Nicht das Wohl der einzelnen, sondern das öffentliche Wohl macht Staaten gross.
Niccolo Machiavelli, Discorsi
Jetzt schon nicht mehr aus dem schönen Stresa am Lago Maggiore, sondern aus Bergamo im Monsunregen: Die Geschichte hat ihr Urteil über die Condottieri, die käuflichen Kriegsherren der Renaissance, längst gefällt: Gewissenlose Schurken seien sie gewesen, Mörder, Verräter, heimtückisch und bar jedes kulturellen Beitrags. Der kühle Analyst ihrer Taten, Niccolo Machiavelli, wird selbst als zynischer Machtverehrer verachtet, und alles lobt die Kulturbeflissenheit der Medici, den Wagemut der seefahrenden Venezianer, den Dom der Stadt Mailand, ja sogar die Päpste kommen gemeinhin besser weg als die Söldnerführer. Diese Sicht der Dinge verdanken wir dem Umstand, dass die Geschichtsschreibung des 19. und 20. Jahrhunderts zeittypisch die vollkommen harmlosen und friedfertigen Volksheere und ihre weisen, fähigen und menschlich agierenden Generäle bis zu unseren Friedenstruppen in Afghanistan und ihre nur Terroristen tötenden Bomben bevorzugte, und die Schreiberei der Universitäten ansonsten von Menschen betrieben wurden, denen qua Herkunft die kleinliche Krämerseele gewaltfreier Wucherer näher ist, als der gewissenlose Eroberer, der nur den Krieg und darin seinen Profit im Auge hat. Denn nicht nur ein mörderisches Scheusal ist der Condottiere, er hat, schlimmer noch, keinen deutschen Hochschulabschluss und damit auch keine Kultur.
Jenen Urteilsverkündern etwas zu nagen gibt das nebenstehende Monument, die sogenannte Cappella Colleoni in der Cittá Alta von Bergamo. Sie ist das Grabmal des Condottiere Bartolomeo Colleoni, von ihm selbst 1474 in Auftrag gegeben, und – wenig passend zum schlechten Ruf der Kriegshandwerker – eines der besten Bauwerke der Hochrenaissance in Oberitalien. Colleoni kennt man von der berühmten Reiterstatue in Venedig, die man dort dem ehemaligen Feldherrn der Stadt errichtete; und am Gitter vor seinem Mausoleum in Bergamo empfängt er die Besucher mit jenem freundlichen Blick, den man – auch der Professor wirft mitunter die Glotze an – auch von Klaus Kinski in Italowestern kennt.
Es war keine schlechte Zeit für Psychopathen, jenes 15. Jahrhundert in Oberitalien, mit dem grossen Konflikt zwischen Mailand unter den Visconti und Sforza im Westen und Venedig im Osten; hier die Diktatur der sich Herzog nennenden Giftmörder, dort die Oligarchie der Kaufleute, die sich als Republik bewarben. Zwischendrin als freier Unternehmer der Krieges: Bartolomeo Colleoni, der auf beiden Seiten arbeitete, seinen Aufstieg aber vor allem der Hinrichtung seines Lehrmeisters Francesco Bussone verdankte. Der war aus einfachsten Verhältnissen zum Feldherrn der Venezianer aufgestiegen, hatte sie zum Krieg gegen Mailand angestachelt, trödelte dann länger auf den lukrativen Schlachtfeldern herum und liess sich letztlich von Mailand abwerben, versuchte, beide gegeneinander auszuspielen. Dafür wurde er 1432 in Venedig dafür enthauptet, was den Weg für Colleoni freimachte und zeigt, dass Venedigs Bankiers schon damals einen Sinn für gewahrte Diskretion ihrer Mitarbeiter hatten.
Nach einigen sehr erfolgreichen Kriegszügen und einem kurzen Zwischenspiel in Mailand kamen Colleoni und Venedig langfristig zusammen; man ernannte den fähigen Krieger zum Feldherrn auf Lebenszeit, gab ihm umfangreiche Lehen rund um Bergamo an der Grenze zu Mailand, die er nicht nur zu verteidigen hatte, sondern sogar vererben dufte. Kurz, die Venezianer machten ihn zum Territorialherren auf eigenem Grund und Boden – und stellten ihn damit kalt, denn von da an führte Venedig keine Kriege auf dem Festland mehr. Der zur Untätigkeit verdammte Krieger sass also inmitten eines Europas voller Konflikte auf seinem Landsitz bei Bergamo, langweilte sich – und sogar die Sforza aus Mailand schickten keine Armee, sondern nur ein paar Giftmörder. Deren Vierteilung sollte das einzige gewaltsame Vergnügen des alternden Haudegens bleiben. Für andere Kriege gaben ihn die Venezianer ungern frei, und mit etwa 70 Jahren begann der Condottiere, an seinem Nachruhm zu arbeiten: Mit einem einzigartigen Grabmal wollte er für alle Zeit seine Erfolge herzeigen, nachdem es ihm noch nicht einmal gelungen war, einen männlichen Erben zu zeugen.
Vom allgemeinen Verbot, sich in Bergamos Dom in einem Schaugrab bestatten zu lassen, liess er sich nicht aufhalten. Auch die damals nicht unüblichen Seitenkapellen waren ihm nicht genug. Statt dessen wurde einfach die Sakristei abgerissen, um Platz für ein eigenes Mausoleum nach dem Vorbild antiker Herrschergräber zu machen. Formal eine Eigenkirche, geht die äussere Gestaltung mit dem christlichen Erbe um wie der CDU-Wirtschaftsflügel mit den Worten Jesu: Im Sockelbereich sind ein paar Tafeln mit den üblichen Motiven wie Adam und Eva, billige Lippenbekenntnisse als Fundament einer heidnischen Triumpfbogenarchitektur zur Selbstverherrlichung als Eingang. Colleoni galt als gottesfürchtiger Mann, aber das lebte er bei anderen Stiftungen aus. Hier jedoch wollte kein Frömmler begraben werden, sondern ein Kriegsherr antiker Dimensionen. Ein Held wie in den Sagen. Genau so prominent wie die christlichen Motive sind Szenen eines Gegner umbringenden Herkules. Für 1470 war diese Gleichstellung eine schallende Ohrfeige für die Kirche – kurz zuvor hatte der Bauherr Venedig übrigens noch gebeten, einen Krieg gegen den Papst anzetteln zu dürfen.
Darüber werden im überbordenden Rankenwerk die Bildnisse weiterer Vorbilder angebracht: Colleoni hatte offensichtlich eine Schwäche für römische Cäsaren, also jene diktatorischen Herrscher, die die römische “Republik” der Oligarchen weggefegt hatten. Man kann überlegen, ob es vielleicht der Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung der venezianischen Krämerrepublik und ihre Machtbalance war, wenn der oberste Feldherr so offensichtlich eine auf Gewalt und Macht basierende Herrschaftsform für sich selbst beanspruchte. Tatsächlich aber waren die Verhältnisse anders; in seinem Testament bedachte der dem Tode nahe Feldherr Venedig mit üppigen Schenkungen für einen Krieg gegen die Türken, wohl in der Hoffnung, die Serenissima würde es akzeptieren, wenn er seine Lehen an seine drei Enkel vererbte. Dem war aber nicht so. Zwar widmete die Stadt ihrem Krieger ein Denkmal in Venedig und sorgte auch dafür, dass die Kapelle auch nach seinem Tod mitsamt einem vergoldeten Reiterstandbild im Inneren vollendet wurde. Seinen Besitz jedoch kassierten die Krämer mit Hinweis auf mögliche Unregelmässigkeiten unmittelbar nach seinem Tod, verhökerten die Sachwerte, zahlten die Schulden und die Kirchenstiftungen – und liessen ansonsten die Erben ziemlich leer ausgehen. Letztlich strich der Bankiersstaat an der Adria bei dieser netten Gelegenheit eine Summe ein, die in etwa dem Jahreshaushalt entsprach. Nur den Ruhm, den konnte – und wollte – man Colleoni nicht nehmen. Schliesslich ging es auch um die Wahrung des Gesichts. Man wollte auch in Zukunft noch Kriegsgeschäfte machen, da war die Fassade von Bergamo für makellose Ansehen mindestens so wichtig wie die 50 Millionen, die unsere HSH Nordbank an Goldman Sachs verschenkte – und erheblich billiger war sie auch.
Was also lehrt uns der Anblick der über und über verzierten Cappella und die Geschichte all dieser Stützen der Renaissancegesellschaft, die ihren Zweck nur sehr begrenzt erfüllten, und deshalb im Westviertel vermutlich nicht zum Tee eingeladen worden wären? Nichts. Ausser vielleicht die Frage, wie man als Mensch der Macht am Besten mit feigen Krämern umgeht, solange man noch die nötigen Mittel hat, und sie einen brauchen. Eine Frage, die für deutsche Finanzminister und amerikanische Präsidenten gleichermassen interessant sein könnte, die heutige Grosskrämer um Hilfe und Kredite anflehen, die beschützt werden wollen vor der Wut der Massen, die in Ruhe ihre Geschäfte weiter tätigen und sich zu unser aller Besten bereichern wollen. Manche Defätisten und Schlemile, die den Ruhm der Frankfurter Triumpfbögen nicht achten, meinen gar, man könne nicht garantieren, dass die Bankiers einem, sobald man sie gerettet hat, in den Rücken fallen oder nur darauf warten, sich alles anzueignen, sobald man die Macht nicht mehr hat. Colleoni hatte, um die Renaissancebegriffe zu verwenden, die Wahl zwischen Fama – den Ruhm – und Virtu – die Kraft, etwas zu tun. Wäre er den Venezianern nicht so nett gekommen, hätte er weniger an seinen Ruhm denn an seine Möglichkeiten gedacht und seine Macht gegen die feigen Krämer ausgespielt, so, wie die Helden an seinem Grab… aber er tat es nicht. Seine Condottiere-Nachfolger waren dann übrigens nicht mehr so blöd; entweder versprachen sie vollmundig Leistung wie die FDP und brachten dann schlechte Leistung für gutes Geld, wie Machiavelli nörgelt, oder sie versuchten sich putschend die Geldsäcke zu unterjochen.
Alles in allem war es höchst unerfreulich, dieses folgende Jahrhundert in Italien. Seien wir also froh, dass es vorbei ist und unsere Bankenchefs des 21. Jahrhunderts mindestens so weitsichtig und dem allgemeinen Wohl verpflichtet sind, wie es schon die Generäle des 20. Jahrhunderts waren.