Dem Gerippe der unbekannten arbeitslosen Berliner Journalistin mit ostdeutschem Hintergrund und Hang zu billigen Spirituosen in halbmitleidigem Bedauern auf die verwilderte Müllkippe des Lobbyistentums gelegt
Vorgestern Nacht war es, wie leider meistens am Wochenende, reichlich laut auf der Strasse. Da waren die “Trink trink trink”-Rufe, ein paar Verzweifelte mühten sich vergeblich an der Technik des Zigarettenautomaten ab, einer grölte sein berechtigtes Liebesleid in die Nacht – “Was macht eigentlich dein Ex?” “Flennt da hinten” – und ein anderer sagte, dass er aufhören sollte, hier schliefen doch Leute. Kurz, die Jugend der kleinen, dummen Stadt an der Donau hatte einen suboptimalen Abend, und ich nutzte die Geräuschkulisse, um zu früher Stunde Geschirr abzuwaschen. Das verbietet zwar die Hausordnung, aber festgetrockneter Zwetschgensaft auf dem Backblech ist unschön, und die Hausordnung bin in letzter Instanz wiederum ich selbst. Die jungen Leute stiegen in Autos und suchten die Strassengräben auf, und ich ging zu Bett.
Die sind ja gar nicht so, würde mancher zu beschwichtigen versuchen, und es stimmt: Nicht alle trinken immer nur Alkohol. Die Person, die ihr halbvolles Erfrischungsgetränk mit Strohhalm vor dem Haus deponiert hatte, woraus der Inhalt zur Freude der Wespen auf die Strasse sickerte, war inkonsequent genug, sich wie besoffen daneben zu benehmen, ohne deshalb mutmasslich besoffen zu sein. Nun ist es sicher nicht die Schlechteste aller Ideen, auf dieses Getränk dieses Herstellers zu verzichten, aber der öffentliche Mülleimer wäre in ein paar Schritten zu erreichen gewesen.
Es ist angenehm, in einer Stadt zu wohnen, in der das, aus einem natürlihen Reflex heraus, nicht so liegen bleibt. Natürlich ärgert man sich, natürlich wünscht man sich auf dem Weg zum Konzert am Sonntag Mittag eine andere Betätigung, als anderer Leute Müll wegzuräumen, aber man macht es eben. Mancherorts empfindet man diesen Drang zur Reinlichkeit spiessig, ja, es stehe der Bildung einer Subkultur im Wege, und überhaupt fange damit das zwanghafte deutsche Wesen an, an dessen Ende die Hysterie für die Internetzensur stehe, weil solche Pedanten dann auch pedantische Parteien wählen. Als ich in Berlin war, hätte ich dergleichen nicht getan – gegenüber war eine “Shopping Mall”, man wüsste nicht, wo man hätte anfangen sollen, es war auch nicht mein Haus oder meine Wohnung, und auch nicht meine Stadt. Hier ist es anders. Eigentum zieht Verantwortung natürlichst nach sich. Der Sprayer legt die Dose beiseite, sobald er eine eigene Wohnung hat. Und sobald der oder die Wegwerfende erst mal einen zuteilungreifen Bausparer hat, wird sich auch sein Verhältnis zum Schmutz vor seiner Immobilie ändern.
Der Ruf des Besitzbürgers, wie er sich in den kleinen Städten Westdeutschlands darstellt, ist trotzdem nicht der Beste. Er kann nur begrenzt als Träger einer Hochkultur gelten, das gebe ich zu, und damit ist er für das Feuilleton gestorben. Denn es sind nicht die Salzburger Festspiele, auch wenn die jungen Damen wieder Fächer mitnehmen und noch etwas sitzen bleiben, um sich an der Kultur des Konzertsaals zu erfreuen, und auch sonst alle bürgerlichen Tugenden besitzen. Das reicht allenfalls für den lokalen Heiratsmarkt. Der Besitzbürger hat schon während des Neuen Marktes gelernt, dass exotische Anlagen wenig bringen; sein Anlagehorizont liegt zwischen Bausparer und Festgeld, der Bankberater schimpft über die Risikofeindschaft, und für ihn werden die Titel der G+J-Wirtschaftspresse umsonst gestorben sein. Je besser der Wohnort des Besitzbürgers ist, desto weniger Werbung gibt es; er ist resistent gegen Produktzyklen, innovativ wie ein Stein und Neuem sehr empfänglich, solange es jemand für ihn macht. Mit dem Besitzbürger kann man einen stabilen Staat machen, aber keine neuen Nachrichten. Noch nicht mal seine Kinder lässt er verhungern oder in die Gossenshow, ein Totalausfall für das heutige Mediengeschäft.
Vielleicht ist diese nachrichtenlose Stille bar jeder Äusserung einer der Gründe, warum man nun schon seit Jahren seinem Aussterben zuarbeitet. Angefangen bei der Umverteilung, die die untere Hälfte der Besitzbürger wieder zu enteignen droht, über die steten Forderungen nach Veränderung, die dem Wesen des Besitzbürgers zuwider laufen, bis zum Bemühen, seinen Lebenshorizont mit Festanstellung und Rentenanspruch mit Gewitterwolken zu versehen, die dann von der immer gleichen Bagage aus Rentenprivatisierern, Effizienztotalitaristen, Globalherrschaftsideologen und Kreativmietmäulern in seine Richtung geblasen werden.
Natürlich kann der Besitzbürger auch stören. Würde ich etwa am Papierbecher achtlos vorbeilaufen, und Frau D, die andere Häuser hat, dieses Fehlverhalten sehen, hätte ich schnell das Gerede, anstelle des Lobes. Der Besitzbürger macht es, vorsichtig gesagt, etwas schwer ihn zu mögen, wenn man mit anderen Lebensentwürfen aufwartet, ohne Ehe und Kinder, um nur einmal den wichtigsten Faktor zu nennen. Er ist weder stilsicher noch geschmackvoll, und leider mitunter auch etwas beschränkt. Er hat Prinzipien und ist nicht charakterlos, was mitunter für andere Prinzipien etwas hinderlich sein kann. Für Menschen wie mich ist es am besten, ihn ein wenig auf Distanz zu halten; denn der Besitzbürger ist eher selten grosszügig, wenn es um die Akzeptanz von anderer Leute Familientradition und ererbten Reichtümern geht. Es ist schön, wenn sich der Besitzbürger Ziele setzt, aber man sollte es verhindern, als seine Zielscheibe herzuhalten. Seine politische Neutralität erklärt sich aus einem gesunden Konservativismus nach unten und einem vulgären Sozialismus nach oben.
Jedoch: Wie einsame römische Säulen stünden wir, die Stützen der Gesellschaft da, gäbe es nicht diese Ziegelsteine, mit denen unter uns das Fundament und hinter uns der Wesenskern der Gesellschaft errichtet werden würde. Mitunter habe ich den Eindruck, man arbeite an seiner Abschaffung, damit es nur noch oben die Penthäuser mit Dachterrasse gibt, und unten das Souterrain, ohne Verbindung dazwischen. Mitunter aber hat der Besitzbürger begriffen, dass das Elend nicht der Feind, sondern das Ziel der Oligarchie ist, und die Reichen nur herrschen können, wenn sie den Besitzbürger als Element mit Forderungen und Ansprüchen ausrotten. Insofern ist sein Vulgärsozialismus gegen die da Oben vielleicht nicht nett, aber durchaus hilfreich.
Eigentlich müsste der Staat heilfroh sein, solche Besitzbürger zu haben, man müsste ihnen Altäre errichten und im Mai blumenbekränzt um sie herumtanzen, denn ein besseres Bürgertum wird man kaum bekommen als jenes, das aus seinem Besitz heraus die Welt betrachtet, als eine riesige Ansammlung von Besitz, den es zu erhalten und vererben gilt. Es ist nicht die Weitergabe der Gene, es ist die Weitergabe von Besitz an die Gene, die diese Menschen zur Paarung und ehelichen Treue treibt, und am Ende treffen wir dieses satte, zufriedene Bürgertum im Konzert, wo es zwischen den Sätzen nicht klatscht und niemals fehlt, unsere Weinstöcke am Haus gebührend zu bewundern, deren Gitter des Nachts von charakterlosen Nichtbesitzern eher als Mülleimer missbraucht werden.