Unser Jahrhundert beweihräuchert den Reichtum. Reichtum ist die Gottheit dieses Jahrhunderts.
Oscar Wilde
Mitunter taucht hier in diesem Blog die Frage auf, was eigentlich Reichtunm ist. Oh, Reichtum erklären, das ist einfach. Wiederum nehme ich die Leserschaft auf einen sehr hohen Berg und zeige ihnen alle Goldküsten des Tegernsees und ihren Glanz und sagte zu ihnen: “Das alles wird euch gegeben, wenn ihr euch lang genug vor dem Mammon niederwerft oder einfach in die richtige Klasse geboren wurdet.” Und dann werde ich von den Privatstrassen des Leebergs erzählen, von den angesagten Konditoren und den Bentleys, die am Abend am Strandcafe herumstanden. Vom stabilen Geschäft der Aufspritzer und dem geschlossenen Seglerladen, weil dessen Besitzer jetzt erst mal selbst auf dem See dümpeln möchte. Vom fünf Meter durchmessenden Trampolin, mit dem die Eltern des Osterbergs den Eltern aus dem nebenan liegenden Gasse und ihrem lumpigen 4-Meter-Trampolin gezeigt haben, wie man sich heute um Kinder kümmert.
Aber so einfach ist es nicht.
Es ist nicht so einfach, weil “Reichtum” ein sehr schwammiger Begriff ist. Seine Insignien, seine Werte und seine Wahrnehmung ändert sich. Vor hundert Jahren war ein Millionär noch das, was man heute als superreich bezeichnen würde. Heute kann jeder Fitnessstudiobesitzer Millionär werden, und in ein paar Jahren ist der Millionär vielleicht schon von Sozialhilfe abhängig. Vor 100 Jahren musste man noch wirklich vermögend sein, um sich ein Auto oder wirklich gute Ärzte leisten zu können. Heute bekommt jeder Tabletten und Autos mit Staatshilfe nachgeschmissen. Vor hundert Jahren musste man noch ein kleines vermögen in Kleidung investieren, um in die Oper zu gehen. Heute fällt man dort mit Jeans kaum mehr negativ auf. Frühere Insignien des Reichtums werden zum gesunkenen Kulturgut. Reichtum muss sich deshalb immer neu erfinden.
Trotzdem möchte ich bei meinem Erklärungsansatz 80 Jahre zurückgehen und Ihnen Tante B. vorstellen. Tante B. war meine Grosstante II. Grades und, wie man an Habitus und Haltung unschwer erkennen kann, reich. So gingen damals nur Reiche an den Strand. Ganz besonders an diesen Strand. Es ist der Timmendorfer Strand an der Ostsee, damals ein mondänes Seebad, das nicht jeder aufsuchen konnte. Das Photo stammt vom Herbst 1929 und ist in einem Album, das letztlich bei mir landete. Tante B. hatte ein Faible für Photoalben und war so nett, später aufzuschreiben, wo und wann die Bilder aufgenommen wurde. Das hier, erklärt die Rückseite, wurde natürlich von einem beauftragten Photographen gemacht, als Postkarte gedruckt und an Freunde verschickt. Ein paar Wochen später brachen die Börsen zusammen, und die Weltwirtschaftskrise begann.
Eine Krise, die mit atemberaubender Geschwindigkeit ganze Klassen verarmte und den Bürgern in ihrer Not auch noch das nahm, was sie durch den 1. Weltkrieg, das Platzen des Staatsanleihen und die Inflation gerettet hatten: Reste des bürgerlichen Besitzes, Moralvorstellungen, traditionelle Bindungen. Hastig zusammengekaufte Firmenkonglomerate, Banken, Finanzjongleure und Unternehmer mit zu hohen Schulden sahen Ihren Reichtum in Nichts aufgelöst. Es war eine furchtbare Zeit für die Armen, aber es war ebenso eine verheerende Zeit für die besitzende Elite.
1930 ist Tante B. in Heiligenhafen an der Ostsee. Auch hier, angesichts der vielen Photos und an die geschickten Karten, etwas länger. Tante B. hatte in recht jungen Jahren einen Anteil an einem grossen Landwirtschaftsbetrieb in Bayern geerbt, sich auszahlen lassen und in Hamburg einen Mann geheiratet, dessen Grosseltern einen Kolonialwarenladen langsam ausgebaut hatten, bis eine kleine Senffabrik entstand, die in den 20er Jahren mit Hilfe des Geldes aus Bayern florierte. Keine Schulden, Geld auf der Seite, nebenbei konservative Immibilienkäufe. Das, was man vielleicht als “grundsolide” bezeichnen würde. Reich, aber nicht extrem reich. Ohne materielle Sorgen. 1930 war die Arbeitslosigkeit in Deutschland rapide von 2 auf 3 Millionen angestiegen.
Das merkt man nicht. Überhaupt, wenn Tante B. erzählte, gab es damals keine Wirtschaftskrise. Es gab die bessere Hamburger Gesellschaft und ab und zu kauften sie wohl jemandem, der Geld brauchte, etwas ab. Im Sommer, wenn es nicht so viel zu tun gab, waren sie ein paar Wochen oder Monate in Sommerfrische, Post bitte nachschicken an Tante B., Villa mit Meerblick, Seebad soundso. Sie waren nie Stammgäste, sie zogen die ganze Nord- und Ostseeküste rauf und runter, mal im schnuckligen Laboe und mal im mondänen Heiligendamm, mal auf Sylt und dann wieder in Blankenberghe.
Zwischendrin dann auch Besuche in Bayern, Wanderungen in den Bergen, dann wieder Geselligkeit in Hamburg, 1931 ein Mercedes 170, 1932 in Nizza, nebenan Arbeitslosigkeit in Deutschland 4,5 Millionen, Notstandsgesetze, Massenarmut, Bankencrash, Obdachlosigkeit, Hunger, Hunger, Hunger. Blättert man in den Alben, ist man erstaunt von der Gleichzeitigkeit der angeblich schlimmsten Wirtschaftskrise aller Zeiten, und dem angenehmen Leben, das unbeirrt Schauplätze zum Vorzeigen der neuen Schneidermodelle sucht. Womit wir bei der Ausgangsfrage sind: Das nenne ich “reich”. Reich ist nicht, wer im Boom im Management nach oben gespült wird und seine 140.000 Jahreseinkommen durchbrennt, reich ist nicht, wer sich für scheinbar sichere Finanzprodukte verschuldet, reich sind nicht die Erben, die nur zeitweise vom Schicksal begünstigt sind. Im Boom kann jeder reich werden, jeder bekommt Chancen und Zulagen. Die Krisen jedoch sind es, die aufzeigen, wer wirklich reich ist. Denn genauso, wie der Begriff des Reichtums durch alle Zeiten hinweg Bestand hat, hat auch Reichtum, also echter Reichtum Bestand. Alles andere ist nur Teilnahme am Pyramidenspiel der Volkswirtschaften. Reiche stehen darüber. Es nützt ihnen, wenn es aufwärts geht, aber es schadet ihnen nicht, wenn es für einen Teil steil bergab geht.
Dieser Reichtumsbegriff ist für mich angenehm, weil ich mich damit nicht auf Zahlen festlegen muss, oder das Problem habe, Besitztümer zu bewerten. “Wert”, und hier besonders “Geldwert”, ist, wie wir gerade an den toxischen Papieren erleben, problematisch. Früher waren die Banken damit scheinbar reich, heute sind sie offensichtlich am Rande der Pleite. Reich geht anders. Der Begriff ist für mich allerdings auch unangnehm, weil ich ihn im Gegensatz zu Tante B. nicht in Anspruch nehmen kann, denn natürlich habe ich heute, 80 Jahre später, Angst, und andere Sorgen als die Wahl der passenden Schuhe. Aufgrund dessen, was ich von Reichtum weiss, habe ich mich abgesichert, aber ob man wirklich reich war, weiss man erst nach der Krise, wenn man an die Sommer 2009 ff nur angenehme Erinnerungen hat. Nun ja. Mittwoch fliege ich nach England.