Dieses Rebhuhn kommt den Italienern höchst selten auf den Tisch.
Martial, Epigramme
Darf ich meine Magd vorstellen? Nachdem ich aber im Gegensatz zu früheren Generationen selbst koche und aufräume, oder letzteres zumindest versuche, wenn Gäste kommen, versteht sich von selbst, dass ich eigentlich gar keine Magd brauche. Trotzdem habe ich mir eine zugelegt, gegen eine gar nicht so günstige Einmalzahlung; aber dafür ist sie mit gut 340 Jahren auch kein junger, schlampiger Hüpfer mehr – selbst wenn sie immer noch frisch und lüstern aus dem Rahmen schaut:
Was, so kann man nun fragen, hat das Bild einer Magd im Hause eines schlechteren Sohnes aus besserem Hause verloren, und was stellt es hier in diesem Blog dar, das sich mit einer ganz anderen und erheblich besseren Schicht, ihren Tugenden und Unterlassungen auseinandersetzt? Die Antwort liegt in der Intention des Bildes, denn in jener Zeit und Region, da es entstand – die Spätphase des goldenen Zeitalters der niederländischen Malerei – wurden nicht Mägde portraitiert, wie man etwa Adlige und Bürger portraitierte. Das Bild zeigt nur an der Oberfläche ein arbeitendes Küchenpersonal. In Wirklichkeit jedoch ist es eine ziemlich brutale Abgrenzung und gleichzeitig Warnung der besseren Gesellschaft vor niedrigen Schichten.
Um 1670 hatte sich in den Niederlanden eine vermögende Oberschicht etabliert, die durch Handel und Manufakturwesen reich geworden war, und aufgrund der eigenen, nicht eben hohen Herkunft alles daran setzte, sich von den normalen Leuten abzuheben. Nur diesem Bestreben, finanziell ermöglicht durch Ausbeutung und Sklavenhaltung in den Kolonien und durch den Profit bei der Ausnutzung von europäischen Moden, dieser rücksichtslosen Geschäftemacherei, verbrämt mit bürgerlich-calvinistischer Moral, die im Erfolg Gottes Ratschluss sieht, sind derartige Küchenstücke zu verdanken. Unter der scheinbar alltäglichen Szene finden sich zwei Bedeutungsebenen; die eine, vergleichsweise offensichtliche Ebene ist die des Luxus und des Standes, der sich im Geschehen ohne Anwesenheit des Herren widerspiegelt: Die Zurschaustellung von einer Untergebenen, die mit einem Rebhuhn auf einem übergrossen Zinnteller eine Luxusspeise jener Tage zubereitet, während das tote Karnickel darauf hinweist, dass ihr Herr ein früher nur den Adligen vorbehaltenes Jagdrecht hat und auch ausübt. Das ist die Repräsentationsebene, die uns viel über den Herrn des Hauses verrät. Aber wenn man genauer hinschaut –
scheint in diesem Bild ein grober Fehler zu sein. Die Magd hat selbst ein sehr appetitliches Fleisch, sie lächelt den Betrachter mehr als nur adrett an, und sie wäre vielleicht sogar sehr hübsch, hätte der Maler ihr nicht diesen Silberblick, dieses deutliche Schielen mitgegeben. In der Kunstgeschichte ist das nicht selten; schon die Mona Lisa schielt leicht, um dem Betrachter den Eindruck zu vermitteln, sie schaue ihn bei verschiedenen Betrachtungswinkeln an. Hier jedoch ist das Schielen krass überzeichnet; es ist nicht mehr nur ein optischer Trick, sondern ein Zeichen des körperlichen Makels, den man unwillkürlich als scheel, hinterlistig, falsch und anzüglich auffasst. Die Magd hat fraglos den Blick der Betrachters erkannt, lächelt ihn aus dem Bild an, und zeigt sogleich ihre unlauteren Absichten.
Es ist, soviel weiss man als Angehöriger der richtigen Kreise natürlich, nicht der servile, demütige Blick, den man von einer finanziell abhängigen Magd zu erwarten hätte, die weit, weit unter einem steht. Es ist nicht das Verhalten, das man sich als Aufsteiger im 17. Jahrhundert wünscht, und es entspricht auch nicht dem heutigen Dienstleistungsfaschismus, den mittlere Manager der Finanzwirtschaft und des Lobbyismus immer wieder von Praktikant und Putzfrau einfordern. Es ist kein Blick von unten nach oben, sondern ein Blick auf gleicher Ebene, der etwas aussagt – die Magd glaubt zu wissen, dass sie den Betrachter so anschauen kann. Vielleicht, weil er sie auch mit einem gewissen Interesse niedriger Art betrachtet?
Der Schlüssel dieser Bedeutungsebene ist auf ihrem Schoss: Dort nämlich liegt auf dem Zinnteller das tote Rebhuhn, das sie zu rupfen gerade ansetzt. Rebhühner, das war dem Menschen des 17. Jahrhunderts klar, galten nicht nur als teuer, sondern auch als Aphrodisiakum, als sexuell anregend, und das Rebhuhn selbst galt in der Mythologie der Liebesgöttin Venus geweiht. Hier nun ist die sexuelle Stimulanz zwischen den Beinen der Magd, und auf ihrer weissen Schürze hat der Maler ein paar kleine Blutflecken hinterlassen. Sie ist also nicht besonders reinlich, und Jungfrau, das darf der Betrachter daraus schliessen, ist sie auch nicht mehr, dafür aber der Lust durchaus zugetan.
Doch wer nun meint, dass es hier allein um die Verführung ginge, um das Angebot von Fleischeslust und einer Frau an den Betrachter, hat nicht genau genug hingeschaut. Es geht gerade nicht um die Pornographie, sondern um die Beherrschung. Denn das Rebhuhn ist nicht nur eine Luxusspeise, sondern auch ein Hinweis auf das, was die Magd im Schilde führt: Das Rupfen, das Ausnehmen, das Aufspiessen und Braten des Rebhuhns, und der Betrachter sollte besser aufpassen: Sie hat Erfahrung, wie sie andere dazu bringt, Federn zu lassen. Im dunklen Hintergrund nämlich ist eine Messingschüssel, und wenn man genau hinschaut und die Tätigkeiten der Magd prüft, so liegen dort bereits die anderen, bedauernswerten leichten Vögel, die sie mit einiger Erfahrung bereits gerupft hat:
Darüber hängt der tote Hase, im 17. Jahrhundert der Inbegriff der ungezügelten Sexualität, auch er ein Opfer im Raum der Magd, an einem Bein aufgehängt und ausblutend, und dem Betrachter zeigend, wie das Leben der ungezügelten Gier endet. In dieser Bedeutungsebene ist das Bild keine banale Küchenszene mehr, sondern eine klare Warnung vor niederen Schichten: Die seien wollüstig, sündhaft und frech, auf Geschlechtsverkehr aus, und wer sich darauf einlässt, muss befürchten, seiner eigenen Gier und den schlechten Absichten der schlechteren Kreise zum Opfer zu fallen, bis er von ihnen ausgenommen und verloren ist. Nur so ist zu verstehen, warum man sich im 17. Jahrhundert eine derartig niedrige Person teuer bezahlte und in die gute Stube hing: Als Zeichen des Reichtums und als Mahnung, sich vor den sündhaften Verlockungen der Unterschichten in Acht zu nehmen.
Wir jedoch im 21. Jahrhundert haben die Aufklärung hinter uns und zahlen nur noch selten Maler, um unsere Sicht auf die Welt auf Leinwand und Holz bannen zu lassen; wir sind 340 Jahre weiter entwickelt und haben grosse Fernseher, die billiger sind, und auch darin dann Unterschichten aller Art beim schlechten Benehmen; allein, irgendwie schont im Laufe der Jahrhunderte die warnende Funktion abhanden gekommen zu sein, die verbleibende Bildebene ist allein die simple Oberfläche aus Sex, Unterhaltung und Amüsement. Man holt sich dergleichen nicht mehr ins Haus, um andere Lebenswege zu entwerfen, sondern um dem Gezeigten nachzueifern, man fiebert mit abgekarteten Gefühlserregungen, man redet ernsthaft über die Belange der Gossenbewohner, man sieht im Sprechsänger ein Vorbild, in Witzereisser einen Intellektuellen und im Plärrer den angenehmen Unterhalter, das alles assistiert von der sog. Fernsehkritik, die einem einredet, man so kein Vollidiot, nähme man den Singsang irgendeiner Vortanzgrösse ernst. Jeder kann es bezahlen, das leistet man sich, das gehört mit dazu zur einigmachenden TV-Nation mit Chips und Bier, und tote Rebhühner liegen auch nicht rum – nur ab und an wird eine Telefonnummer eingeblendet, bei der man anrufen kann, um sich rupfen zu lassen, oder vor der Tür steht jemand mit scheelem Blick, der möchte, dass man dem devoten Medienbüttel der Berliner Republik eine Handvoll Scheine in die Geldkatze steckt, damit die sich weiterhin ihrer Berufung und Neigung nachgehen können.
Da ist mir meine Magd, die erheblich teurer als ein Plasma-TV-Gerät war, mitsamt ihren 340 Jahre alten Bedeutungsebenen und Warnungen dann doch erheblich lieber.