuer. Elite, diese spezifische Elite der römisch-katholischen Länder zumal, funktioniert vor allem über die gegenseitige Bestätigung der Klassenzugehörigkeit. Oder, um es mit den unsterblichen Worten meiner Grossmutter zu sagen: “Es is wia da fettn Sau an Oasch gschmiat” [dt. Man tut zusätzliche Anerkennung an jene, die alle Anerkennung verdient haben]. In dieser Selbstvergewisserung, das richtige zu tun und zu sein, sich über den Pöbel mit seinen “gschlamperten Vaheitnisn” [dt. Patchworkfamilien] zu erheben, war die päpstliche Werteordung ein erstklassiger und nicht minder elitärer Rahmen. Nun aber, da man sogar von Ministerpräsidenten und Ministern Übles lesen muss und sich nicht nur die Kanzlerin aus dem Osten hat scheiden lassen, wo die ja sowieso Protestanten sind, trennen sich die Wege der Eliten. Der Papst bleibt, wo er ist, und die Tanten tuscheln über der Torte, dass er doch etwas vorgestrig ist.
Das Tuscheln der Tanten ist nie ein gutes Zeichen. Das Tuscheln wird gerne eingeleitet mit einem “Man darf ja nichts sagen, aber…” – und wer erlebt hat, wie sich nach solchen Floskeln Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und übelste Nachrede Bahn brechen, der ahnt, dass der Papst, dem das gilt, ein ernsthaftes Problem hat. Denn die Scheidungsrate ist bei uns inzwischen immens hoch. Um ehrlich zu sein: In meinem Umfeld ist sie höher, weitaus höher als in dem Bereich der Gesellschaft, den man in Bayern als “Gschleaf” [dt. oft zugewanderte sozial Benachteiligte] bezeichnet. Obwohl unsere Eltern durchgängig perfektes Familienleben vorstellten, obwohl da keiner ist, der sich auf schlechte Vorbilder berufen könnte – es geht sehr oft einfach nicht gut. Es fehlt die Bereitschaft, eine Fehlentscheidung in der Partnerschaft ein Leben lang zu ertragen. Es fehlt auch die Bereitschaft, sich deshalb von Rom ausgrenzen und als Paria behandeln zu lassen. Obendrein steht im Matthäus-Evangelium gleich nach der Sache mit dem Binden im Himmel und auf Erden, dass dies auch für Trennungen, die nicht genau spezifiziert sind, gelten soll.
Natürlich ist es auf den ersten Blick nur eine nicht mehr ganz junge Frau, die nicht mehr zur Messe mitgeht. Es ist nur eine Frevlerin, könnte man denken, eine verzogene Berufstochter, die beleidigt ist, weil die Kirche ihre lockere Entscheidung wegen Langeweile nicht akzeptiert. Aber diese Kinder sind doch etwas mehr, sie sind die Träger des Glaubens als gesellschaftliche Institution und Tradition, und das geht an dieser Stelle unwiderruflich zu Ende. Ich war mit meiner Bekannten vor zwei Jahrzehnten schon einmal in Rom, damals mit der Schule. Damals war ich der verkommene Zyniker, der mit den paar Heiden die Papstaudienz schwänzte, und sie diejenige, die ergriffen überlegte, Religion als Leistungskurs zu belegen. Heute ist Gründonnerstag, und ich war in Rom, um über den Papst und den Katholizismus zu schreiben. Als ich ihr davon erzählte, kniff sie kaum merklich die Lippen zusammen, und sagte dann ein spitzes “Ach”.
Wie gesagt: Ich bin kein Christ, nur Kulturhistoriker. Was ich da gelernt habe ist: Rom war nie ein gutes Pflaster für Herrscher, deren Garden dieses “Ach” sagen.