Will der Herr Graf ein Tänzchen wohl wagen
Soll er’s mir sagen
Ich spiele ihm auf.
Lorenzo da Ponte, Figaros Hochzeit
Wollte man F***** beschreiben, man müsste wohl zu den Begrifflichkeiten des erotischen Romans des 18. Jahrhunderts greifen. Von ihren Eltern in grösstmöglicher Verblödung und Verdünkelung des Konservativismus erzogen, verfügte sie jedoch über eine reichlich lebenslustige Grossmutter, die sie ab und an durch die Weltgeschichte schleifte. Sie hatte Haut wie Elfenbein, leuchtende Augen und ebenmässige, klassische Züge mit einer wundersam falschen, wollüstigen Verwandlung rund um die Lippen, ein festes Fleisch und einen vorzüglich geformten Körper. Die halbe AG Literatur des Gymnasiums war in sie verliebt, und obwohl sie formal den moralischen Ansprüchen ihrer Eltern genügte, verstand sie durch den Erbteil ihrer Grossmutter sehr wohl die Möglichkeiten, die sich hier boten. F***** war dort, weil es dazu gehörte, in der Schule etwas zu tun, was andere nicht taten, las aber die Bücher nicht, sondern schweifte bald ab und erzählte Nichtigkeiten, wegen derer ihr viele an den vollen, roten Lippen hingen. Dann war es vorbei, und alle fuhren heim. F*****s Eltern hatten mit meinen Eltern verabredet, dass sie nur mit mir heimfahren sollte. Es bot sich an, denn wir kamen aus eben jenem Viertel, in dem die 2% der Stadt wohnten, die dort für die restlichen 98% keinen Platz sahen. Bei mir war die Gefahr amourösen Verwicklung gering, denn wenn F***** auch in der AG Literatur zu brillieren wusste, so war sie im Westviertel doch allenfalls ein typisch verzogenes Produkt dieser Kreise, das man von klein auf kennt und – nun, sagen wir es so: Ihre Nachbarin H***** war eher schon in jungen Tagen das, was man eine Diva nennen könnte: Verlogen, indiskret, skandalumwittert. F***** begleitete man heim, für H***** hätte man sich in Stücke reissen lassen.
F***** aber reüssierte also lieber in der AG Literatur, und war fraglos schön und auf eine reizende Art beschränkt. Wenn sie es zwar verstand, den besten Lockvogel für den Aufstieg in die bessere Gesellschaft durch Verheiratung zu geben, war sie auch stets höchst instinktlos, wenn es um Privilegien ging. Ihre Eltern mussten vergessen haben, ihr entsprechende Weisungen mitzugeben, und während ich – damals, denn niemand hätte mich wie heute die FAZ dafür entlohnt – brav über unsere Verhältnisse schwieg, plapperte F***** darauf los.
Mitunter war das für manche sicher verlockend, was da von daheim bleibenden Müttern, reichen Vätern und Sommerhäusern am Gardasee in süssen Tönen anklang. Mitunter aber auch kaute ich verlegen an den Plätzchen, wenn F***** etwa über einen gewissen Ball erzählte, zu dem nur bestimmte Leute eingeladen wurden – und über die Art, wie die Einladungen bestimmt wurden. Finanziert über öffentliche Mittel, setzten sich ein paar Frauen der Veranstalter zusammen und sagten – der schon, der nicht, und den Rest kennen wir gar nicht. F*****s Eltern kannte jeder, und die junge Dame war nicht nur eingeladen, sie durfte auch selbst ein wenig selektieren, um die durch nicht kommende Abweichler wie mich gelichteten Reihen der Jugend in diesem – sagen wir es ruhig so, wie ich es auch heute noch empfinde – kryptofaschisten Militaristenaufmarsch in schlecht sitzenden Anzügen mit Schnauzbärten zu füllen.
Kurz, F***** liess alle merken, dass sie im Besitz von Privilegien war. Privilegien im eigentlichen Wortsinn, ein klares Vorrecht zu bestimmen, wer welche Möglichkeiten erhält und wer nicht. Es tat, um es vorsichtig zu sagen, so mancher Verliebtheit einen Abbruch, und besser als in jedem Sozialkundeunterricht lernten die Anwesenden, dass gewisse Teile der Elite einen Dreck darauf geben, dass in diesem Staate angeblich alle gleich sind. Der Vortrag der Selektionskriterien war in etwa von der Perfidie, mit der heute die Bundeskanzlerin dieser Republik einem Banker die Einladung einer Figur wie Herrn Dieckmann von der Bildzeitung ins Kanzleramt überlässt und danach dreist behauptet, das hätte Vertreter aus Wirtschaft (Volksprodukte?), Kultur (Bohlen?), Bildung (nackte Frauen?) und Forschung (Hitlers Ufos?) ins Gespräch bringen sollen.
Es gibt manche, die das schlucken. Und meinen, das Land hätte ja wohl andere Probleme, als sich über die paar tausend Euro aufzuregen, die das kostet. Das sind Journalisten des Springerkonzerns, aber auch in diesem Blatt hier findet man eine ähnliche Meinung. Da merkt unsereins dann wieder, warum Journalisten in meinen Kreisen kein hohes Ansehen geniessen; ich hatte gestern die Möglichkeit, mit etlichen Vertretern der typischen besseren Kreise daheim und auf dem Wochenmarkt zu reden, und die allgemeine Meinung war: Das geht absolut nicht. Das kann man nicht machen.
Es geht dabei nicht wirklich um das Geld, sondern vielmehr um die Problematik der Privilegien in einer demokratischen Gesellschaft und ihrer Eliten. Privilegien sind in Zeiten des Feudalismus nötig gewesen, als es noch kein für alle verbindliches Recht gab, und sie wirkten trotz Verfassungen und Gesetzgebung fort bis 1918. In den wirklich schweren Zeiten des Bürgertums war die Jagd nach Privilegien unabdingbar. Nur so konnten sich Reichsstädte eine Weile gegen Fürsten behaupten. Mit dem Absolutismus wurden diese Privilegien wieder entzogen, in der Aufklärung wieder vergeben, in der Restauration nach 1815 erneut gestrichen und im Laufe des 19, Jahrhunderts in einer Mischung aus Revolte und elender Kriecherei wieder ergattert. Die Privilegien waren die Kette, an der man die bürgerlichen Eliten gehalten hat. Sie waren ein Angebot, andere für den Adel zu unterdrücken. Die Privilegien waren nur geliehen, und sie schufen eine antidemokratische und obrigkeitshörige Zwischenschicht, die vom ersten Weltkrieg bis in die 70er und 80er Jahre des 20. Jahrhunderts brauchte, um diesem Untertanengeist zu entwachsen.
Entsprechend gross ist heute der Hass auf Privilegien in weiten Teilen der bürgerlich-demokratischen Gesellschaft. Im Viertel meiner Eltern gilt ein Buch als Pflichtlektüre: “Macht und Missbrauch” von Wilhelm Schlötterer, der mit den dunklen Jahren unter Franz Josef Strauss und dessen Privilgienwirtschaft aufräumt. Dieses altertümliche Privatrecht, das historisch seine Bedeutung und Begründung hatte, wird im Kontext der besseren Gesellschaft extrem kontraproduktiv. Reichtum ist akzeptiert, weil seine Mehrung zu Leistung anspornt. Vermögen ist akzeptiert, weil es Möglichkeiten eröffnet. Privilegien dagegen ersetzen das Leistungs- und Verdienstprinzip gegen vermutete Mauschelei vom Hinterzimmer der Dorfkneipe bis zum Empfangsbereich des Bundeskanzleramts, und teilen die bessere Gesellschaft in zwei Schichten. Es ist in der Demokratie nicht mehr möglich, ganze Klassen zu privilegieren. Also bietet man Einzelpersonen Vorrechte an und legt damit die Bombe an die Fundamente einer Klasse, deren Mitglieder voller Urangst sind, abgehängt zu werden.
Es war bei uns ein weiter und nicht schöner Weg zu dieser Erkenntnis. Nachdem eben jenes Westviertel aber ein Hauptschauplatz des Mega Petrol Skandals war, haben hier viele auch am eigenen Leib und Vermögen verspürt, dass die Gleichheit aller vor dem Gesetz nicht schlecht wäre. Mit Privilegien verschafft man sich nicht nur Vorrechte, notfalls von weisungsgebundenen Staatsanwälten milde behandelt zu werden, man gerät auch in Abhängigkeiten. Man ist verpflichtet, und genau das widerspricht fundamental dem, was man als Kind dieser Kreise, wenn sie wirklich besser und nicht nur oligarchisch sind, eingebläut bekommt: Tu nie etwas, das Dich oder uns zu etwas verpflichtet. Zahl selbst, das Geld legen wir in die Silberschale. Nimm nie eine Einlaung an von einem, der etwas von Dir erwartet. Kurz: Bleib unabhängig.
Historisch gesehen hat das Bürgertum in dieser Gesellschaft alles erreicht, was zu erreichen war. Es ist die reiche Schicht eines reichen Landes, es gibt alle Möglichkeiten, kaum Beschränkungen und allein durch die ungleiche Verteilung des Vermögens jede Menge gestaltende Möglichkeiten, die auch gern für Übles verwandt werden. Es gibt diese Freiheiten aber nur, weil das System der Privilegien und deren Verteiler durch eine Serie extrem unerfreulicher Ereignisse niederkämpft wurde, und am Ende gar mit amerikanischen Bomben ausradiert werden musste – nichts verkörpert Privilegien besser als das System der Herrenrasse, die sich das Vorrecht herausnimmt, andere Rassen auszulöschen. Von da sollte man eigentlich so weit wie irgend möglich weg wollen, wie auch von den Steuerpächtern, Kaufjuristen, Handlangern, Bütteln, Hofdichtern, Speichelleckern, all dem Pack und Abschaum des Obrigkeitssystems, das wegzuwischen und gleichzumachen das Grundgesetz mit seinem Freiheitsversprechen angetreten ist. Ist man für die Demokratie und Freiheit, muss man auch gegen Privilegien eintreten, gerade als Teil dessen, was man die bessere Gesellschaft nennt.
Der Umstand, dass F***** trotz ihrer Privilegien eine gar nicht mehr so schöne und reichlich frustrierte Hausfrau wurde, ändert nichts am generellen Prinzip der Vorrechte, die in unserer Gesellschaft keinen anderen Zweck haben, als das Recht ausser Kraft zu setzen. Das gilt besonders, wenn sie von der Regierungschefin des Staates mit dieser Verfassung dem obersten Geldchef des Landes zugeschanzt werden. Da muss man was sagen. Alles andere bringt uns auf die Schnellstrasse der Oligarchie.