Don’t you call me St. Peter ’cause I can’t go, I owe my soul to the company store.
Merle Travis, 16 Tons
Der beste Beweis gegen die Annahme, dass nichts besser wärmt als ein Pelz, sind Pelzträgerinnen selbst. Wäre es denn so, würden sie sich die ganze kalte Jahreszeit hindurch draussen aufhalten, vielleicht ab und an unter einem Heizstrahler sitzen, und ansonsten stoisch das Wiedererwachen des Lebens unter der Frühlingssonne warten. Das aber ist nachweislich nicht der Fall, den Pelzträgerinnen wissen sehr wohl, dass es Besseres gibt. Man betrachte nur dieses unzufrieden dreinschauende, verfrorene Exemplar:
Unter ihm ist zwar ein Heizkörper, aber die ganze Haltung, die versteckten Beine und der angewiderte Gesichtsausdruck, die einheitliche Erscheinung drückt Missfallen aus: Mit der Jahreszeit, den Temperaturen und der absolut nicht ausreichenden Erwärmung durch die Heizung. Es ist auch nicht der angestammte Platz der Pelzträgerin. Ginge es nach ihr, würde sie ein paar Meter entfernt auf einer Bank sitzen, und den Rücken dem heissen Kachelofen entgegen recken. Doch der Kachelofen ist kalt, die Katze ist folglich unzufrieden mit der Art der Beheizung, und somit ist es an der Zeitfestzuhalten: Nichts wärmt besser als ein gutes Holzfeuer. Und damit ist es Zeit für das Holz.
Obwohl manche Artgenossen der Spezies “schlechtere Söhne aus besserem Hause” ein echtes Talent an den Tag legen, jeder Tätigkeit zu entgehen und dafür sogar mitunter Politiker, Verbandsfunktionäre oder wenigstens Galeristen werden, so ist es der Spezies doch unmöglich, der Sache mit dem Holz zu entfleuchen. Würde man etwa den Aussagen des beauftragten Landwirtes Glauben schenken, er rufe zwei Tage vor der Anlieferung an und teile den Termin mit; würde man sich dann eine Ausrede für einen Kurzurlaub südlich der Alpen einfallen lassen – es würde gar nichts nützen. Denn nie ruft der Bauer an, er hat gerade etwas Zeit, kommt früher als erwartet, und kippt die Ladung breit vor die Garage. In der die Autos stehen. Mit denen man nach Italien wollte, und jetzt nicht heraus kann. Und so bleibt nur, sich unterzuordnen und an einer dieser kleinen, aber für meine Generation sehr typischen und verbindenden Traditionen mitzuwirken: Das Aufschlichten des Holzes.
Begründet wurde diese Tradition durch den Wechsel der führenden Schichten aus ihren grossen, hohen Häusern in der Stadt, wo sie das Piano Nobile, den ersten Stock bewohnten und den Rest vermieteten, hinein in die typischen Westviertel mit ihren umfangreichen Grundstücken und niedrigen Ansitzen mit den typischen 250 Quadratmeter Wohnfläche plus Einliegerwohnung für eines der Kinder, die später einmal gleich einen guten Start in das Leben haben, wenn sie hier die Geschäfte des Vaters übernehmen, und was da sonst noch an zu enttäuschenden Illusionen mehr ist. Da hatte man also diese riesigen Komplexe ganz für die Familie allein, und im Hauptraum durfte natürlich auch das Feuer nicht fehlen. Die einen bauten einen offenen Kamin, den sie nach ein paar unschönen Erfahrungen mit Kohlenmonoxid, angekohlten Perserteppichen und grauen Wänden stilllegten, und die anderen gönnten sich einen Kachelofen. Deren Söhne schleppen bis heute.
Im Prinzip kann man nichts gegen so ein gefrässiges Monster aus grünen Kacheln sagen. Er macht anders warm als Heizkörper und Fussbodenheizung, er sieht gemütlich aus, und man sitzt dort gerne, wenn die Katzen etwas Platz machen (Falls nicht – Lachs und Parmaschinken helfen manchmal bei der Weglockung). Dortselbst ist dann auch bald die Plackerei vergessen, die traditionell im Nieselregen, Nebel oder im leichten Schneefall stattzufinden hat. Ich jedenfalls kann mich auch nach 3 Jahrzehnten an keinen einzigen Fall erinnern, da die Sonne schien und warme Luft das Gefühl vermittelte, es sei noch viel zu früh für das Holz. Gemeinhin nämlich bleiben gegen Ende des Winters immer Reste übrig, die bis Anfang November verheizt werden. Erst dann kommt neues Holz. Und Regen, Schnee und Nebel.
Die Arbeit wäre weniger unerfreulich, hätte man bei der Anlage der Gärten und Häuser gerade Auffahrten gebaut. Aus unerforschten Gründen jedoch bevorzugten die besseren Leute der letzten wirklich reichen Nachkriegsgeneration stets verwinkelte Wege und seitlich angebrachte Eingangssituationen; der säulenbewehrte Porticus dagegen ist eine Errungenschaft der Neureichen und späten 90er Jahre. Altes Vermögen hat keine Lust auf offensiv gestaltete Fronten, statt dessen schlängeln sich die Wege zwischen Garage und Haus hindurch, machen enge Bögen und Knicke und verschwinden weitgehend im Urwald, dessen Bekämpfung und Rodung nur stattfindet, um den Damen des Hauses neue Kaufexzesse beim Gartenzentrum zu erlauben. Im November jedoch steht aller Wuchs des Sommers noch im Weg, es pieksen die Äste von der Seite und es stechen die Rosen von oben. Ausserdem müssen, bevor der erste Scheit angekarrt wird, ein Dutzend Oleander, Agapanthus und fette Hennen in Kübeln evakuiert werden.
Gefragt wird man im Übrigen nicht. Nie heisst es: Willst du. Oder: Hast du Zeit. Oder auch nur: Ich frage mal deine Schwester, vielleicht mag die auch kommen. Es heisst: Das Holz ist da. Also kommt man, pumpt das ewig leere Rad des Schubkarrens auf, ölt das Lager – wollten die Eltern nicht schon letztes Jahr eine neue Schubkarre kaufen? – Geht schon noch, wird man beschieden, und: Von den reichen Leuten kann man das Sparen lernen – und fängt an. Sechs Ster Holz ist ein Berg, und eine Schubkarrenladung ändert gar nichts. Nach vier Ladungen kann man wenigstens wieder halbwegs am Berg vorbei zum Gartentor. Nach fünf Ladungen muss man wieder aufpumpen und ölen. Neugierige Katzen betrachten das Geschehen auf dem Weg liegend, oder beschnuppern eben jenen Scheit, den man gerade aufnehmen möchte. Wie immer sind viele krumme Hunde dabei, so nennt man bei uns die schrägen Aststücke, die sich der sauberen Schlichtung widersetzen. Und jene Scheite, an denen die Schiefer hervorstehen.
Vielleicht wären auch mal neue Handschuhe nicht schlecht; die ausgeleierten Skihandschuhe der 70er Jahre sind längst an den Fingerspitzen durchgerissen, aber etwas anderes gibt es nicht, denn, geht schon noch, wird man beschieden, und: Von den reichen Leuten kann man das Sparen lernen. Solange es nicht um die Kosten einer eigentlich überflüssigen Holzheizung geht, denn sechs Ster, Fichte und Buche gemischt, kosten 375 Euro. Trotzdem ist es eine Freude und gut für die Katzen, und es ist sicherlich nicht das kleinste Vergnügen der Elternschaft, etwas Holz zu holen und zu sehen, dass der Stoss vor dem Haus wie von Geisterhand auf luftige zwei Meter Höhe bis unter die Fenster angewachsen ist. Hat man das einmal gelernt, dieses Gefühl für Holzformen und ihre sinnvolle Verkeilung, auf dass der Stoss stabil und fest gefügt ist, verlernt man es nicht mehr. Das ist wie Rennradfahren, man ist schnell wieder drin, und nach sieben Stunden tut auch der Rücken entsprechend weh.
Natürlich verschätzt man sich in Regen, Nebel und Schnee; sagt man sich, dass es noch 15 Fuhren sind, werden es doch 20, und dann müssen auch noch die kleinen Reste aufgesammelt und zur Verheizung gebracht werden, denn weggeworfen wird nichts, es geht schon noch, wird man beschieden, und: von den reichen Leuten kann man das Sparen lernen. Drinnen fechten die Katzen derweilen den Kampf um den besten Platz an der Ofenbank aus – das ist jener mit Blick auf Tisch und Küchentür, die Quellen für Lachs und Parmaschinken, weniger beliebt ist der Platz bei den Zeitungen, die in den kommenden Monaten nicht weggeworfen, sondern verbrannt werden. Nun aber geht es an die Belohnung; mit etwas Glück hat Frau Mama inzwischen Apfelstrudel gebacken, und man ist nun frei, doch den Weg nach Italien anzutreten. Wenn es der Muskelkater und das verspannte Kreuz und das Wetter zulassen, denn, wie Merle Travis es besingt, man hat danach a mind that’s a-weak and a back that’s strong. So also sorgt das Holz für geordnete Verhältnisse, denn es ist warm im Haus, exakt jene Wärme, die man nur hat, wenn man etwas draussen mit Kachelofen wohnt, und nicht etwa in Reihenhäusern oder gar Blocks, die Katzen sind zufrieden, der Winter kann kommen, und der Sohn bleibt nach dem Wechsel vom Schlaf- zum Fresskoma über dem Apfelstrudel auf Rekonvaleszenz in der Stadt, ohne sein und das Leben einer Bekannten auf italienischen Pässen zu riskieren.
Begleitmusik: Statt dessen hört er eher anspruchslose, aber sehr angenehme Musik von Antonio Vivaldi, während draussen Nebenschwaden vorbei ziehen. La Stravaganza hat sich der ländlichen Kammerkonzerte des Komponisten angenommen, die er unter dem Titel “La Pastorella” veröffentlicht hat, und für Blasinstrumente adaptiert. Diese Idyllen wurden nicht so berühmt wie andere Werke des Komponisten – sind aber trotzdem eine famose Ergänzung zu einem schweren Apfelstrudel. Mit Weinberln, so mit Sahne und Saft vollgesogen, dass sie unendlich süss im Mund zerspritzen, wenn man auf die beisst.