Da nach kaiserlichem Befehle die Ankläger der Christen der Todesstrafe verfielen, wurden ihm gemäß dem Urteile durch den Richter Perennius sofort die Beine zerschlagen.
Eusebius von Caesarea, Kirchengeschichte, Martyrium des Apollonius in Rom.
Als sich das Christentum im römischen Reich ausbreitete, war der traditionelle Glaube an Zeus und den Olymp der Antike längst in der Krise. Von einer Staatsreligion vergöttlichter Cäsaren einmal abgesehen, die nicht mehr als Lippenbekenntnisse verlangte, konnte man ziemlich frei unter diversen Modereligionen wählen. Da gab es exklusive Bacchuskulte und die sehr populäre Mithrasreligion, man verehrte Attis und Kybele, oder, wenn einem Kulte und Mysterien zu dumm waren, betätigte man sich als Kyniker oder als Neuplatoniker und vertrat manche Ansichten, die auch heute noch ziemlich modern und aufgeklärt wirken. Ebenfalls reichlich modern waren auch die Juden, die keinen Anlass sahen, irgendwen zu missionieren und es so nicht nötig hatten, sich am lauten und peinlichen Marketing neuer Kulte für Römer in der Sinnkrise zu beteiligen.
Ebenso hatten sie wenig Verständnis für das Christentum, das seine Karriere als jüdische Sekte mit dem Versprechen begann, ihr Rabbi Jesus sei der lang erwartete Messias, dessen unzweifelhafter Tod am Kreuz aber ebenso wenig in die jüdische Erwartung des Messias passt, wie auch dessen Auferstehung. In dieser nicht wirklich erfreulichen Situation kommt es unter den Christen zum Beschluss, statt der verstockten Juden lieber die Heiden mit ihrer spätantiken Sinnkrise zu missionieren, und nachdem man für die Heilslehre der Auferstehung den Tod als zwingende Voraussetzung braucht, besetzt das Christentum, wenn man so will, eine Marktlücke: Ein Kult um den Tod und um Tote.
Wollte man der reichlich einseitigen Kirchengeschichte des Eusebius von Caesarea glauben, der in der Zeit kurz nach 300 aus dem gesamten römischen Reich Unterlagen, Gerüchte und Vermutungen zusammenträgt, war neben dem üblichen Streit diverser Richtungen das Erleiden von Martyrien die Hauptbeschäftigung der noch jungen Religion. Mit sichtbarer Freude am Leid ergeht sich Eusebius in den Beschreibungen von Martern und Qualen, die um so heftiger, brutaler und von wahren Massen erduldet werden, je weiter die Handlung von ihm entfernt ist. Er versteht das als gelebte Nachfolge Christi, als “Siegeskranz im Kampf für den Glauben”, und das prägt auch den Umgang mit dem Tod in den folgenden Jahrhunderten: Während Jesus selbst noch nach jüdischen Regeln sehr schnell und ausserhalb Jerusalems beerdigt wurde, weil Leichen nach den Riten Kontakt mit Leichen unrein macht, entwickelt das Christentum eine genau gegenteilige Vorstellungen: Leichen und Leichenteile von Martyrern sind heilsbringend, und die Toten bestattet man, wenn sie es sich leisten können, direkt in der Kirche.
Nun ist gerade die Stadt Rom geprägt von einem radikalen Aufräumen in der Zeit nach dem Konzil von Trient, das in der Mitte des 16. Jahrhunderts versuchte, die Kirche für die Herausforderungen der Lutheraner “fit” zu machen. Einer der Hauptstreitpunkte war die im Katholizismus weit verbreitete Verehrung all jener Heiligen, denen man etwa, um Eusebius zu Wort kommen zu lassen, “im Feuer geschmolzenes Blei, solange die Masse noch kochte und glühte, über den Rücken” goss und damit dem Mittelalter zwar erfundene, aber dennoch prächtige Anlässe zur Schaffung von Reliquien und drastische Darstellungen des Todes lieferte. Mit dem Konzil von Trient, das die extremen Auswüchse des Heiligenglaubens beschneidet, endet dann auch die Zeit der grossen Reliquiare, des allzu eifrigen Reliquien- und Wunderglaubens, und des Kults um Marter und Leid. Statt dessen geht man dazu über, wie oben zu sehen, Reliquien zu verpacken, den Knochen das Harte und Unausweichliche des Todes zu nehmen, und geht ohnehin dazu über, den Stachel des Todes mit Prunk und Zier abzufeilen.
Nachdem auch in den Zeiten nach dem Märtyrern es das übergeordnete Lebensziel römischer Würdenträger ist, selbst in den Ruch der Heiligkeit zu kommen, hat das natürlich auch Auswirkungen auf die Ikonographie des Todes. Während man im Mittelalter erst noch versucht, mit einem Hochgrab möglichst auf Augenhöhe möglichst nah am Altar als fromme Leiche in Stein Aufmerksamkeit zu erregen, geht man in der Renaissance dazu über, über dem Betrachter zu stehen und ihm auch noch den Eindruck zu vermitteln, dass man nicht wirklich tot sei, sondern sich nur für ein paar Minuten auf der üppigen Lektüre ein Nickerchen gönne. Hier wird niemandem mehr ein Schilfrohr unter die Nägel getrieben oder die Nase abgeschnitten, der barocke Kirchenfürst ist ein netter, älterer Herr, der verständnisvoll die Gläubigen betrachtet und es mag, wenn man zu ihm aufschaut.
Dies ist dann auch die Zeit, da der Tod und die Trauer nur noch zum Ornament verkommen, da man kitschig weinende Putten anfügt, oder Knochen und Totenköpfe als Verzierung beigibt. Der Tod verliert allen Schrecken und seine Brutalität, man geht so leicht durch all diese liegenden Herren in Denkerpose, wie man vielleicht auch in der Glotze die täglichen Abschlachtereien aus Hollywood zur beiläufigen Kenntnis nimmt. Die Zeit nach dem Konzil von Trient ist ein bemerkenswerter Vorgriff auf einen modernen Umgang mit dem Tod der reichen Leute unserer Tage, der so lange mit Faltenstraffung, Bräunungscreme, Wellnessurlauben und Seniorenangeboten aus dem Auge, aus dem Sinn ist, bis es dann rapide und schnell geht, am besten in einer guten Klinik, wenn es sein muss, oder was auch sonst sich jenseits des Horrors von Alzheimer oder des Grauens des Krebses im Angebot ist.
So sieht dann auch der Endpunkt der Entwicklung im 20. Jahrhundert aus, eine wirklich hübsche, geschmückte Leiche aus Wachs, die jederzeit aufstehen und ein Tänzchen wohl wagen könnte, mit anderen Heiligen, die nur etwas ruhen, oder gar mit dem Herrn Lenin in Moskau, den die Religion des Marxismus-Leninismus ganz ähnlich ihren Gläubigen darbietet, und die allesamt im Glauben nach Hause gehen dürfen, dass es doch alles nicht so schlimm ist, mit dem Tod, der alle Ungleichheit für einen kurzen Moment gleich macht, bevor es sich wieder anhand der Klassen entscheidet, ob man in einem Massengrab verscharrt wird oder als interessantes Beispiel für die Sepulchralkultur auch noch Jahrhunderte später eine Religion hochmodern wirken lässt, die in anderen Bereichen längst jeden Anschluss zur Gegenwart verloren hat.