A Guada hoids aus und um an Schlechdn is ned schod.
Meine Grossmutter (natürlich wie immer recht habend)
Jeden Tag erzählt man uns das Ultramarinblau vom Himmel: Die Steuern werden gesenkt, die Finanzkrise ist vorbei, Gaudipolitiker seien plötzlich “Gentlemen”, Essen aus der Tiefkühltruhe sei geniessbar, die Atomkraft sei sicher, und für Probeabos deutscher Zeitschriften bekäme man ein ganzes Reiseset mit Trolleys, mit dem man in besseren Häusern nicht mit faulen Eiern beworfen werde. Plastik ist ja so stabil und altert nicht, alles ist Premium und Exclusiv (bitte englisch aussprechen). Und alle wissen, dass man längst keine Handhabe gegen die Schuldigen mehr hat, wenn die Atomkraftwerke ausgelaufen sind und die Steuern angehoben werden, der Politiker seine Klientel begünstigt und der Trolley als leerer Müllbeutel den Bauch des Flugzeugs verlässt. Und man sich neues Zeug, Politiker, Kraftwerke kaufen muss, die ein paar Tage Premium und den Rest der Zeit Sondermüll sind. Ich hasse diese Einstellung. Ich finde, Menschen und Objekte müssen ihre Versprechen einhalten. Nicht nur heute. Immer. Auch noch nach 75 Jahren.
Brachers ist so ein Vielversprecher. Brachers ist ein Koffer aus der gleichnamigen Manufaktur in Cardiff und Bristol. Waliser geniessen im Vereinigten Königreich generell keinen guten Ruf, und für einen Hersteller von Luxuswaren hat man sich bei Brachers bemerkenswert wenig um die Revision dieser Meinung bemüht: Mit lauten Anzeigen plärrte man die Kundschaft an, das eigene Zeug sei enorm haltbar, allwettertauglich, beste Materialien würden verwendet – kurz, es klang nach einer PR-Veranstaltung für das Endlager Gorleben. Dass das Bapperl im Inneren auch noch mit dem Hoflieferantenstatus für den Prince of Wales der Firma “Revelation” angibt, deren System man bei meinem Exemplar verwendete, rundet den unschönen Eindruck der Anbiederung ab. Insofern ist Brachers der ideale Kandidat, um eine Meinung zu überprüfen, die man mir zu vertreten mitunter vorwirft: Dass nämlich das Ältere das Bessere sei, dass das Bessere aber nicht mehr hergestellt wird, und dass die Moderne im Verhältnis einfach nicht tauge. Vielmehr, sagen andere, sei auch früher Müll produziert und haltlos versprochen worden. Nun, wir werden sehen, denn unser bei einem englischen Händler zu diesem Zwecke beschafftes Exemplar kostete neu gerade mal 20 lumpige Britische Pfund Peso. Das kann ja nichts taugen.
Das also ist Brachers. Brachers ist heute nicht mehr ganz flugreisetauglich, denn er wiegt leer 10 Kilo. Leder, Sperrholz, Kupfernieten und verchromte Messingbeschläge sind halt kein Polyester und Reissverschlüsse. Brachers ist ein Revelation Suitcase und entspricht damit auch den modernen Anforderungen, Gepäck möglichst voll zu stopfen. Hier jedoch quetscht man nicht alles hinein, bis die Nähte platzen. Man zieht die Verschlüsse vorne und Gelenke hinten ganz heraus, füllt den Koffer mit allem, was man so braucht – 2 Wochen Kleidung, 5 Paar Schuhe, Silberkanne, Besteck, Porzellan, eine kleine Reisebibliothek, Waschzeug – klappt den Deckel vor, macht die Verschlüsse zu – und dann drückt man drauf. Klickkickklick machen die Verschlüsse, der Deckel rutscht auf die Ladung, bis der Inhalt ordentlich eingedrückt ist. Kauft man in Stresa, sagen wir mal, ein paar Kilo Keramik aus Capodimonte als Andenken, drückt man den Deckel eben weniger weit nach unten. Dann ist er dicker.
Vor allem aber ist er bald tot. Oder zumindest: Wir versuchen, diesem Koffer nach 75 Jahren den Belastungen des 21. Jahrhunderts auszusetzen und vertrauen darauf, dass die Anforderungen des Fortschritts zeigen, wie wenig die alten Versprechungen gerechtfertigt waren. Wir schnallen ihn also nackt ohne jeden Schutz hinten auf unseren Sportwagen und setzen ihn ein wenig sportlicher Fahrerei aus, angefangen bei jenen Geschwindigkeiten, die damals allenfalls ein Mercedes SSKL erreichte, im Anschluss gibt es schlechte Schweizer Landstrassen, und zum Abschluss auch noch ein Pass, den wir sportlich nehmen.
Die Begleiterin übrigens, auf die zufällig zwei der drei alten Besitzerinitialen auf dem Koffer passen und die unblutige Duelle klar bevorzugt, schätzt unser möglicherweise mörderisches Ansinnen gar nicht. Tatsächlich verläuft der Wettkampf ausgeglichen: Wir versuchen, Brachers in den Kurven vom Gepäckträger in den Abgrund rutschen zu lassen, und Brachers verändert auf dem hinteren Gepäckträger die Gewichtsverteilung und Steuerung so negativ, dass wir ihm im Zweifelsfall voraus fahren und im Abgrund seine Knautschzone abgeben. So haben wir uns sein Überleben des Tests beileibe nicht vorgestellt. Wie auch immer, weder Spanngurte, noch Kurvenjagden oder Vollgasfahrtwind haben Brachers etwas angetan, als wir nach 500 Kilometern Stresa erreichen. Ein paar Regentropfen haben nicht geschadet, und auch das dünnste Porzellan kommt trotz aller Kurven unbeschädigt zum Vorschein.
Ganz dumm also ist die Sache mit den Revelationverschlüssen nicht, mit denen man genau den richtigen Druck auf das Gepäck ausüben kann: Genug, dass es fixiert ist, aber auch nicht so viel, dass es zerbricht. Zwei infernalische Regentage später stellt die Begleiterin aber eine ganz andere Frage: Werden wir uns bei ihr ein Dirndl ausleihen müssen, weil unsere gesamte Habe vom Lago Maggiore über das schöne Bergamo bis Mantua dem subtropischen Monsunregen ausgesetzt wird, der Oberitalien gerade ersäuft? Wir gehen volles Risiko über Strassen, die Bäche sind, und so sieht es dann auch in Bergamo aus.
Nun ist das Leder nicht von schlechten Tieren und wurde vorher eingefettet, so dass die Feuchtigkeit problemlos abperlt. Aber wer weiss schon, was es bei der Fahrt über die Autobahn in die Nähte gedrückt hat, was durch die alten Verbindungen drückte, angesichts der Wassermassen, die da angeflogen kamen – Tags darauf jedoch scheint wieder die Sonne, und wir stehen nicht im entsetzlich knappen Dirndl in Verona: Nichts, kein Tropfen gelangte in den Brachers. Nicht ganz schlecht nach 75 Jahren. Und lumpige 20 Pfund Anschaffungspreis.
Zurück geht es nochmals durch Bruthitze über den Gardasee, der Wind pfeift über den Koffer, und bei einem Zwischenhalt muss man auch zugestehen: Er sieht nicht ganz schlecht aus. Wir wären vermutlich froh, wenn wir in 75 Jahren noch so fit wären. Er ist zwar gross und wenig stromlinienförmig, er drückt das Heck in die Knie, aber er ist nicht wirklich unschick. Klassisch. Man kann sich jetzt überlegen, wie so ein moderner Trolley aus Plastik in 75 Jahren aussehen wird. Manche behaupten ja, dass Leder Patina ansetzt, wo Plastik einfach nur altert. Das jedoch werden andere in 75 Jahren überprüfen müssen. Falls es dann noch Automobile mit Verbrennungsmotoren gibt, und nicht nur das volksbeglückende Elektromodell Neoliberalala des VEB Opel mit Automatikverschrottung nach drei Jahren.
Wir fahren umweltverpestend und knatternd heim. Über den Brenner durch einen kompletten Temperatursturz und Klimawechsel, unten ist Sommer, oben fühlt man den Winter. Dann durch heftigen Regen durch das Inntal, und einen Wolkenbruch entlang der Alpen zurück zur kleinen, dummen Stadt an der Donau. Nochmal das ganze Programm an Widrigkeiten für Brachers. Die letzte Chance, ihn doch noch, ein klein wenig umzubringen. Vergebens: Nicht mal Scheuerstellen haben die Gurte hinterlassen. Keinen Kratzer.
Kurz, Brachers ist weitaus besser, als man das von einem nur 20 Pfund teuren Koffer erwarten kann. Also, 20 Pfund, das war natürlich Anno 1934, das sind nach heutiger Kaufkraft, Moment, ich muss mal schnell die Inflation berechen, damals kostete ein Austin Ten 155 Pfund und ein Cottage 500, es sind heute also für den Koffer, ups, etwa 3000 bis 4000 Eur
Wir kommen deshalb zu folgendem Ergebnis: Nein, es ist uns nicht gelungen, den Brachers umzubringen. Er hat Eiseskälte und Bruthitze überstanden, Vollgas, Vollbremsungen und Vollstopfung, Autobahn und Serpentinen, subtropischen Sonnenschein und monsunartige Regenfälle. Kein Tropfen gelangte in sein Inneres, alles blieb dicht und trocken, nichts ist zerbrochen. Kein Kratzer verunstaltet nach 1300 Kilometern im Freien sein Leder. Er ist nicht ganz schlecht. Obwohl er alt ist. Er hat uns nicht angelogen, auch nach 75 Jahren hält er seine Versprechen. Trotzdem möchten wir hier unbedingt von ihm abraten: Viel zu schwer, viel zu gross, die Farbe ist hässlich, die genieteten Ecken würden nur anderer Leute Gepäck bei der Pauschalreise ruinieren, man kann mit ihm nicht fliegen, man hebt sich einen Bruch, man muss das Leder dauernd pflegen, Trolleys sind viel praktischer, und runder, und wenn sie mal nass werden und schimmeln, kann man sie abwaschen oder wegwerfen und einen Neuen kaufen, und dazu neue Kleider bei Kik, und damit tut man auch was für die lieben Kinder in Fernost! Brachers ist dagegen, Luxusmarke hin, Prince of Wales her, längst untergegangen. Es gibt es keine Brachers mehr zu kaufen. Man muss erst gar nicht danach suchen, wirklich, das tragen nur irgendwelche altbackenen Reaktionäre, Nörgler, Frührentner, Zukunftsverweigerer. Und die verkaufen ihn auch nicht. Holen Sie sich Trolleys geschenkt zu einem Abo eines neoliberalen Wirtschaftsblattes, und überlassen Sie die Monster Leuten wie uns! Ihre entlasteten Erben werden es Ihnen danken.