Ich besitze, ich werde nicht besessen.
Aristipp von Kyrene
Vor rund einem Jahr bekam ich die vorsichtige Anfrage, ob ich für die FAZ ein Blog schreiben wollte. Seitdem wurde hier über alles geredet, was mir so eingefallen ist. Ich schrieb irgendwas, was mir in den Sinn kam, die FAZ stellte den Raum zur Verfügung, und eigentlich könnte das immer so weiter gehen, hier ein paar angenehme Luxussorgen, oder ein unklarer Gesellschaftsfinger, und dort eine Steuerhinterziehung in die Schweiz, das Übliche halt, was einem eben so in den Sinn kommt, wenn man nicht mehr ganz jung ist, und das Geld dieses Verlags nicht unbedingt bräuchte. Es lief recht gut, sehr gut sogar, aber es war doch ein wenig einseitig. Vielleicht wollen Leser ja ganz andere Themen. Oder sie haben Fragen. Also fragte ich, und bekam auch Fragen zu hören. Sehr viele Fragen zum Thema Sex, Liebe, Partnerschaft und Fortpflanzung in besseren Kreisen, die ich in spezifischen Beiträgen zu beantworten gedenke. Wenn ich mich traue. Um dem vorerst zu entgehen, hier zuerst all jene Fragen und Antworten, die hoffentlich klug, aber nicht delikat sind.
Als jahrelanger Rebellmarktleser frage ich mich, wie Sie auf die Idee für das Thema Ihres FAZ-Blogs gekommen sind? Ist das eine Idee, die Sie schon länger hatten, gibt es eine Geschichte dazu, inwieweit hat sich das Thema beim Schreiben entwickelt?
Nun, die FAZ sagte: Machen Sie einen Vorschlag. Zu der Zeit gingen gerade Vanity Fair und Park Avenue vor die Hunde, mit ihren lächerlichen Versuchen, im Bundeshauptslum eine Society zu erfinden, wo es dort doch nur Politiker, Berater, Rechtsanwälte, Journalisten, Lobbyisten, Galeriebetreiber, Friseure und andere runtergekommene Transferleistungsempfänger des Alten Westens gibt. Gesellschaft, die den Namen verdient, gibt es in Deutschland nur in den Westvierteln und dem Inbegriff des Westviertels schlechthin: Am Tegernsee. Und ich dachte, es wäre eine gute Gelegenheit, mal so über die Gesellschaft zu schreiben, wie sie wirklich ist und wie sie nur jemand kennt, der darin aufgewachsen und privilegiert ist. Was ein gängiger Journalist natürlich niemals könnte.
Wie sehr identifizieren Sie sich mit der Kunstfigur “Don Alphonso”?
Eher wenig. Das Vorbild von “Don Alphonso”, was den bestimmenden, offensiven Teil des Charakters angeht, ist nicht der Verfasser, sondern ein Junge aus der Nachbarschaft, der genau so war, bis er im Alter von 22 Jahren zu viel trank, von falschen Freunden nach Hause gefahren wurde, sich in deren Auto übergab und deshalb vor dem Haus schnell ausgeladen wurde, wo er, hinter den Wagen seines Vaters gekrochen, in der Winternacht erfroren ist. Vieles von dem, was ich schreibe, ist vielleicht das, was er so sagen würde, wenn er inzwischen so alt wie ich wäre. Er war durchaus charmant, witzig und gebildet. Nur eben nicht so schüchtern und höflich wie der Autor, dem es passieren kann, dass er eine Woche intensiv um eine Frau zu werben glaubt, bei der das alles nur als dezenter Charme ankommt.
Stammen Sie wirklich aus einer wohlhabenden Familie oder tun Sie nur so?
Nach dem, was in Deutschland statistisch als “reich” gilt, sicher. Nach dem, was in Deutschland als “gebildet” gilt, ebenso. Gehobenes, politisch liberales, moralisch eher konservatives Westviertelbürgertum mit Konzertvereinsmitgliedschaft und Anlageschwerpunkt in Immobilien, die Jahrzehnte und Jahrhunderte lang gehalten werden, und mit dem zufälligen Glück, in einer Stadt festzuhängen, die sehr schnell enorm reich wurde.
Bis in welches Glied können Sie Ihre Ahnenreihe zurückverfolgen?
Maximal bis ungefähr 1600, aber auch nur in einem Zweig. Ansonsten geht es ungefähr bis 1800 zurück, in einem Zweig aber recht umfangreich bis 1700. Und manchmal findet man Dinge, bei denen eine kürzere Geschichte netter wäre. Habe ich schon mal von der b’suffan Kohla-Mone (hochdeutsch: die beim Erwerbsleben als Kohlengrosshändlerin dem Alkohol und wohl auch Männern zusprechende Monika) erzählt? Oder meinem Urururgrossvater, der sich nach dem Abschluss der Verkaufsverhandlungen für Weizen immer noch einen Hut voller Getreide extra geben liess, nur um das Gefühl zu haben, besser als andere gewirtschaftet zu haben? Oder dem Umstand, dass ich manchen Steinen im Keller entnehmen kann, dass die Geschichten vom Grabsteindiebstahl um 1890 herum keine Legenden sind? Und dass mein Grossvater Sylvester 1928 leicht bezecht dem Nachbarhaus den Kamin hinuntergeschossen hat? Und wir bis heute dafür nicht gezahlt haben?
Würden Sie statt in der Gegenwart eigentlich lieber im England zwischen den Kriegen leben und welche Preziosen sammelten Sie dann? Zeitgenössische Qualität oder “Antiquitäten”?
Nein, keinesfalls. Die real existierende Klassengesellschaft jener Zeit war nicht so lustig wie bei Evelyn Waugh beschrieben und selbst für meine Begriffe viel zu hart. Meine Grosstante kam damit aber noch erstaunlich gut zurecht.
Warum Silberkannen? Warum soviele Silberkannen? (Und viele andere Fragen zu Silber)
Andere rauchen, trinken, besuchen Bordelle, Spielhöllen, Investorenmessen und Kamingespräche der Arbeitgeberverbände. In der langen Liste asozialer Verhaltensweisen und Dummheiten würde ich werthaltige Silberteekannen als reichlich verzeihbare Fehlleistung minderer Bedeutung einordnen, es ist ein kleiner Luxus, den ich mir leiste, weil mir andere Wege der Verschwendung (siehe oben) aufgrund meiner spiessigen Moral versperrt sind. (Habe ich was vergessen? Hm.)
Haben Sie mehr Spaß an Artikeln, in denen sie diverse Produkte und Verhaltensweisen loben oder die Artikel, in denen sie gefühlt alles, was anders ist als sie, in Grund und Boden verdammen?
Ich habe an allen Artikeln in etwa gleich viel Spass, am liebsten aber sind mir jene, bei denen ich mich selbst hinterfragen muss.
Was halten Sie von den Torten im Cafe Luitpold, München?
Ich bin vor allem im Cafe Arzmiller. Man folge in Sachen Torten stets den fetten Tanten mit gebläuten Haaren.
Bedingen Oberschicht und Bildung einander (Ist die Oberschicht immer gebildet und ist ein Gebildeter automatisch Mitglied der Oberschicht)?
Das hängt von den Definitionen ab. Sowohl Bildung als auch Oberschicht sind hochgradig volatile Begriffe. In der Regel definiert eine Oberschicht die Bildung, die sie für richtig hält. Ich beispielsweise halte Leute für sozial inakzeptabel, die sich vorrangig mit TV beschäftigen. Die können vorgeblich kritisch sein, wie sie wollen: Das ist falsch gebildete Unterschicht.
Wie heiratet man als Tochter aus schlechterem Hause erfolgreich in die bessere Gesellschaft ein?
Das ist eine dermassen spannende Frage, dass ich sie in einem eigenen Beitrag behandeln möchte. Kurz, indem man deren Strategien anwendet: Angenehm lügen, Regeln nicht hinterfragen, Gebote heimlich brechen und die Fassaden respektieren, wenn man schon das Gebäude der Falschheit anzündet.
Halten Sie Takt für erlernbar?
Alles ist erlernbar. Auch reiche Neugeborene sind dumm, laut, unerquicklich und in jeder Hinsicht ohne Manieren, ausser den schlechten. Die Frage ist eher: Wann und wie bringt man denen das bei?
Vergeben Sie eigentlich anderen?
Brecht klaute einst bei Villon:
Und wer da redet von Vergessen
Und wer da redet von Verzeih’n
Dem schlage man die Fressen
Mit schweren Eisenhämmern ein.
Ansonsten gehört es zu den erfreulichen Errungenschaften der besseren Kreise, dergleichen nicht nötig zu haben, man ist ja nicht abhängig von ander Leute Meinung. Ausserdem findet heute jeder Freunde minderer Qualität, aber hochwertige Feinde sind schwer zu bekommen.
Wissen Sie inzwischen von Mitgliedern der besseren Gesellschaft aus der dummen, kleinen Stadt an der Donau, die Ihre Geschichten bei den Stützen oder Rebellen verfolgen? Falls ja, gab es aus diesen Kreisen bereits positives oder negatives Feedback?
Nehmen Ihnen die, über die Sie berichten, das übel? Anders gefragt: Bleibt Ihnen die Gelegenheit zur eigenen Anschauung des alltäglichen Verhaltens der “Stützen der Gesellschaft” ausreichend erhalten?
Sagen wir mal so: Man erzählt mir heute mehr in der Hoffnung, ich könnte es bringen – etwa, bei wem ein Bürgermeister nächtigt, der sonst katholisch tut. Allerdings haben mich manche von der Liste der Angebote des zweiten Heiratsmarktes gestrichen. Aber das passiert immer, wenn es sich herumspricht, dass einer Journalist geworden ist. Journalisten kennt man bei uns vom lokalen Schmarrnblatt, die taugen alle nichts, und ziehen sich schlecht an. Die FAZ gibt es hier natürlich nicht, und Internet benutzt man bei uns auch nicht.
Warum, rein geographisch betrachtet, sind eigentlich immer die Westviertel die “besseren Gegenden” und nicht die Ostviertel oder Südviertel.
Das hat mit der Windrichtung zu tun, denn der Wind treibt die Abgase und den Gestank der Städte weg. Das war gerade in jener Epoche der aufstrebenden Industrie und Vororte immer ein wichtiges Kriterium für jene, die davon profitierten.Gerade in Zeiten, da man die Elite auch daran erkannte, dass sie mit 70 noch kurte, als andere mit 30 schon an Tuberkulose starben.
Warum werden mit dem Begriff “Leistungstraeger” in der Oeffentlichkeit immer die Personen betitelt, die keinerlei Verantwortung und eigenes Risiko fuer die Folgen ihrer Entscheidungen tragen? Leute die meist nur anderer Leute Geld gassi fuehren.
Erstaunlicherweise gibt es das nur als Bezeichnung von Aussen, oder von Neureichen für sich selbst. Leistungsträger hat so was von “Arme Sau, die nicht weiss, wie man das Leben geniesst”. Bei uns sagt man eher, dass man seit einer Woche die Anlage K bei der Steuer macht.
Werden Sie von Ihrer Familie wegen Ihrer linken Tendenzen eigentlich als “Verräter” oder gar “Ketzer” angesehen, oder glaubt sie an eine vorrübergehende Phase?
Ich bin politisch so liberal wie meine Familie seit der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Wenn man aus Bayern kommt, ist man in diesen Kreisen entweder bei der Staatspartei, oder man hat Charakter.
Sind Sie noch zu haben?
Kommt darauf an, für was. Heiraten? Kinder? Niemals. Rodeln? Meran? Immer.
Würden Sie sich zutrauen, die Atmosphäre am Stammtisch einer Kneipe nachzuempfinden? Oder konkreter: Das Niveau dort richtig einzuschätzen?
Ich komme aus Bayern. Und zwar aus der finstersten Ecke. Der Stammtisch ist hier nicht in den Kneipen, sondern in den Hirnen.
Wann haben Sie eigentlich angefangen, für die Öffentlichkeit zu schreiben?
1998, im Internet 1999, Texte nur für das Internet 2000.
Was halten Sie von der Revolution, und wie könnte Ihr Beitrag aussehen?
Wenig, nachdem Revolutionäre von beiden Seiten, links wie rechts, wenig Geschmack haben und in mir als Beitrag eine formidable Laternenbeschmückung sehen würden.
Sind Sie eine Stütze der Gesellschaft und wenn ja, warum?
Der Titel ist einem Theaterstück von Ibsen und einem Gemälde von Grosz entlehnt. Ich benutze den Begriff bestenfalls ironisch.
Sind Sie ein Misanthrop?
Aber nein. Misanthropen bilden sich das alles nur ein. Ich bin schlimmer: Historiker. Ich kann es belegen.
Ist es eigentlich in Ihren Kreisen immer noch verpönt, Sänger/in oder Schauspieler/in zu werden?
Das hängt von der Art der Darbietung ab. Je klassischer, desto besser.