Jetzt darf ich Sie nicht mehr hintergehen; der glückliche Mensch, den Sie zu ihren Füssen sehen, ist nicht Lindor: Ich bin Graf Almaviva.
Beaumarchais, Der Barbier von Sevilla
Eine der bekanntesten Frauen der italienischen Renaissance, eine Prominente gar im heutigen Sinn, wenn man so will, war Tullia d’Aragona, ihres Zeichens Edelkurtisane in Rom, was in der Dauer ihrer Männerbeziehungen etwa der heutigen Fussballergattin entspräche – wären da nicht die dazugehörigen Männer, allesamt keine Mietbeine, sondern Mächtige ihrer Zeit und Machtlose in ihren berühmten Armen; angetan vom Intellekt der cortigiana onesta, und wäre da nicht auch ihr Wille gewesen, nach oben zu kommen. Nicht jedoch durch Beischlaf oder die Gosse der Berichterstattung mit Fernziel einer Moderation in einem Privatsender, sondern als Literatin. Die Chancen für Tullia d’Aragona, Tochter einer Prostituierten und eines Kardinals, den verpflichtenden gelben Schleier aller Freudenmädchen ablegen zu dürfen, waren in jener Zeit nicht eben gut, aber sie wandte sich mit einem hervorragenden Dialog über das Verhältnis von körperlicher geistiger Liebe an den Herzog von Florenz, und bekam die Erlaubnis, danach als hoch geachtete Schriftstellerin ihren Salon weiter zu führen.
Die elenden Waschweibermänner der italienischen Renaissancephilosophie waren von diesem Aufstieg quer durch alle Schichten wenig begeistert, aber man machte zwangsweise Platz für die Aufsteigerin: Zu viele Männer von Namen und Rang verkehrten bei ihr, als dass man zu laut über sie hätte herziehen dürfen – und es waren noch die Zeiten, als man einen Auftragsmörder für jene lumpigen Beträge auf einen Schmierfink hetzen konnte, für den man heute seinen Nachfolger, den Journalisten, zum Freund des Atommülllagers Asse oder riskanter Derivate macht. Die weitere Geschichte der Tullia d’Aragona ist weniger erfreulich, aber das Prinzip, mit einer Mischung aus Geist und Körperlichkeit nach oben zu gelangen – das funktioniert bis heute.
Nun mag das gewählte Beispiel überzogen erscheinen, aber jene Zeiten, da Deutschland eine offene Gesellschaft mit Aufstiegsmöglichkeiten aus eigener Kraft war, sind schon etwa länger vorbei: Schichten schotten sich ab, Ärzte heiraten Ärztinnen und keine Krankenschwestern mehr, und dank der Emanzipation der Frau findet auch jeder hoch stehende Topf einen angemessen hochnäsigen Deckel. Während früher das Rollenbild der Hausfrau und Mutter alle Frauen vor den Männern gleich machte, und Aussehen, Mitgift und Geist eher Variablen waren, mit denen der Sprung über Klassengrenzen möglich war, gibt es nun in allen Klassen reichlich Auswahl für jenes Doppelverdienertum, in dem die Zukunft des Reichtums liegt. Und in Zeiten von schneller Küche, Putzfrauen und Kindermädchen als Statussymbolen hat die reinliche Hausfrau als Ideal gegen die harte Geschäftsfrau keine Chance mehr; der Trend geht weg von der Heiligen und Hure hin zur Leistungsträgerin und Lederfetischistin. Die alte, gleichermassen frauenfeindliche wie auch zum Hochschlafen/heiraten geeignete Ideologie liegt hierzulande dagegen in Trümmern.
Wäre man böse, würde man das als die Tradition des Alten Europas preisen, denn von ein paar Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts abgesehen, waren klassenübergreifende Heiraten bestenfalls unüblich, in aller Regel aber praktisch undenkbar. Die Ehe der Leistungsträger knüpft im Kern an 1918 an, sie ist eine kühle und kalkulierte, private Entscheidung gegen einen gesellschaftlichen Ausgleich, und die Argumente, unter sich zu bleiben und die anderen unten zu belassen, negieren den Umstand, dass die eigenen Familien den heutigen Stand zumeist jener demokratischen Öffnung des 20. Jahrhunderts verdanken, auf die heute wieder mit Ablehnung und gezielter Heiratspolitik reagiert wird. Soweit ich es jedenfalls in meinem Freundeskreis erlebe, bleibt man unter sich. Unter Leistungsträgern.
Und genau hier stellt sich die Frage, ob es nicht doch klüger ist, von unten kommend den bewährten Weg der Tullia d’Aragona zu bestreiten, statt sich jener Rollenbilder zu befleissigen, die von Hedwig Courts-Mahler bis zu den Telenovelas die Lüge vom Mädchen in Unschuld mit goldenem Herzen erzählen, das sich nach vielen Wirrungen in den Armen des Agenturchefs wiederfindet. Den Weg der Bildung nämlich, denn der Agenturchef ohne Bindung entspricht absolut nicht dem normalen besseren Sohn und dem Selbstverständnis deutscher Westviertel. An diesem jungen Mann hängt zumeist eine Familie, die Leitbilder vorgibt. Und wenn sie schon keine Zwangsheirat mehr durchsetzen kann, so kann sie doch eventuellen Heiratskandidatinnen mit Leistungsbewusstsein auf die Idee bringen, bei anderen Anbietern solcher Söhne vorstellig zu werden, statt sich den zukünftigen Segeltörn ins Glück von einem derartig skurrilen Anker verderben zu lassen, der sich auf dem Grund in jahrzehnte alten Vorurteilsminen verheddert. Eine unter Müttern und Tanten extrem häufig gelegte Mine ist der Vorwurf der Kulturlosigkeit, und dem wiederum ist angesichts der heutigen, verschulten Studiengänge schwer zu entgehen.
Oh, bitte, nicht missverstehen, nur bei den wenigsten Müttern reicht das Kulturverständnis hinter die engen Grenzen des Konzertvereins, der Vernissage und sporadischer Staatsopernbesuche (Wagner, Puccini, Händel, alles egal, solange Parkett) hinaus, und die Leistungsträgerin ist nicht niveaulos, sondern hat nur den Focus von alter Kultur zu ihren heutigen Entsprechungen verschoben: Harry Potter statt Lohengrin, Thomas Gottschalk statt Siegfried, Castingshow statt Meistersinger, das Elend des Halbbildungsbürgertums sucht sich nur andere Erscheinungsformen. Die Anforderungen, um der Elitesse auf diesem Gebiet den Rang abzulaufen, sind nicht nur niedrig; hier bietet sich eine offene Flanke, von deren Existenz all die zielstrebigen Karriereplaner erst etwas verstehen, wenn Mutter und Grosstante längst eingeflüstert haben, dass die junge Frau mit den Büchern, deren Eltern nicht ganz so reich sind, auf längere Sicht die bessere und angenehmere Wahl wäre.
Vielleicht machen sie es, weil es ihnen immer noch näher, vertrauter ist, als die heute gültigen Hochleistungsideale der Märkte. Was das bedeuten kann, lernen Mütter bei der Nachhilfe für ihre Kinder, um sie durch die Anforderungen des achtstufigen Gymnasiums zu peitschen, und kaum jemand wünscht sich wirklich dessen hirngewaschene Produkte als Schwiegertochter: Zu anstrengend, zu ruppig im Auftreten, zu ungemütlich, man kann auch nicht mit der schönen, handgestickte Tischdecke der Urgrossmutter und dem Streublumenservice aufwarten. Eine stille Lesende, eine Gebildete, eine Frau, die den Bildungskanon nicht nur kennt, sondern auch übertrifft, ist da eine willkommene Abwechslung, es bestätigt den eigenen Stand und dessen alte Werte, und verspricht eher als all die dominanten Elitentöchter einen geruhsamen, von Ausgleich dominierten Übergang des Einflusses auf den Sohn. Ausserdem kennt jeder von den selbstständigen, durchsetzungsfreudigen Jungmanagerinnen diese Geschichten und Gerüchte: Hat doch die eine schnell eine Scheidung gewollt, und sorgt die andere dafür, dass der Enkel und Stammhalter lieber Chinesisch für die Reise nach Fernost lernt, als bei Oma im Garten zu spielen.
Kurz, der Ruf der zackigen, rabiaten Leistungsträgerinnen ist in den klassischen Westvierteln in etwa so gut wie der einer Giftmörderin in der Renaissance, und da vermag die Gebildete, mit welchem Familienhintergrund auch immer, weitaus besser zu gefallen. Und so, wie man sich einredet, dass man wirklich den Ring mit Genuss hört, findet man auch Argumente, warum das mit der fehlenden Elitenfamilie gar nicht so schlimm ist: Hauptsache, der Bub ist glücklich und hat eine Frau, mit der er auch in 50 Jahren noch in die Oper gehen kann, anstelle eines Monstrums, das die ersten 20 Jahre diese in den Metropolen so häufigen Fetischclubs und dann den Scheidungsanwalt besucht.