Wenn die Windrichtung stimmt, verspürt man einen leichten Geruch von Kerosin bei Senator McCarthy.
Ray Bradbury
Ich kleide mich jeden vierten Sonntag schäbig; alte Schuhe, Hemden aus dem Alpinismusfundus, in den Jacken ein paar Falten, keine Rasur. Zu eloquentes und gepflegtes Auftreten verrät nur, dass ich nicht ohne Geld und Wissen bin, und beides schadet bei den Halsabschneidern, denen ich auf dem Volksfestplatz von Pfaffenhofen einen Besuch abstatte. Dort nämlich ist Antikmarkt, dort plündert man oder wird ausgeplündert, man betrügt sich mit gemeiner Lust, und hat man erst mal bei einem Händler den Ruf eines Süchtigen, der zu viel zahlt, weil er es sich leisten kann, wissen es bald alle. Abgerissen wird man zwar oft für dumm verkauft und mit falschen Datierungen belogen, dem Kenner jedoch kommt man mit “Nochad wissen’S jo wos dös bei Sosäbbies kost”. In diesem Fall – es ist ja nicht die Bildzeitung – lasse ich mich doch lieber belügen.
Ich gehe also entlang der Stände, nehme hier einen Pastetenheber mit und dort Elfenbeinbesteck, parliere bei einem Bekannten ein wenig über alte Drucke und schlürfe um die Ecke – da fliegt meine Tarnung auf. Vor mir, auf dem Boden, steht ein Mann von dreissig Jahren, gut gekleidet und mit einem leichten Lächeln um die Lippen; er sieht mich mit seinen klugen Augen an, durchschaut mein billiges Schuhwerk und sagt: Mein Herr, obwohl wir uns nicht kennen, muss ich mich mit einem dringlichen Anliegen an Sie wenden. Sie sehen dort im Osten die Regenwolken, die sich unzweifelhaft in der nächsten Stunde hier entladen werden. Zu meinem Unglück stehe ich hier im Kot des Platzes, und der Schauer wird mich nicht nur durchnässen, sondern auch fraglos auflösen, so unvorsichtig, wie mein Besitzer mich hier hat liegen lassen. Wäre es Ihnen, von dem ich trotz der Lumpen annehme, dass Sie über einen Stadtpalast mit mehr als 50 Zimmern gebieten, eventuell möglich, mich vor diesem tragischen Schicksal zu bewahren? Ich könnte Ihnen zum Dank auf Lebenszeit ein angenehmer Freund sein, aus bestem Hause, wie Sie sich überzeugen können, wenn Sie kurz einen Blick auf meinen Rücken werfen wollen.
Ich hebe ihn mit einem sehr abschätzigen Blick auf – der Besitzer soll nichts mitbekommen – drehe ihn um und lese auf einem aufgeklebten Zettel: Anton Bruno Xaver von Blumenthal, 1819 – 1851 Leutnant b. III. Infant. Reg. in königl. neap. Diensten 1859 entlassen und als I.2. Leutnant pensioniert. Ts ts, mache ich. Nun, fragt er, habe ich zu viel versprochen? Nun, wäge ich ab, ich gebe zu bedenken: Obwohl ich fraglos ein Penchant für Kardinalportraits habe, weil ich deren von Bosheit und Hass zerfressene Gesichter als Element des Horrors schätze, muss ich sagen: Sie, werter Anton Bruno Xaver von Blumenthal, sehen aus wie jemand, der mit Heine über Voltaire sprach. Sie könnten ein famoser Dichter sein. Sie sind hübsch, Sie können gefallen, Sie waren in Neapel sicher ein Frauenschwarm, Ihre Abstammung ist vorzüglich, Sie sind nicht nur ein reingeheirateter Tochteradel 3. Peinlichkeitsordnung, kurz, Sie sind das absolute Gegenteil moderner Zensoren, Sie gleichen nicht unserer “von der” Familienministerin, die hier eine Überwachung haben möchte, die man mit etwas Gespucke auf unser Grundgesetz und die Gewaltenteilung leicht in chinesische Zustände für alle Belange vom Musikdownload bis zur anderen Meinung erweitern kann. Sie sehen nicht so aus.
Aber Sie waren nicht zwingend besser. Sie waren Teil der übelsten Reaktion in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Sie dienten einem verkommenen und später verrückten Despoten in einem korrupten Land, das sich einen Dreck um Menschenrechte scherte, Ihre Einheit schlug Aufstände nieder, Sie haben sich dafür benutzen lassen wie ein regierungstreuer Redakteur von ZEIT und Springer, kurz, Sie haben vielleicht Ihre Pflicht getan wie viele andere Militärs Ihrer Familie, und trotzdem: Es war abscheulich. Ein wenig Regen ist nichts gegen das, was Sie anderen bereitet haben. Warum konnten Sie kein Zizibeh werden? Heiratsschwindler? Bonvivant?
Nun, erwiderte Anton Bruno Xaver von Blumenthal, das ist eine lange Geschichte; wäre ich in Preussen geblieben, hätte es Ihnen politisch auch nicht besser gefallen, im Gegenteil, die wahrlich hässlichen Traditionslinien vom preussischen Obrigkeitsstaat über das Celler Loch von Papa Albrecht bis zur Internetüberwachung wären auf norddeutschem Platt und Eben noch deutlicher hervorgetreten; ich bin geflohen, war immerhin in Ihrem geliebten Italien, habe Feigen gegessen und Süsses verspeist – übrigens fände ich es nett, wenn ich bei Ihnen mit Blick auf die Torten verweilen könnte. Vielleicht könnten Sie mich ja als Ergänzung auffassen – einen arsengiftigen Kardinal werden Sie noch finden, das moderne Angesicht der Verfassungsverhöhnung sehen Sie im Internet, und in mir hätten Sie die Eleganz und kluge Ironie des Bösen – wäre das nicht ein gangbarer Weg? Die Wolken sehen wahrlich drohend aus, möchte ich noch bemerken, und der Boden hier ist nass.
Hoho, wirklich, Sie haben schon einige Schlammspritzer abbekommen, stimme ich ihm zu, ich wünschte, man würde dergleichen Unachtsamkeit bei Unterdrückern im braunen Dreck immer walten lassen, aber so etwas passiert in unseren Zeiten leider nur mit Biedermeierportraits. Aber es stimmt: Sie sitzen da auf einem wirklich hübschen, kardinalsroten Sofa, Ihre Haltung ist vorbildlichst, wie ich es schätze, Sie haben wenigstens Stil, und vielleicht waren Sie sogar ehrenwerter Betrüger beim Kartenspiel statt Lügner in Berlin, und ich würde ja vielleicht – aber andererseits, Leute wie Sie sind teuer. Für das Erdulden Ihrer Nachfolgerin in neapolitanischer Unterdrückung zahle ich mit meiner individuellen Freiheit, wenn dereinst ein Politiker es für angemessen hält, mich wegen meiner Meinung mit einem Stoppschild zu versehen; bei Ihnen dagegen würde ich mich ruinieren und kein Geld mehr haben für barocke Schnitzereien, die ich eigentlich zu jagen hierher gekommen bin.
Mir scheint, als würde leichter Ärger die Lippen des Anton Bruno Xaver von Blumenthal umspielen, denn er sagt: Es stimmt, so mancher hob mich auf und liess mich liegen, aber ich versichere Ihnen: Es war nicht die Abscheu vor meinem damaligen Tun; von dem versteht die gegenwärtige Generation so viel wie vom heutigen Kampf gegen Ihre Grundrechte jenseits der täglichen Torte. Und es war auch nicht der Preis, sondern vielmehr die Wirtschaftskrise und das Wetter, die Käufer desinteressiert werden lassen. Fragen Sie, es wird Ihr Schaden nicht sein. Ich also frage, und höre einen Preis, der mir den Atem so weit raubt, als ich noch sagen kann: Irrsinn! Wucher! Noch hat Merkel die Mehrwertsteuer nicht erhöht! Und denken: Her damit!
Später reicht mein Geld auch noch zu einer barocken Schnitzerei. Anton Bruno Xaver von Blumenthal gestaltet sich natürlich als diffiziler Partner. Er passt kaum auf den Sitz, aber lieber habe ich seinen Rahmen in der Schaltung, als eine neue Restauration der Junker in Berlin. Das Aufhängen ist nicht leicht, denn die Firnis reflektiert das Licht wie die SPD-Fraktion die Ahnungslosigkeit beim Umgang mit dem Internet. Am Ende habe ich aber einen Platz gefunden: Wenn ich von meinem Arbeitszimmer in mein Wohnzimmer gehe, fällt mein Blick erst auf die 1766 entstandene Rötelzeichnung einer Frau, die sich vor einem Kind auf einem phallischen Delphin entblösst, und dann auf Anton. Toni, wie ich ihn nenne. Toni lächelt tolerant. Ich werde einfach behaupten, das sei Fabrizio del Dongo aus Stendhals Karthause von Parma.
Sollten jedoch Sie, werte Leser, ob der französischen Rötelfrivolität mehr als nur erröten und sich mehr belästigt fühlen, als, sagen wir mal, von den Hunderttausenden von Deutschen, die im Ausland eben jenes tun, was im Bild im Internet zu verbreiten seit jeher illegal war, nun aber noch mit wirkungslosen Stoppschildern versehen wird – wenden Sie sich vertrauensvoll an Frau von der Leyen. Sie wird sich gerne dessen annehmen und auch das hier mit Schildern vollklatschen.
Sobald sie mal nicht ihre eigenen Kinder für die Polit-PR bei Cicero und anderen genehmen Publikationen vorführt.