Es gibt nichts Neues auf der Welt, ausser wenn es vergessen wurde,
sagte die berühmte Modistin Rose Bertin in jener Zeit, die wir als Epoche der Aufklärung bezeichnen. Damals gab es noch keine Werber und Social Media Berater, und so kam man auf die – heute eher unverständliche Idee – dem Menschen jenseits von Herkunft, Bildung und Intelligenz einen hohen Wert zuzumessen, dessen er sich dann in den folgenden Jahrhundert nicht allzu würdig erwies. Aber zuerst kam die Aufklärung und irrte sich im Menschen, und dann kam leider die Computermesse Cebit, wo sich schlecht angezogene, mittelalte Männer mit Bauchansatz ihre Plastikschuhe ruinieren und glauben, sie könnten die Menschen erneut dazu bringen, sich zu irren und jeden begrenzt haltbaren Krimskrams zu kaufen, solange er nur von den Journalisten immer wieder als NEU! NEU! NEU! angepriesen wird. Wie das Haus, das man wie einen Computer steuern kann, mit dem nun schon seit Jahrzehnten bekannten Kühlschrank, der selbstständig Eier nachbestellen kann. Dazu gibt es dann Pr0no für schlecht angezogene, mittelalte Männer mit Bauchansatz und Plastikschuhen: Weibliche Modelle, die die moderne Hausfrau vorstellen sollen, bedienen mit von jenen Männern entworfenen Geräten das Haus, bequem meisten auf dem Sofa, und nirgendwo liegen die muffelnde Wäscheberge wie bei ihnen daheim herum. Und Journalisten schreiben dann mehr oder weniger kritisch über diese neuen Häuser für neue Menschen.
Diese kleine, reaktionäre Runde hier betrifft das nun insofern, als dass die diesem Blog zugrunde liegende Klasse – trotz des Bedeutungsverlustes – aufgrund der hohen Kosten solcher Systeme als Erstkunden erkoren wurden. Wie bei fast allen teuren Dingen – Autos, Plasmabildschirme, Bücher, Atomwaffen jedoch nicht zwingend – üblich, sollen sie sich damit absetzen wollen vom Rest der Bevölkerung, der sich aber nicht abhängen lassen möchte, und bald auch kauft, womit die Preise sinken. Dann werden bald alle per Mobiltelefon die Filme für die Glotze bestellen, den Kühlschrank mit Fertigessen befüllen und die passende Schmusemusik für die hoffentlich zukünftige Partnerin auswählen, während sie sich noch im ICE ärgern, dass andere Erbsenzähler längst Business Class fliegen dürfen, aber solange machen sie eben auf dem Mobiltelefon rum, damit alle sehen, wie toll sie ihr Haus im Griff haben, selbst wenn sie auf Termin sind und eine Präsentation halten.
So ähnlich, aber sehr viel freundlicher erzählt man das in Hannover auf halbleeren Messehallenastrichböden dem Journalismus, jener Brotberuf, der mit schlechter Bezahlung und wenig Ansehen die meisten Beteiligten auf Lebenszeit von eben jenem Umfeld ausschliesst, in dem sie wenigstens reich heiraten könnten. Es ist ein Illusion mittelalter CeBit-Aussteller mit Bauchansatz für mittelalte Journalisten mit billigen Plastikschuhen – wir, die ominöse Zielgruppe für derlei Klimbim, funktionieren anders. Niemand hat hier etwas gegen hilfreiche Technik; Elektrizität, Licht, Waschmaschinen, Kühlschränke und fliessend Wasser fanden sich selbstverständlich zuerst bei der besseren Gesellschaft. Aber das vollcomputerisierte Haus trifft gleich auf eine ganze Reihe von Widerstände.
So ein Haus stand vor ein paar Jahren (und steht vielleicht immer noch) am Potsdamer Platz in Berlin als “Showcase” eines Telekommunikationskonzerns. Ein ganz normales, langweiliges, durchschnittliches Haus, wie es millionenfach in Deutschlands Vorstädten steht, leicht schräges Dach, grosse Glasflächen, in Weiss und Dunkel farblos, die klassische Hundehütte im Heimatschutzstil der Berliner Republik für alle, die sich nicht mehr leisten können und sich deshalb zur Seite orientieren und das nachbauen, was jeder so baut. In Westvierteln jedoch, seit jeher die Manifestation des gebauten und fest gefügten Bürgertums, sieht es naturgemäss anders aus: Dort schielt man allenfalls unbemerkt zur Seite, um noch eins draufzusetzen. Idealerweise mit dem Blick nach oben. Das muss im Ergebnis nicht zwingend schöner sein als das elektronische Wohnloch in Berlin, aber es hat eine andere Aussage: Die Aussage der Überlegenheit.
Man kann jedes architektonische Detail, die meisten Moden der Inneneinrichtung unter diesem Aspekt begreifen. In den 60ern zeigte man mit Flachdach Modernität, und vor wenigen Jahren mit der Runderneuerung der Fenster Umweltbewusstsein. In den 70er Jahren bewies man mit wappengeschmückten, schmiedeeisernen Gartentoren patriarchalischen Anspruch, und mit den im Raum stehenden Küchenblöcken mitsamt übergrossem Kaffeeautomat italienischer Herkunft die einzig richtige Einstellung zur neuen Lust an der richtigen Ernährung als Kennzeichen der immer fitten und sportlichen Elite. So sieht man das in den gehobenen Einrichtungszeitschriften. Was man dort aber so gut wie nie zu Gesicht bekommt, ausser vielleicht in den eher ungern vorgestellten Arbeitszimmern, sind Computer. Computer haben in der Ikonographie der besseren Kreise keinen Platz. Vermutlich, weil sie Arbeitsgeräte sind, und einen damit in gewisser Weise auf eine Stufe mit den Hannoveraner Hungerleidern stellen.
Die nun wiederum haben eine ganz andere Idee, denn der Rechner oder ein ähnliches Gerät wäre die Schnittstelle zum Haus, das damit selbst nicht mehr die gebaute Anspruchshaltung ist, sondern eine bedienbare Wohnmaschine. Es mag sein, dass dies einem Le Corbusier gefallen hätte, aber der ist tot und die Mode möchte französischen und toskanischen Landhauszierat, gern auch Stuck und anfälliges Parkett, aber definitiv nicht zur Reduktion des Wohnens auf jene Kisten mit Bildschirm und Tastatur, mit denen man in diesen Vierteln nicht angeben kann. In diesem Lebensideal gibt es Seeterrassen und Dreifachgaragen, es gibt Kinder, die weit weg studieren und sicher Hunde und Katzen, aber ganz sicher keinen wie auch immer gearteten Wunsch, sein Leben und Haus über einem Rechner gebeugt zu organisieren. Wer das tun muss, hat schon verloren – das ultimative Ziel des Westviertels ist nicht das Bedienen, sondern das bedient werden.
Hersteller gehobener technischer Gerätschaften, wie die hier so beliebten Tonmöbel, haben das längst verstanden und verbauen so wenig Bedienelemente wie möglich. Man muss keinen guten Klang einstellen, das besorgen die leicht rot glühenden Röhren auf den Verstärkern von selbst. Man bekommt Lautsprecher mit jedem nur denkbaren Furnier, aber kaum einen Plattenspieler, an dem man viel verändern könnte, wenn der passende Tonabnehmer einmal gefunden ist. All diese Geräte müssen heute Dauerhaftigkeit und Simplizität ausdrücken, sie müssen zuverlässige Diener sein, und nicht dem Besitzer zu seinem Diener machen. Die Diener der Gegenwart erkennt man nicht mehr an der Livree, sondern an ihrem Kratzbuckeln vor Rechnern, an denen sie ihre Zeit vergeuden.
Natürlich kann man sich auch bei Dienern nie sicher sein, ob sie nicht zum Räuber wandeln, wenn man ihnen dafür Gelegenheit gibt. Man muss nur Don Giovanni auflegen, um das Wesen dieser Leute zu erkennen, wenn Leporello, seinen Herrn zu betrügen, sagt: “Vom Fasan hier diesen Schlegel bring’ ich sachte ausser Sicht.” Die neue Technik wird nicht so simpel wie ein Lichtschalter sein, da wird es Prozessoren und Software geben, Module und Schnittstellen, und kaum versagt etwas, wird man es nicht reparieren können, und abhängig sein von diesen traurigen Hannoveraner Gestalten in ihren billigen Anzügen, die dann ins Haus kommen und sagen, dass man bei diesem Gerät der Stufe 1.06 heute nichts mehr machen kann, da sei man viel weiter, aber das neue Programm laufe auch nicht mehr auf so einem alten Rechner, da bräuchte man schon etwas Besseres – wenn es nur ein Schlegel wäre, oder vier Dublonen, mit denen Don Giovanni den Leporello auf Linie bringt, aber hier hat man nun Leute im Haus, die nicht dem Besitzer dienen, sondern den immer neuen Geräten, von denen man abhängig sein wird, an die man sich wird neu gewöhnen müssen, die etwas von einem verlangen, anstatt dass man etwas von ihnen verlangen kann.
Ich begreife nicht, warum das so schwer zu verstehen ist: Man muss, wenn man hier etwas verkaufen will, bereit sein, sich und sein Produkt zu unterwerfen. Man muss in den Staub oder zumindest die gleiche zynische Masche wie der Vermögensverwalter anwenden, der Profit ohne Risiko und Arbeit verspricht; man muss jenen, die überlegen sind, in diesem Gefühl belassen und es zudem fördern, man darf nicht mit dem Anspruch antreten, ihr Umfeld, das für sie geschaffen wurde, erneuern und revolutionieren zu wollen. Das kommt nicht gut an in diesen Kreisen, die im Übrigen vielleicht auch gar nicht so aufgeklärt sind, wie manche Potentaten im 18. Jahrhundert, und mittelalte Digitalstaubsaugervertreter in billigen Anzügen nicht für ihre perversen Vorstellungen des Computerbedienens zu füttern gedenken. Und die Eier muss nicht der Kühlschrank holen; das kann man selbst machen, denn wozu wohnt man sonst im Westviertel, dessen nächster Nachbar der Bauernhof mit Bioladen ist, und nicht irgendwelche computergesteuerten Hundehütten, die so auch in Hannover, am Potsdamer Platz oder in Vierteln stehen könnten, in denen niemand wohnt, den man kennt.