“Und woher haben Sie dann den Mut, jede Nacht ins Bett zu steigen?”
Ein Reporter fragte Tazio Nuvolari, wie er in einen Rennwagen steigen könne, wenn er befürchtete, darin zu sterben. Nuvolari fragte den Reporter, ob er im Bett sterben wollte, was jener bejahte. Darauf stellte Nuvolari die obige Frage.
Wir haben die meisten Bilder für diese Mille Miglia nach Brescia, Verona und einigen schönen Orten bei Assisi schon im Kasten und sind auf dem Weg nach Rom, über einen Schleichweg durch Umbrien, der uns zwei Stunden spart und die klassischen Automobile, die noch eine Schleife ziehen, überholen lässt. Da rasen von hinten, ebenfalls abkürzend, die modernen Wagen des Sponsors vorbei, zusammen mit einem einzelnen klassischen Teilnehmerfahrzeug, das später von etlichen angeblichen Medienvertretern, die im Pulk mitreisen, in den Mittelpunkt der Berichte gestellt wird. Autojournalismus gilt aus guten Gründen als einer der verkommensten Dreckpfuhle des an unerquicklichen Orten nicht gerade armen Berufsbildes, doch selten wird die Kumpanei so offen aufgeführt, wie an jenen Tagen im Mai – oder besser in dem, was Medien später auf Papier und im Internet daraus machen.
Nun ist es heute leider so, dass viele Veranstaltungen untrennbar von Sponsoren abhängig sind. Sponsoren lassen Stadien nach sich benennen und dürfen Feste in Museen feiern, wo dann spät nachts betrunkene Adabeis durch die Räume wanken. Sponsoren füttern die Besucher des Festes des Bundespräsidenten und auf Startup-Messen, Sponsoren sind begehrt und haben Sponsorenvermittler als Berufsbild begründet. Sie funktionieren nach dem St.-Florians-Prinzip, denn gern wird bei ihnen der Krümel unter dem Tisch gefressen in der Hoffnung, dass irgendein anderer schon dafür zahlen wird. Das mag in Ordnung sein, wenn jemand wirklich Interesse am Thema hat und sich ansonsten im Hintergrund hält. Die meisten Sponsoren wollen jedoch ihre Produkte vorstellen, gutes Klima für die PR schaffen, und sich den Gaffern andienen. Sponsoren sind der Grund, warum ich nicht bei der Mille Miglia akkreditiert bin und unerkannt unter normalen Besuchern bleibe. Weil ich nicht gesponsort werden will, weil ich nicht angeredet werden möchte und Probleme habe, meine Meinung gegenüber diesen Personen höflicher als in diesen Zeilen zu artikulieren, weil ich es mir auch so leisten kann.
Zu den prägenden Erinnerungen meiner Jugend zählt die Maxime: “Nimm nichts an.” Und wenn ich doch etwas akzeptierte, dann nur exakt das, was ich aus Höflichkeit nehmen musste. Vollkommen unvorstellbar war und ist es, sich das letzte Stück vom Teller zu holen, und es nicht explizit offeriert wird – und selbst dann nur unter Protest und Frage, ob nicht jemand anderes Wert darauf lege. Natürlich kauft man immer zwei Stück Kuchen pro Person, und genauso natürlich bleibt die Hälfte übrig, bis sie einem erkennbar aufgedrängt wird. “Wir brauchen nichts” ist ein anderer Spruch gewesen, und “das können wir uns selbst leisten” ist eine weitere Grundeinstellung der Schicht, die ich schätze. Es wäre der gesellschaftliche Selbstmord, würde man sich eine Gartenparty von Geyer, Listl, Uhlmann oder Erhard sponsorn lassen. Anständige Geschäfte tun das nicht, und anständige Leute würden das nie zulassen. Man würde sofort das Gerede bekommen, etwa, dass man wohl ein Problem habe, das zu finanzieren. Erstaunlich, wie locker das in Berlin gehandhabt wird. Man fragt sich, aus welcher Schicht eigentlich Politiker und Würdenträger stammen, die damit kein Problem haben. Und wo sie waren, als anständige Leute erzogen wurden.
Diese Überzeugung, nichts annehmen zu müssen und sich alles selbst leisten zu können, ist ein feiner Zug des selbstbewussten und aufgeklärten Bürgertums. Es wäre ein feiner Zug von Firmen, wenn sie ihre Sponsoringabteilungen aufgrund, wie es so schön heisst, unterschiedlicher Auffassungen entliessen und sich dem eher stillen Mäzenatentum zuwenden würden. Natürlich ist auch der Mäzen mit Vorsicht zu behandeln, wie eine schnelle Lektüre schleimiger Buchwidmungen vergangener Jahrhunderte zeigt, natürlich war mancher Potentat, der sich ein paar Lyriker und Maler hielt, menschlich ähnlich unerfreulich wie heutige Manager von Hypefirmen. Geht es einem aber um Anerkennung eben jener Schicht, hat man absolut keinen Vorteil, wenn man mit Sponsoring und Branding als Urbild des Neureichen in Erscheinung tritt, der glaubt, alles und jeden mit möglichst viel und extrem teuer zu beeindrucken. Um so kläglicher ist es dann, wenn das Sponsoring in Zeiten wirtschaftlicher Probleme kleiner ausfällt – nichts gefällt der Gesellschaft mehr, als ein Angeber, dem die Puste ausgeht, und keiner würde die alte Regel, noch so ein Spruch aus meiner Jugend, “Hochmut kommt vor dem Fall”, mit echtem Bedauern und Mitleid aussprechen.
Natürlich bin ich nicht so vermessen, mir in dieser Frage Hoffnungen zu machen. Grossmütig müsste ein Mäzen sein und gleichzeitig bescheiden, er müsste der Sache dienen wollen und sie fördern, und dabei seine eigenen Interessen kurzfristig zurückstellen, um mittelfristig einen guten Namen zu bekommen. Es ist nichts, was im Rahmen von Projekten und Jahresfristen Früchte trägt, es taugt nicht zur Powerpoint und auch nicht zum Verständnis bei Sachbearbeitern, die eine 10-teilige Klickstrecke mit PR-Photos für gelungene Absatzwirtschaft halten. Da fahren sie also dahin, Staubsaugervertreter a la mode in hässlichen Autos, eine Beleidigung für das saftig grüne Umbrien, seine weichen Hügel und seine verschwenderische Schönheit, in der man sicher vorzüglich Picnic machen könnte, wenn man nicht nach Rom weiter müsste, wo man peinlich genau aufpasst, möglichst wenig Werbung auf den Bildern mit einzufangen.
Diese Frage, ob man sich selbst etwas leistet, oder es bezahlt bekommt für die Vorstellung nervige Zeitdiebe, Marktschreier und Flackerbilder, hat beste Aussichten, vom Ärgernis zu dem Distinktionsmerkmal des 21. Jahrhunderts schlechthin zu werden: Wer es sich leisten kann, wird das Gepöbel aus seinem Leben verbannen. Im Viertel meiner Eltern etwa gab es einmal eine Plakatfläche an einer Wand eines Mühlenanwesens. Man hat sich zusammengetan und auf den Besitzer eingewirkt, das Ding verschwinden zu lassen. Nun findet sich unter jenen happy few Werbung nur noch auf dem Altkleidercontainer, und die ist für die Orgelmatinee. Ausgerechnet jene Schicht, die ihr Vermögen sicher auch dem Umstand verdankt, dass andere auf die Verpestung des öffentlichen Raumes mit Firmenbotschaften hereinfallen, schafft sich eine Zone, die frei davon ist. Der Rest jedoch bekommt ständig Scheinoccasionen serviert, die am Ende doch wieder von allen Verbrauchern bezahlt werden, damit ich in Umbrien von jenem lauten und prollösen Tross gestört werden kann, von dem ich ganz sicher nichts annehmen werde; schliesslich kann ich es mir selbst leisten: Die Reise und die Verachtung.
Bonusmaterial (Ich habe noch so viel davon):