Ich ließ mir’s wohlschmecken, schlief in dem prächtigen Himmelbett, ging im Garten spazieren, musizierte und half wohl auch manchmal in der Gärtnerei nach.
Joseph von Eichendorff, Aus dem Leben eines Taugenichts
Es ist ganz erstaunlich: Bis vor einem Jahr war die Heimreise aus Italien nach Deutschland immer auch eine Reise in die nationale Depression. Oben auf dem Jaufenpass verliess man die offenherzige Region Meran und nähert sich Österreich, das in seiner Enge schon einen Vorgeschmack auf die Düsternis des Nordens bot, und auf der Passhöhe blickte man ein letztes Mal sehnsuchtsvoll zurück auf dieses Land, in dem das Leben erst mal schön ist, und dann schaut man weiter. Man drehte sich um und wusste, was hinter all diesen Hügeln kam: Verärgerte alte Männer in Anzügen, die nie genug bekommen konnten.
Nie genug von Liberalisierung, nie genug Fördermittel, nie genug Unterstützung von der Politik, nie genug Entlastung und Steuersenkungen. Natürlich ist Deutschland nicht so schön wie Italien; in manchen Regionen ist es sogar richtig hässlich und heisst Berlin oder Essen oder gar Hoyerswerda, aber nirgendwo, unter keinen Umständen war es so scheusslich, so unerquicklich und von bornierten Leistungsverweigerern, Sozialfällen und Inkompetenz belastet wie in den Reden dieser Männer, die man selbst auch nur begrenzt als “schön” titulieren kann, ohne sich dem Vorwurf der glatten Lüge oder des Wirtschaftsjournalismus auszusetzen. “Standortdebatte” nannte man diesen verbalen Wettlauf um die Verhässlichung und Herabwürdigung des Landes durch alte Männer, und damit war sie als ökonomisch notwendig geadelt, selbst wenn man ähnliche Beschwerden, so sie von unten kamen, als “Gleichmacherei”, “Kommunismus” oder “typisch deutsche Neidkultur” abtat: Deutschland, ein kommunistisches, neidiges Land, das die Guten behindert, die Schlechten mästet und damit international zurückbleibt, während vor der Haustür, im Baltikum, in England und ganz besonders in Irland die Liberalisierung von allen Lebensbereichen zeigt, wie man es macht.
Diese nicht wirklich schönen alten Männer sind heute meine Nachbarn. Sie wohnen oft und gern am Tegernsee, weil es dort schön ist, und man sich sicher sein kann, dass die durchschnittlich 1,3% ALGII-Empfänger des Landkreises Miesbach hier ganz bestimmt nicht wohnen. Sicher irgendwo, aber nicht hier. Hier ist es noch mal besser, als in der neuen IVW-Studie behauptet, hier sind sie unter sich, und gern würde ich zu ihnen gehen, wenn sie unten am Yachtclub in der Sonne sitzen, ihnen auf die lacosteten Rücken klopfen und sagen: Gell, inzwischen ist es hier auch nicht schlecht, fast so schön wie in Irland.
Nun bin ich bekanntlich der höflichste Mensch von der Welt, und ausserdem beginnen bald die Gartenparties, zu denen ich gerne eingeladen werden möchte, und so verzichte ich auf derartige Anreden. Trotzdem wäre es gar nicht so dumm, in alten Zeitungen nachzuschlagen, wer noch vor wenigen Jahren seine Tage damit zubrachte, den Klassenkampf von oben mit einer Art Landesbeschimpfung von oben anzuheizen – ich bin mir reichlich sicher, dass unter den Freunden des alten irischen Modells heute genug Jammerlappen und Memmen sind, die den Niedergang ihrer Hypo Real Estate Aktien nicht wie Männer nehmen, sondern verlangen, der Staat möchte sie und ihre Spekulation besser entschädigen, statt das Ruder der ohne Staatshilfe insolventen Bank zu übernehmen.
Diesen Vertretern des enthemmten Kapitalismus mit staatlicher Hintertür für die private Besitzgarantie möchte man einen offenen Brief zu lesen geben, den zwanzig bekannte Ökonomen aus Irland verfasst und heute höchst prominent in der Irish Times veröffentlicht habem. Und was diese Herren da geschrieben haben, hat so gar nichts mehr mit dem keltischen Tiger zu tun, der hierzulande immer als Vorbild herhalten musste. Es ist ein Plädoyer für die Verstaatlichung der grössten Banken des Landes:
We believe that the correct action to take now is nationalisation of the banking system, or at least that part of it that is of systemic importance. We do not make this recommendation from any ideological position. In normal circumstances, none of us would recommend a nationalised banking system. However, these are far from normal times and we believe that in the current circumstances, nationalisation has become the best option open to the Government.
Nun ist die Lage in Irland schlimmer als auf dem Kontinent: In Irland lässt man die Studenten bluten und verpfändet zukünftige Pensionsbeiträge, um die Löcher zu stopfen, die das marode – oder vielleicht besser, faktisch insolvente – Bankwesen der Insel nach einigen fetten Skandalen wie künstlich gestützten Aktienkursen und Bilanzfälschungen hinterlassen hat. Und nachdem auch in Irland Einlagengarantien und Liquiditätshilfen nichts gebracht haben, der Staat aber nicht wie England oder die USA faktisch zum Gelddrucken übergehen kann, weil er Teil der Eurozone ist, soll nun versucht werden, die Banken zu retten, indem der Staat ihnen die schlechten Papiere abkauft, und somit die privatwirtschaftlichen Institute stabilisiert. Dafür finden die Wissenschaftler eine deutliche Mahnung:
Every additional euro that the State pays for bad assets is an additional euro for the current bank capital holders and one euro less of valuable equity investment for the State.
Auch der Rest dieser lesenswerten Ohrfeige für Politik und Banken ist harter Stoff für alle, die in Deutschland um Banken wie die von Staatshilfen abhängige Commerzbank winseln, die gerade über ihre Tochter Eurohypo einen Multimillionenbetrag in den USA verloren hat. In Irland formulieren Ökonomen Dinge, die man hierzulande nur von der PDS und den Jusos kennt; Austausch der Vorstände und des leitenden Managenements, ein Ende der Unterstützung maroder Banken, die Beteiligung der Steuerzahler am Gewinn, und massives Misstrauen gegenüber den Kapitalmärkten, denn “the experience of recent years is one that would have to cast doubt on the ability of markets to effectively monitor financial institutions.“
Für nicht wirklich schöne alte Männer auf all den schönen Berghütten am Tegernsee könnte man aus diesem Brief zwei Folgerungen herausziehen. Die eine Folgerung ist, dass sie noch froh sein können, weil man ihrer Standortdebatte nicht so weit folgen konnte, um auf dem Niveau von Irland zu sein. Bezeichnenderweise ist die Depfa, die die Krise der Hypo Real Estate auslöste, nach Irland gegangen, um dort in irischen Verhaltnissen leben können. Die andere Folgerung wäre, dass sie, wenn sie schon das Vergnügen haben, in diesem weniger liberalen, aber dafür halbwegs sicheren Land zu leben, das ruhig auch mal so sehen könnten. Und Danke sagen. Danke zu einem Land, das nur dann Banken übernimmt, wenn es gar nicht mehr anders geht, und sie und ihre Schlechtmacherei jahrelang erduldet hat, ohne sie dafür zur Rechenschaft zu ziehen, ohne ihre Namen und Aussagen von damals hervorzuholen, ohne sie und ihren angeblichen Sachverstand zu diskreditieren, und sie in Ruhe am See sitzen zu lassen, statt ihnen den Standort zu machen, den sie gefordert haben.
Denn in Irland ist man inzwischen nicht nur mit der ökonomischen Vernunft der Nationalisierung von Banken, sondern auch mit dem Verbrennen von Puppen mit Namensschildern weiter. Möchte vielleicht jetzt jemand irische Verhältnisse? Oder doch lieber noch eine gemütliche Tasse Tee in diesem gemütlichen Land? Zenzi kimmt glei. Es ist schön hier. Wirklich. Deutschland ist ein schönes, ein angenehmes Land.