Herr Merz, wir haben ja keinen Schwanz mehr!
Flugkapitän Walter Urban zum Kommandanten Horst Merz bei der Do-X-Havarie am 9.5.1933
Die kleine, dumme Stadt an der Donau, aus der zu stammen mein Vorzug ist, hat sich durch Jahrhunderte als konservative Hochburg hervorgetan. Hatte man andernorts schon die Reformation, holte man hier die Jesuiten, legte man in Frankfurt die Stadtmauer nieder, baute man bei uns die Landesfestung, und anderswo ging man schon lange aufrecht, als man hier man hier noch die Fortbewegung der Schlammspringer kopierte, egal ob König, Militär, Pfarrer oder CSU-Grande vorbei kam. Die Hirnströme fliessen so langsam wie die Donau, der dichte Nebel beherrscht Land und Geist, kurz, aus dem Schlamm der Niederung wachsen Stadt und Bewohner. Man ist konservativ.
In dieser Hochburg des Beharrens und der Rückschritts nun findet sich auch eine örtliche Junge Union, eine dieser Knabenveranstaltungen, die momentan auf Bundesebene gerne mit Frau Merkel über das unschöne Wahlergebnis und Inhalte der konservativen Volkspartei gesprochen hätte. Bei der letzten, für die bayerische Staatspartei entsetzlich ausgegangene Landtagswahl setzte eben jene Junge Union auf ein Treffen mit der lokalen Spitzenkandidatin. Nicht im Pfarrsaal, sondern in einer stadtbekannten Szenekneipe sollte man sich begegnen, und nannte das “Meet and Greet” und “Get together“, Drinks inclusive. Bei der Wahl ging die Frau trotzdem mit fliegenden Fahnen unter: Der Wähler wollte weniger mit ihr zusammenkommen, denn zusammenrücken. Zammarucka, heisst das bei uns. Und es ist nicht nett gemeint.
Nun hat die Kanzlerin bekanntlich die Wünsche des Nachwuchses nach einer Generaldebatte christlich-konservativer Werte ins Leere laufen lassen, wie man das auch in der Wirtschaft mit aufsässigen Praktikanten machen würde, die nach dem Meet and Greet mit dem mittleren Management vorlaut über die Produktion einer Firma bestimmen wollen. Meet and Greet umschreibt inzwischen prächtig, wo junge Mitglieder der Union zu verorten sind; in einem spassparteilichen Weichbild rund um einen konservativen Kern, der mit seiner ehemals identitätsstiftenden Ideologie im 21. Jahrhundert ähnlich zeitgemäss ist, wie die Maobibel. Man muss dazu nur dorthin gehen, wo man die jungen Konservativen seltener als in den Szenebars antrifft: In die Kirche.
Von hier stammt die Grundstruktur der Überzeugung des Konservativismus, im Recht zu sein. Und mehr noch, nicht nur im Recht, sondern Teil einer Mission, die alle Aspekte des Lebens umfasste. Konservativismus und Religion befruchteten sich gegenseitig, borgen sich gegenseitig Gesellschaftsmodelle und Weltbilder aus. Konservativismus ist eine Ideologie, die man angesichts des ihr innewohnenden Herrschafts- und Definitionsanspruchs nicht begründen oder argumentativ unterfüttern musste. Er reichte, daran zu glauben, und angesichts der inhaltlichen Übereinstimmung mit der Religion war dieser Glaube auch christlich gedeckt. Über Jahrhunderte, und bis ins 20. Jahrhundert hinein auch ohne Notwendigkeit, sich anzupassen, von ein paar Freikorpsaktivitäten gegen Linke einmal abgesehen.
Man kann der Kirche beim besten Willen keinen Vorwurf machen, wenn sie angesichts ihrer ideologischen Basis auch heute noch auf den Wesenskernen beharrt, die gesellschaftlich heute anders gesehen werden. Auf das Jenseitige ausgerichtet und mit einer Theorie versehen, nachdem ohnehin nur die wenigsten später in den Genuss himmlischer Freuden kommen, kann es den leitenden Kreisen egal sein, ob an den Rändern abgefallen wird, und im Zentrum ein Murren zu vernehmen ist. Im Gegenteil, eine inhaltliche Nachgiebigkeit wäre nur ein Zeichen der Schwäche, dass einem die irdischen Mitglieder wichtiger als die göttliche Mission ist. Zumal ohnehin niemand weiss, ob der Gefolgschaft ein Schritt reicht oder, sobald man Schwäche zeigt, weitere Reformen verlangt werden.
So kann man sich als Kirche benehmen, und auch als feudalistische Struktur, und solange as System nicht angezweifelt wurde, auch als herrschende bürgerliche Klasse und Partei, die keinen demokratischen Regeln unterworfen sind. Genau das aber hat sich bereits in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts verändert: Ein grosser Teil der bürgerlichen Klasse verlor das Interesse am Beharren und an der christlichen Moral, und die Konservativen – zogen mehrheitlich mit. Längst sind sie keine Verteidiger des Glaubens mehr, sondern Beschwichtiger, Verharmloser, geringes Fülllmaterial für eine breite Kluft, auf deren einer Seite die Kirche steht und auf deren anderen all die Geschiedenen, Abtreiberinnen, die gschlamperten Verhältnisse bis in die Parteispitzen und irgendwelche wohlstandsgesättigten Jugendlichen, die man nicht mehr mit Argumenten und Ideologien erreicht, sondern vielleicht noch mit Meet and Greet.
Dabei können die Konservativen gar nicht so schnell die Trümmer ihrer Ideologie über Bord werfen, wie es nötig wäre, um mit der Realität der westlichen Industriestaaten in Einklang zu bleiben. Selbst in den besten bayerischen Familien gibt es eine elend hohe Scheidungsquote, die 1-Kind-Ehe ist üblich, und dazu kommen selbst in konservativsten Clans Söhne und Töchter, die bewusst unverheiratet bleiben und Schlimmeres, oder gar, auch das wird berichtet, dem eigenen Geschlecht zugetan sind und das offen zeigen. Zudem auch Eltern, die sich mit dergleichen abgefunden haben, und allein den Grosstanten bleibt es überlassen, einen wenig erfolgreichen 2. Heiratsmarkt zu betreiben. In ein, zwei Generationen wird sich die früher selbst vermehrende Führungsschicht der konservativen Kreise atomisiert haben, ganz ähnlich dem moralischen Zerfalll der konservativen Patchwork-Parteispitze, in der sich manch Nachwachsender mangels Alternativen Frau von der Leyen unter als Verschweigen des Kindermädchens als mütterliche Vorbildfigur wünscht. Mit den lustigen Meet and Greet-Fassaden vor diesem Elend jeoch, wo man sich am Caipi festhält wie früher am Glauben, zeigen die Jugendverbände andernorts schon auf, dass sie sich innerlich mit diesem nahen Tod der Kultur abgefunden haben, und sich anderweitig orientieren.
Natürlich wird man von alten Kirchgängern, den Veteranenverbänden und den Bewohnern der Westviertel allein keine mächtige Volkspartei, würde die jungkonservative Antwort auf diesen Vorwurf der Fahnenflucht lauten, die vielleicht mangels Alternativen bei Betschwestern und Ostfrontfreunden toleriert wird, nicht aber unbedingt bei den besseren Kreisen. Dort laufen sie scharenweise zu den Liberalen über, deren Antworten besser angepasst sind, und wenn es nur der schnöde Vorteil der steuerlichen Absetzbarkeit von Steuerberaterhonoraren ist. Die bessere Gesellschaft verkauft sich zu ihrem eigenen Profit an eine Klientelpartei, mag man schimpfen, und verrät dabei gemeinsame Interessen des konservativen Gesellschaftsmodells. Aber das ändert nichts am grundlegenden Problem, dass weder der Konservativismus noch dessen politischer Arm noch die ideologische Kraft hat, diese Gruppe zu halten. Und die Beliebigkeit der Partei, überall zwischen rechtem Rand und mittlerer Sozialdemokratie mitmachen zu wollen, ist eine andere als jene, die man sich oben vielleicht wünschen würde. Der Konservativismus bewahrt nichts mehr, was für diese Klasse andere nicht genau so oder besser bewahren könnten. Überall gehen jahrhundertealte Gewissheiten verloren – so auch zwischen Konservativen und besseren Kreisen.
Neben der Kirche befindet sich ein Kaffeehaus. In die Kirche verirren sich zur sonntäglichen Vesper nur ein paar Leute, aber das Lokal ist voll. Hier tagt der sogenannte “Premium-Stammtisch”, wo sich die lokalen Restbestände aus besseren Zeiten der grossen Staatspartei treffen, politisieren und Einfluss ausüben. Ein reichlich modernes, komplett neu gestaltetes Cafe mit roten Wänden und sehr pseudofranzösisch, es könnte überall sein, wo man alte Traditionen ausgebaut und neue erfunden hat. Davor war hier ein Reisebüro, und noch früher die städtische Leichensammelstelle, wo Tote gewaschen und für den letzten Weg vorbereitet wurden. In einer Zeit, da die Toten noch eine Weile selbst laufen, kann man natürlich auch ein Café daraus machen.