Wer nix daheirad und nix dairbt, bleibt oam ois wiara schtiabt.
Bayerisches Sprichwort
Gewiss, die Buchläden auch dieser Stadt sind voll mit Karriereratgebern und Titeln, die Reichtum und schnellen Aufstieg versprechen. Sicher, es scheint, als gäbe es dafür Patentrezepte, denn in dieser Stadt laufen so viele wirklich vermögende, wirklich einflussreiche Menschen herum, mit allen Insignien des Erfolges. Von aussen betrachtet wirkt es, als hätte sich da eine ganze Schicht nach oben gearbeitet und würde nun dieser reizenden und immens reichen Stadt vorstehen, die nicht weiss wohin mit ihrem Geld, und wo sie noch Bauflächen ausweisen soll. Da muss es einen Weg geben, den man lernen und für sich selbst nutzen kann, denken die Aufsteiger.
Und wundern sich, wenn daraus nichts wird. Denn eigentlich gibt es nichts einfacheres, als in dieser Stadt den Stützen der Gesellschaft anzugehören: Man wird als eine solche geboren. Es ist keine Mühe und kein Verdienst, und der Rest kam ganz von alleine. Bis zum Ende der offensichtlichen Klassengesellschaft gegen Ende der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts war das üblich, und danach begann der Aufstieg, die einzigartige Erfolgsgeschichte dieser Stadt im Zusammenhang mit einem bekannten Automobilhersteller, der sich vom Ruf der Rentnerfahrzeuge löste und heute der Traum aller Sachberarbeiter und anderer Aufstiegswilliger ist.
Bis zu jenem Zeitpunkt war die Elite dieser Stadt das Übliche: Honoratioren, die in jener Stadt das Sagen und ausserhalb nichts zu melden hatten; kleine Möchtegerns, die nach München in die Wagneroper fuhren, und für die der Standortball der Höhepunkt des gesellschaftlichen Lebens war. Danach änderte sich nichts, aber von aussen strömten neue Arbeitskräfte zu. Zehntausende von Arbeitskräften, die wohnen mussten, konsumieren, die unterhalten werden wollten und versorgt werden mussten. Das Ausnehmen und Schröpfen dieser Massen durch jene, die schon hier sassen, war gediegener als ein Goldrausch und vornehmer als eine Raubritterburg, aber es war lukrativ. Extrem lukrativ.
Und simpel. Man sass einfach auf der Spitze einer Pyramide, die von unten her anwuchs. Man maulte über den Zugezogenen und lud ihn nicht auf die Gartenparty ein, und der Zugezogene der 70er Jahre verfuhr mit dem Nachzügler der 90er Jahre nicht anders. Wie im tiefsten Mittelalter profitierte der Alteingesessene vom Zuzügler, ohne auch nur einen Finger zu rühren. Das machte alles der Weltmarktführer. Alles war gut und einfach. Man wurde reich, aber keiner wusste so richtig, wie das geht. Es ging halt.
Bis zu jenem Tag, da die schwäbische Firma Porsche auf den Plan trat und die Mutterfirma des Weltmarktführers kaufen wollte. Das ist schlimm für die kleine, dumme Stadt, denn schon immer galt dieser VW-Konzern als lahme Bude, die ihr Juwel in jener Stadt nicht richtig glänzen lassen wollte. Wenn es schon mit dem VW-Mühlstein so gut laufen würde, wie wäre es erst, wenn der Weltmarktführer ganz allein wäre? Und wie schlimm würde es werden, wenn Porsche plötzlich das Sagen hätte, die doch im gleichen Marktsegment Ambitionen hegen?
Vielleicht hätte Porsche aber auch noch weitere Ideen: Einen kombinierten Porschekonzern, dem der Weltmarktführer die Basismodelle stellt. Eine Ausbeutung der hiesigen Marke, ein Raubzug bei der technischen Entwicklung, ein Aussaugen der Kompetenz, und am Ende gar Finanzmanipulationen, die dem Weltmarktführer künstliche Verluste zuwiesen. Sollte es Porsche plötzlich nicht mehr gut gehen, wer weiss, ob sie nicht einfach das Werk teilweise nach Stuttgart verlegten? Arbeitsplätze transferierten, Produktionslinien verlagerten?
Die kleine, dumme Stadt lebt allein von diesem Hersteller. All das, was sie zu sein vorgab, die protzigen Imagebroschüren, die Erfolgsgeschichte, die fortschrittliche, kommende Metropole in Bayerns Mitte, und mit ihr auch die führende Schicht, die sich bestens eingerichtet hatte im Zuwachs des Reichtums, die ganze Welt vom einen nahen Horizont bis zum anderen, schien plötzlich unsicher und brüchig. Hatte man nicht mit R8 und Lamborghini dem 911er das Leben schwer gemacht, hatte man dem Cayenne nicht Kunden genommen, war man Porsche nicht mit dem A8 im Weg? Solche und andere Fragen stellten jene, die hier mehr als drei, vier Häuser hatten, und andere, deren Geschäfte auf Wachstum ausgerichtet waren, hatten auch keine Antwort.
Denn für die Elite sind solche Veränderungen nicht leicht zu bewältigen. Man wurde reich, weil man blieb, und man wird arm, wenn man nun nicht weg kann. Und wie sollte man hier weg, unter Aufgabe des Status? Wo sollte man hin, wo würde man wieder als Stütze der Gesellschaft aufgenommen werden, wenn man als Flüchtling aus einer Region käme, die das Gespött der Leute wäre, eine Wüste wie das Ruhrgebiet und Bremen? Die Besitztümer hier sind teuer und nicht leicht zu verkaufen in diesen Zeiten, und auch Fluchtorte sind gerade nicht wirklich sicher. Man ist also abhängig von den Entscheidungen, die Porsche in Salzburg und Weissach trifft, und nicht mehr vom eigenen Können draussen in der Fabrik. Noch vor kurzem hatten andere Hersteller Angst vor dieser Firma und ihrer kraftstrotzenden Region, die schon bald nur noch Empfehlsempfänger, Gnadenbrotesser oder gar gebrandschatzte Ruine von Porsche sein könnte. Man hatte Angst, dass man plötzlich wieder, wie schon die Urgrosseltern, die Elite eines zurückgebliebenen, bayerischen Kaffs sein könnte.
So darf es nicht wundern, wenn nach einem Jahr der Unsicherheit nun die Freude gross ist – denn Porsche hat sich beim Kauf von VW massiv übernommen, und kann offensichtlich nicht mehr zahlen. Statt dessen wird aus Porsche auch nur ein Hersteller unter dem Dach von VW. Da lacht die Elite. Der ehemalige Unterdrücker steht mit qualmender Warze am Strassenrand, und Audi mit der zehn mal so grossen Fahrzeugproduktion kann wieder schalten, wie es will. Die herrschaftlichen Häuser sind voller Freude darüber, dass der Hedgefonds Porsche mit seiner unsoliden Finanztrickserei nun gegen die bodenständige Qualität der Heimat verloren hat. Niemand wird dieser Stadt etwas von ihrem hart erarbeiteten Erfolg und der Elite von der Immobilienbewertung nehmen. Das Goldene Zeitalter wird fortgesetzt, die Tochter bekommt nun doch den TT anstelle des anfälligen Maseratis, und nur zur Sicherheit erwirbt man, man kann ja nie wissen, nun doch eine Wohnung in München oder am Starnberger See.
Es sind schöne Tage in der bayerischen Provinz, der Arbeiter lacht, der Bürgermeister strahlt und wir besprechen die Gartenparties, zu denen niemand einen Porschemitarbeiter einladen muss, wo alles so bleibt, wie es schon immer war, nur noch ein wenig besser könnte es natürlich schon werden, in dieser fleissigen Vorzeigeregion, von der alle anderen noch was lernen können, Sprüche wie “von nichts kommt nichts” oder das besondere Selbstbewusstsein, das nur jenen Menschen zu eigen ist, die nie etwas anderes getan haben, als am richtigen Ort zu sein und gar nicht zu verstehen, warum die in Eisenach, Rüsselsheim und Bochum solche Probleme haben.
Begleitmusik: Zu unseren Gartenparties passt natürlich unbeschwerte, französischen Barockmusik für Schäferstunden ganz vorzüglich – einerseits wegen des leichten, frohen Lebens, das in der Einspielung des Romans “l’Astrée” vorgestellt wird; andererseits auch, weil es vergessen lässt, welchem Raubbau an Natur und Welt wir eigentlich dies leichte Leben verdanken, in dem ansonsten die Fabrik vor der Stadt kaum in Erscheinung tritt, denn bei uns daheim gibt es nur Felder, Seen und Wiesen.