Anstelle einer neuen Wohnung haben wir uns einen neuen Ferrari mit einem grösseren Kofferraum besorgt.
Ingrid Bergman
Wenn die letzten Automobile in Brescia über die Rampe für die kommenden 1600 Kilometer durch Italien rollen, ist es bereits Nacht über der Stadt. Frühe Startnummern erreichen den Gardasee vielleicht noch in der Dämmerung, aber die meisten Teilnehmer sehen von der herrlichen Landschaft sehr wenig; nur die Strasse und hektisch winkende Polizisten. In den Dörfern und Städtchen ist noch Hochbetrieb, Zigtausende säumen den Streckenrand, und machen die Fahrt durch die vielen Kreisel zu einem riskanten und höllisch lauten Spektakel. Wegelagerei mit der Digitalkamera, familiär organisierte Strassensperren, damit Oma auch etwas zu sehen hat.
Aber das Geschrei italienischer Sippen alles ist nichts verglichen mit jenem Spektakel, das im Moment von anderen Familien gegeben wird, namentlich von diversen Besitzerfamilien deutscher Konzerne. Schäffler mit ihrer katastrophal gescheiterten Conti-Übernahme, der in sich zerstrittene Porsche-Piëch-Clan, der sich beim Kauf von VW an den Rand des Abgrunds manövriert hat, die Agnellis, die mit Fiat für die Rettung von Opel und Chrysler an das grosse Geld der Staatssubventionen wollen, die Familie Klatten und die Absatzkrise bei BMW – sie alle, man verzeihe mir die harschen Worte angesichts der schönsten Produkte aus ihren Häusern, sie alle bieten ein wahrhaft erbärmliches Bild, das nicht gerade zum Ansehen der Industriellendynastien beiträgt.
Denn sie sind nicht gerade das, was man als “arm” bezeichnen könnte. Das Familienvermögen ist durchaus ansehnlich, die ein oder andere Milliarde aus all den Jahrzehnten der Familientätigkeit hat ihren Weg aus den Firmen in die Hände ihrer Besitzer gefunden, und wurde dort anschliessend im Clan und zwischen Erben verteilt. Diese Aufteilung des Besitzes, die uns den Aufstieg der “Family Offices” gebracht hat, jener Geldverwalter, die die Profite aus dem durch Erbgänge verstreuten Besitz jenen zukommen lassen, die inzwischen nur noch wenig mit echter Firmenarbeit zu tun haben, diese Aufteilung ist ein formidables Mittel, um das Geld in der Familie zu halten und nicht in Notzeiten in die Firma fliessen zu lassen. Denn wer sich über Jahre an Überweisungen und deren angenehme Folgen gewöhnt hat, sieht nicht immer ein, dass er auch mal etwas zahlen muss, unter beträchtlicher Reduzierung des Lebensstandards und gar unter Aufgabe einer Fünftimmobilie, wenn es ganz schlimm kommen mag.
In solchen Strukturen ist dann immer der ein oder andere Vetter, dem das gerade gar nicht passt, wenn die Familie nun für den Konzern einspringen würde. Dann wird eben über den Verkauf nachgedacht, und nur noch über den Preis geschachert. Da wird der Anwalt beauftragt, im Insolvenzfall Durchgriffsmöglichkeiten zu beschneiden, da zählt längst nicht mehr die Marke oder der Mitarbeiter, sondern nur noch die Verbringung der Schafe ins Trockene. Es ist schwer, solchen Familien so etwas wie Respekt entgegen zu bringen, die auf den Schnellstrassen des Kapitalismus alles beiseite drängeln, was ihrer freien Bahn schadet. Es ist auch nicht wirklich nett, lieber Kernindustrien des Landes an ausländische Investoren mit ruppigen Gewinnmaximierungsstrategien zu verkaufen und unangenehme Spekulanten mit an Bord zu nehmen, die rücksichtsloser als jeder Rennfahrer der echten Mille Miglia durch jene Strukturen pflügen, denen man immerhin einen funktionierenden Staat verdankt, in dem man sich sicher fühlen kann, selbst wenn man eine Weile seine weitläufigen Domänen rund um Salzburg, in Zell am See oder in Oberitalien verlassen muss.
Selbst der viel gescholtene Aktionär oder gar der Hedge Fonds ist da mitunter verantwortungsvoller, muss auch verantwortungsvoller sein, steht doch das Geld direkt auf dem Spiel, wenn die Beteiligung aus der Kurve fliegt. Ist ein Auto kaputt, muss man die Reparatur zahlen. Entwickelt sich ein Immobilieninvestment nicht nach Plan, hat man unerfreuliche Nachschusspflichten. Durch Family Offices entkoppelte Erben dagegen haben viel Nutzen, aber wenig Verantwortung. Es ist in einer sozialen Marktwirtschaft eben anders als auf der Piazza delle Erbe in Verona Nachts um 12, wo man schon mal Gas geben kann, weil inzwischen die meisten Schlachtenbummler im Bett oder schon weiter auf dem Weg nach Ferrara sind, man sollte ab und an auch Rücksicht nehmen, damit der gute Ruf erhalten bleibt, den sich derartige Familien nach 1945 – sei es nun gerecht oder auch nicht – erarbeitet haben.
Enzo Ferrari soll zwar menschlich ein Scheusal gewesen sein, brutal, herzlos und gnadenlos, autoritär und fanatisch. Aber er riskierte als Rennfahrer selbst sein Leben und ging in seiner Firma auf, deren Boliden hier die Dunkelheit mit ihren Scheinwerfern durchschneiden. Reiche Erben jedoch, die am Tropf einer Firma hängen, in der sie allenfalls Frühstücksjobs haben oder ein wenig PR machen lassen, sind aus einem anderen Holz geschnitzt, und angesichts der Anspruchshaltung gegenüber Staat und Gesellschaft, die nun in der Krise zum Schutz des eigenen Besitzes an den Tag gelegt wird, stellt sich durchaus auch für mich die Frage, ob denn die vielgescholtene und angeblich leistungsfeindliche Vermögenssteuer angesichts solcher Leistungseliten wirklich so eine schlechte Idee war. Möglicherweise würde etwas mehr Beitrag zum Staatswesen auch dafür sorgen, dass unter den Sammlern die exorbitanten Preise für die historischen Schöpfungen aus Maranello und Modena etwas fielen, und das wiederum könnte all jenen gefallen, die auch gerne mal in so einem Wagen durch das nächtliche Oberitalien fahren würden.
Die wären dann vielleicht auch weniger prominent, was so einer Veranstaltung immer gut tut, nachdem man sich hier dankenswerterweise inzwischen auch dazu durchgerungen hat, nicht mehr allen Sponsoren jeden Kaufpromi mit TV-Visage einfach so durchgehen zu lassen, wenn es weiter durch Umbrien nach Rom geht.
Bonusmaterial (irgendwohin müssen meine 1500 Bilder ja gehen):