Mal ist er hier, mal ist er fort, mal ist er an einem ganz anderen Ort.
Emmuska Orczy, Das scharlachrote Siegel
Vor der Einführung des Privateigentums irgendwann in den Epochen der Altsteinzeit hatten alle gleich viel, oder gleich wenig, nämlich nichts. Oder alles. Dann kam man überein, dass alles irgendwie Besitz wurde. Bald besassen die einen mehr und die anderen weniger, und die, die mehr hatten, heuerten andere mit weniger an, um wiederum andere mit noch weniger den Besitz abzunehmen. Professionelle Mörder, die Mafia, Steuereintreiber, Rechtsanwälte, Stafzettelaussteller der Innenstädte, liberale Parteien und Banken verdanken diesem Umstand ihre Existenz, und wenn ich als junger Mann nicht zwingend auf den Bau musste, sondern in einem Brunnen vor dem Parkcafe feierte – dann hatte vor mir, ohne dass ich es bedacht hätte, schon jemand anderes umverteilt, wodurch ich mir das leisten konnte.
Bessere Familien können solche Personen in ihrer Geschichte oft identifizieren; bei uns war das ein gewisser Herr Utitz, seines Zeichens Ungelter in der schönen Oberpfalz im prächtigen Rokoko. Ungelter waren etwas extrem Modernes, das die Liberalen sicher auch noch vorschlagen werden: Selbstständig arbeitende Steuereintreiber, die einen gewissen Betrag beim Adel und Grundherren für deren Exzesse abliefern mussten und das, was sie mehr einbrachten, behalten durften. Eine Art privatisiertes Finanzamt. Echte Klassenkämpfer von oben, Umverteilung auf eigene Rechnung. Es gibt tausend Arten, Ausreden für Reichtum in einer verarmenden Gesellschaft voller Gegensätze zu finden: Am Ende steht die Umverteilung als Ursache fest.
Nun liegt es mir fern, die Leserschaft mit Vergangenem zu konfrontieren und mit historischen Aktenbergen zu langweilen, die im Hauptstaatsarchiv München in Form von Beschwerden Auskunft geben über die Unart, die den Grundstock für mein gedeihliches Auskommen 250 Jahre später in einem Brunnen fern den armer Käffer der Oberpfalz bildete. Früher musste man noch Aug in Aug mit dem Bauern das Getreide konfiszieren; heute dagegen in der Globalisierung verläuft der Wechsel von Geld und Besitz über so viele Stufen, Institutionen und Verträge, dass man nicht von Raub und Plünderung und Diebsgesindel, sondern sogar von Wirtschaft sprechen muss – und nur in Ausnahmefällen können wir uns an übersichtlichen Übertragungen erfreuen, wie von ihnen nun zu berichten sein wird in der Annahme, dass auch die Leserschaft davon profitieren und den Ururururururenkel in einem Brunnen feiern sehen möchte.
Im fernen Amerika nämlich residiert in Washington Herr Obama. Herr Obama ist nicht nur Präsident der Vereinigten Staaten, sondern auch gewählt worden, um die allseits bekannte Finanzkrise zu beenden. In dieser Krise nun ist auch der Autohersteller General Motors unter die eigenen Räder gekommen, er wurde in die Insolvenz geschickt und ist nun de facto als amerikanischer Staatskonzern dabei, nach Geld für die Fortführung seiner Geschäfte zu suchen. Etwa in Rüsselsheim und anderen Standorten seiner Tochter Opel, die eigentlich mit Unterstützung von 4,5 Milliarden Euro an ein russisch-österreichisches Konsortium verkauft werden sollte. Nun aber macht GM – und damit der amerikanische Staat – selbst weiter, und möchte dafür Geld.
Konkret belaufen sich die Forderungen auf 2,7 Milliarden Euro von den Standortländern plus 265 Millionen jährlich durch Lohnverzicht der Mitarbeiter plus jene Summen, die die Freistellung von ein paar Tausend Arbeitern den Staat kosten wird. Natürlich ist der Aufschrei gross, und er wird sicher nicht kleiner, wenn man hört, dass GM selbst schon wieder auf einem Berg von 42,6 Milliarden Dollar sitzt, und staatliche Hilfen durch die USA und Kanada zurückzahlen möchte. Die deutsche Neidgesellschaft sieht darin absolut nicht die Anforderungen einer liberalen Wirtschaftspolitik, sondern einen Raubzug zuungunsten der Standortregionen wie Rüsselsheim und der Bundesrepublik, die das alles bezahlen muss. Mit ungewissem Ausgang, und hart verhandeln will der neue Wirtschaftsminister –
statt zufrieden zu sein. Denn in Wirklichkeit ist das alles nur ein Nullsummenspiel. Der amerikanische Staat, der über General Motors nimmt, ist gleichzeitig auch der Versicherungskonzern AIG. Der wurde im letzten Winter mit über 160 Milliarden Dollar Steuergelder gerettet und de facto vom Staat übernommen, weil er Versicherungen für Kreditausfälle abgeschlossen hatte, die er in der Krise schon bald nicht mehr auszahlen konnte. Unter diesen extremen Bedingungen hatten sich AIG und die von den Versicherungen begünstigten Banken im September 2008 zusammengesetzt, und angedacht, wie man die Forderungen reduziert. Schliesslich hätte eine insolvente AIG etliche Banken an den Rand des Ruins oder darüber hinaus gebracht hätte. “Hair Cut” nennt man dieses an sich übliche Vorgehen der Forderungsverzichts, eine Bank bot das auch explizit an, und ich würde meinen, eine Verringerung von 25% wäre in jener Phase des Schreckens durchaus möglich gewesen. Aber die USA und ihre Notenbank zahlten 100%. Auch an deutsche Banken; so gingen 11,8 Milliarden Dollar an die Deutsche Bank, 2,6 Milliarden an die Dresdner Bank, 1,7 Milliarden gab es für die DZ Bank und 0,5 Milliarden für die bundeseigene KfW. 16,6 Milliarden Dollar, rund 12,5 Milliarden Euro von einer de facto insolventen Firma, vom amerikanischen Steuerzahler.
Durch den Verzicht auf einen 25%igen Hair Cut wurden die deutschen Banken mit 3,2 Milliarden generös vom amerikanischen Staat beglückt, und seitdem dürfte auch noch die ein oder andere Million durch weitere Ausfälle dazu gekommen sein. Damit wurden deutsche Bankenbilanzen aufgeschönt und Kurse gestützt, in Frankfurt lernte man wieder das Lächeln und trat mit Herrn Ackermann frisch gestärkt der ahnungslosen Politik und ihren vagen Regulierungsandeutungen entgegen. Der eine Staatskonzern hat es gegeben, der andere will nun wieder drei Milliarden. Warum auch nicht? Letztlich ist das Geld immer noch da und nicht in Washington, es ist nur von Berlin und Rüsselsheim nach Frankfurt weitergewandert, wo es ohnehin schöner ist und auch der Rüsselsheimer gerne einkaufen ginge – nun geht eben der Banker mit dem Bonus einkaufen, und sicher nicht mit weniger Geschmack. Im ersten Moment muss natürlich auch der Steuerzahler dafür aufkommen, aber der wiederum gehört dem Staat und der Staat wiederum gehört über Schulden den Banken und die Banken über Aktien den Reichen und denen wiederum gehört der grösste Teil des Landes. Ob es ihnen in Rüsselsheim oder Berlin oder Frankfurt gehört – Petitessen.
Und sie können noch nicht mal etwas dafür – das macht alles der bankenfreundliche und liberale amerikanische Staat mit seinen Konzernen. Es passiert einfach so, gestern waren die Milliarden hier und nun sind sie dort, kein Gesetz wurde gebrochen und niemand ausgeraubt, keine Steuer hinterzogen – ausser im üblichen Umfang – und niemand direkt geschädigt. Viel hat sich getan seit jenen grausamen Zeiten in der Oberpfalz, aber nichts wird sich davon später als Beschwerden im Staatsarchiv finden. Nur dieser Eintrag hier, der überlebt vielleicht in der Erinnerung all jener, die sich auf dessen Grundlage für die richtige Seite entscheiden.
Ach so. 200 Millionen Euro sind vorerst noch offen, und niemand weiss, ob GM wirklich so lange überlebt, als dass sie den Lohnverzicht auch 2011 kassieren können. Nun, solange könnte die Bundesrepublik ja schon mal Sicherheiten stellen. Truppenverkauf war schon im 18. Jahrhundert ein probates Mittel für klamme Landesherren, Schulden loszuwerden, wie wäre es also mit, sagen wir mal, 5000 zusätzlichen deutschen Soldaten für den afghanisch-amerikanischen Krieg? Ich bin mir sicher, dass der amerikanische Staatskonzernlenker Obama so eine Geste sehr willkommen heissen würde.
Einfach ist die vorweihnachtliche Lösung aller Sorgen, die ich hier auf Grundlage historischer und neuer Erkenntnisse zu offerieren habe: Werden Sie reich – dann müssen Sie in Rüsselsheim nicht lohngekürzt werden, Sie müssen in Berlin nicht Steuern für anderer Leute Banken abliefern, und auch in Afghanistan lernen nur Leute den Talibankämpfer kennen, die nicht in Ihrem Viertel wohnen.