Reiche Menschen fühlen sich wohl, wenn sie untereinander sind.
W. Somerset Maugham, Portrait eines Ehrenmannes
Um zu verstehen, was die bessere Gesellschaft jenseits von Lobbyistenvereinigungen und Klientelparteien von den Zumutungen der Politik hält, empfiehlt es sich, in meiner Heimat die Orgelmatinee am Sonntag aufzusuchen. Dort treffen sich unter einem famosen Deckengemälde der Gebrüder Asam all diejenigen, denen die Anlage KAP das Leben vergällt, die das Thema Miete nur in der Form von Vermögenszuwachs kennen und sich über die Preise beschweren, die in München für die Wohnungen der Kinder verlangt und von ihnen bezahlt werden. Dort sind die Kunden jenes stadtbekannten Steuerberaters, der wegen einer Luxemburger Investmentgeschichte und des Vorwurfs der Untreue Ärger mit dem Staatsanwalt hat, und wo der Spruch “de nemma uns ois” – die Politiker nehmen und alles – zum Lebenskonzept wie die Kreuzfahrt und Wohnung am Tegernsee gehört.
Die Schicht also, die das Thema dieses Blogs ist, jene 20%, der 80% des Landes und mindestens noch mal 20% der Schweiz und 10% der Toskana gehört, jedes bessere Viertel und die Überzeugung, dass sie ein Recht auf die beste aller möglichen Welten hat. Und die gerade mehr oder weniger die Zielgruppe für die neueste Verfolgung politisch Andersdenkender sein könnte: Das Opfer der Reichensteuer.
Hier stellt sich die Frage, was und wer überhaupt reich ist. Nach der gängigen Meinung dieser Klasse ist jeder reich, der reicher als man selbst ist, und ich kenne niemanden, der sich als reich bezeichnen würde. Selbst der Reichste, den ich kenne, lehnt da sofort ab und sagt, das sei alles für die Kinder, und der Rest stecke in Unternehmen. So gesehen wäre die Reichensteuer tatsächlich sinnlos, denn “reich” sind nur die Neureichen, die eine Financial Times Deutschland für eine Wirtschaftszeitung und Vanity Fair für ein Edelmagazin halten. Alle anderen sind bestenfalls vermögend, eher aber wohlhabend und in der Regel relativ arm, wenn man sich mal diesen und jenen Reichen anschaut.
Nun aber war die SPD so freundlich, in ihrem Parteiprogramm eine Einkommensgrenze von 125000 Euro pro Jahr für den Spitzensteuersatz als Reichtumsgrenze zu definieren, was einen schwer arbeitenden Freund des Kokains in der Medienbranche mit einschliesst, aber die alte Frau B., ihres Zeichens Notarswitwe, schwerreich und unter der Last ihrer Brillianten gebeugt, aussen vorlässt. Die Sozialdemokratie möchte das Management über den Löffel der Volkszufriedenheit rasieren, und offenkundig Milde für jene walten lassen, die schon länger gut eingesäumt sind.
Hier zeigt sich dann auch die – manche werden sagen Schwäche, ich jedoch finde Vorteilhaftigkeit – des sozialdemokratischen Ansatzes: Denn mit vorhandenem Vermögen kann man Steuern besser ausweichen, als mit einem hohen Einkommen. Für einen Wohlhabenden, der schon hat und zufrieden zwischen zwei, drei Wohnsitzen pendelt, ist die “Reichensteuer” kein Problem, das man nicht mit einer Denkmalschutzimmobilie und deren Geltendmachung in den Griff bekommen könnte.
Hart, wirklich hart ist sie für den Aufsteiger mit seinen angemieteten 130 Quadratmeter Altbau, dem geleasten Porsche und den Unterhaltszahlungen für die geschiedene Frau und das Kind. Hart wird es für alle, die einen 125.000-Euro Lebensstil haben, aber keine Polster. Die sog. “Reichensteuer” ist der Steinschlag, der dem aufsteigenden Neureichen bei seinem Weg auf den Olymp auf den Kopf fällt: Sie nimmt ihn vom Markt der erstklassigen Münchner und Frankfurter Immobilien, er bleibt erst mal der Mieter jener, die schon besitzen, und hat statt dessen ganz andere Sorgen, wie etwa das Bedienen von Leasingraten und den mittelfristig teuren Pay-TV-Anschluss. Und mit der Steuervermeidung in der Schweiz ist es heute auch nicht mehr so leicht, wie es bei jenen war, die am Sonntag, vor dem Gänsebraten, noch kurz Bach und Vivaldi lauschen.
Für diese Vermögenden jedoch gibt es wirklich Schlimmeres als ein paar lumpige Prozent mehr Steuern: Verluste bis zur Hälfte des Vermögens, je nach Anlageform, Aktienkurs und Schulden, die sie gemacht haben, um sich am grauen Kapitalmarkt zu beteiligen. Wirklich genau weiss in der jüngeren Generation niemand, was die Eltern in den letzten beiden Jahren der Finanzkrise verloren haben, aber es ist durch die Bank entsetzlich. Es fängt Gerüchten zufolge beim Gegenwert eines guten Sportwagens an und endet beim Preis einer Villa am Gardasse. All die Verluste, die seit Anbeginn der Krise zu verzeichnen waren, trafen zum grössten Teil diese Schicht. Bisher war die Finanzkrise fast ausschliesslich eine Krise der Vermögenden, die sich in den letzten Jahren zu oft riskante Geschäfte aufschwatzen liessen. Von all jenen nachgewachsenen Vermögensberatern, die inzwischen in diesen Kreisen nicht mehr eingeladen werden.
Das alles ist sehr unschön gelaufen, ohne dass man sich allzu laut beklagt hätte. Die meisten Vermögenden haben schon den ein oder anderen Sturm durchgestanden, den Neureiche nicht kennen. Zudem haben Vermögende so eine Art historisches Gedächtnis, in dem die Finanzkrisen des 20. Jahrhunderts gespeichert sind. Der Grossvater des Neureichen wird wenig über die Inflation und den Börsenkrach erzählt haben, sass er damals noch als honoriger und seriöser Knecht in seinem Dorf und hatte nicht mal Radio, und Zeitung konnte er sich nicht leisten. Bei uns jedoch sind all die Verluste, Schieflagen und Bedrohungen ins Bewusstsein hineingebrannt, und gleich nach dem Krieg war die Inflation das Schlimmste, was den Menschen passierte. Die Inflation von 1923 nämlich vernichtete den Besitz und machte die Vermögenden arm; die Weltwirtschaftskrise war da nur eine Fortschreibung der Katastrophe der besitzenden Schichten.
Die 1923er Hyperinflation wurde durch die hohe Verschuldung des Landes nach der Krise des 1. Weltkriegs ausgelöst, die der Staat nur noch durch das Drucken von Geld bedienen konnte und wollte. Heute haben wir wieder eine Krise, und wenn man hört, dass die USA und das Vereinigte Königreich die virtuellen Geldpressen unter dem Begriff “quantitave easing” laufen lassen, kommen unschöne Erinnerungen auf, zumal eine hohe Inflation ein einfacher Weg überschuldeter Kreditnehmer aus ihren Zahlungsverpflichtungen ist. Staaten nehmen enorme Schulden zur Rettung ihrer Banken auf, und manchmal werden sie ihre Anleihen schon nicht mehr los. Da bleibt zur Steigerung der Einnahmen nur die reichlich bequeme Druckerpresse übrig.
Oder eine Steuererhöhung. Um es mal so flockig wie ein Talkshowgast der Initiative Neue soziale Marktwirtschaft zu sagen: Ach was, ein paar Prozent mehr auf das Einkommenssteuer trifft keinen, der es sich nicht leisten könnte. Ein paar Prozent mehr Inflation jedoch würde alle Besitzenden treffen. Wäre die SPD klug und nicht nur populistisch, würde sie genau das den Vermögenden, wie auch all den Sparern erklären: Dass ihnen weniger genommen wird, als man ihnen durch eine Begrenzung der Inflation gibt. Dass Inflation nur hoch verschuldeten Neureichen hilft. Denn nicht die Reichensteuer ist das grosse Thema der Vermögenden, sondern die Geldentwertung. Ob man letztlich das Ziel erreicht, ist eine andere Frage, die ich hier mit einem pessimistischen Nein beantworten möchte. Aber wenigstens betoniert die “Reichensteuer” die Trennmauer zwischen neureicher sog. “Leistungselite” und altvermögender Besitzelite frisch ein. Und ich möchte auch in Zukunft lieber nach dem Konzert mit Frau B. über meinen Weinstock reden, als mit einem, wie man bei uns in Bayern sagt, “hochgschissnen” Sachbearbeiter über den Goldpreis.