Manche haben die Partei dieser Leute ergriffen, andere haben sich geschlagen.
Francesco Jovine, Die Äcker des Herrn
Die kleine, dumme Stadt an der Donau, deren Westviertel eines der bestimmenden Themen dieses Blogs ist, gehört kirchenorganisatorisch zum Bistum Eichstätt, in dem der gerade zurückgetretene Bischof Mixa vor seiner Berufung nach Augsburg wirkte. Und in dieser kleinen, dummen bayerischen Stadt hätte man sich schon vorstellen können, dass sich Mixa im Amt hält. Allein der Prügelvorwurf diverser Medien ist nach altbayerischem Verständnis wirklich hinterfotzig: Wie kann man einem Bayern nur Prügel vorwerfen? Prügel sind in Bayern Holzstöcke, kein Wunder, dass Mixa das nicht auf sich beziehen konnte.
Hätten die Medien jeoch von Anfang an von Watschn gesprochen, hätte es nicht nur ein jeder verstanden, sondern vermutlich auf Brauchtum verwiesen. Auch mit Dulliwack (Schläge auf das Rektum) hätte man was anfangen und abwiegeln können, und erst bei einer Drumm Fotzn (dauerdeformierender Faustschlag in den Fazialbereich) wäre der Punkt erreicht gewesen, wo man im alten Bayern begonnen hätte, von Schlägen zu reden. Man darf auch nicht vergessen: Sagt man hier jemandem, man werde ihn gleich katholisch machen, bedeutet es nicht weniger als die Androhung von roher Gewalt, und dieser Zusammenhang hat in Bayern eine enorme Tradition.
Insofern ist Mixas erste Verteidigungsposition des Handausrutschens in ihrer desaströsen Wirkung zuerst einmal ein Übersetzungsfehler altbayerischer Gewohnheiten in die Realität eines Landes, das erzieherische Gewalt ächtet und sich nicht darum schert, dass Gewalt weiterhin im Musik-TV, generell in der Glotze und am Abend, wenn die Kinder besoffen durch die Strasse torkeln, Teil der Wirklichkeit ist. Alte Bayern würden sagen, das läge daran, dass man denen nicht frühzeitig Mores beigebracht hätte – und wir alle hier wissen, was das bedeutet. Mores hat immer eine handgreifliche Komponente, und Schläge mit weichen Büchern der Moraltheologie sieht man auch nicht. Alles hat eben seine zwei Wangen, die man sich hinhalten lassen kann.
Trotzdem, das ist hier festzuhalten, hat auch diese Tradition Mixa im Westviertel nicht geholfen. Eltern wissen heute, dass man verzogene Bratzen besser mit der Konfiszierung des Mobiltelefons, Abstellen des Internets oder mit der Drohung, das Pferd schlachten zu lassen, auf Linie bringt. Und der bessere Sohn, der hier vor einem Jahr eine ganze Strasse über die geparkten Autos heimging, ist dem Vernehmen nach inzwischen in einem Internat am Chiemsee zwischengelagert. Es geht ohne Schläge und ohne Mixa. Der Grund, warum hier trotzdem sein Kopf allenthalben gefordert und letztlich auch erhalten wurde, ist ein anderer.
Denn Mixa hat sich in diesem Bistum in seiner öffentlichen Wirkung weniger wie ein Diener Gottes, sondern eher wie ein barocker Kirchenfürst benommen. Da war beispielsweise der Fall des beliebten Pfarrers der fränkischen Gemeinde Grosshabersdorf, Bernhard Kroll. Kroll hatte 2003 – und nicht im 17. Jahrhundert – demonstrativ an einem ökomenischen Gottesdienst teilgenommen, und wurde von Mixa dafür von seinen Ämtern entbunden. Es ging ein Aufschrei durch das Bistum, es gab Demonstrationen und Lichterketten, aber Mixa blieb bei der Entscheidung und sprach “Provokation”, während er selbst weit unter der kirchlichen Höchststrafe geblieben sei. Da fühlte man allenthalben: Dieser Mann führt sein Bistum nicht, er herrscht. Und es störte ihn auch nicht, wenn man diesen Eindruck hatte.
Um das alles zu verstehen, muss man vielleicht wirklich in dieser Region aufgewachsen sein. Als ich in der Grundschule war, gab es kleine Sparbüchsen aus Pappe, in die man nach Aussagen des Stadtpfarrers sein Pausenbrotgeld stecken sollte, damit die Neger nicht mehr hungern müssen. Das alles geschah mit dem damals üblichen Druck, und wenn die Kinder von daheim mehr Geld mitbekamen, wurde ihr Einkauf von Semmeln registriert, und am nächsten Tag mehr Geld von der vom Pfarrer als Eintreiberin eingesetzten Lehrerin gefordert. Das Geld ging dann aber nicht nach Afrika, sondern in den Blumenschmuck der Kirche. Als das publik wurde, donnerte der Pfarrer eine Predigt, in der er die Verschönerung der Kirche auch als Dienst an Gott definierte, und damit war der Skandal beendet. So ging das in Bayern noch Ende der 70er Jahre zu. Und keiner dachte sich etwas dabei.
Und vielleicht wäre es auch im Fall von Mixa so gewesen, hätte er sich nicht in vielen Taten wie ein Kirchenfürst in einer nachgerade römischen Tradition präsentiert. Er hatte eine enorme Begabung, engagierte Laienorganisationen einfach so wegzuwischen, und all das, was inzwischen aus Schrobenhausen bekannt wurde, passte nur zu gut in das Bild: Die üppigen Kunstkäufe, die falsch verwendeten Gelder, der erstaunliche Weinkonsum im Waisenhaus, die angemasste und praktizierte Gewalt über Menschen, die Selbstpositionierung ausserhalb der bürgerlichen Normen. In Mixa erstand ein Sittengemälde des Adels, wie er früher war: Unangreifbar, selbstsicher, autonom, ohne Bereitschaft und Notwendigkeit, Fehler einzugestehen. Redet man mit überzeugt christlichen Bewohnern des Westviertels, so ist der Eindruck jener Jahre der einer absolutistischen Herrschaft. “So wie ganz früher.” Und das ist auch in dummen, kleinen Städten an der Donau kein Lob mehr.
Nun ist Mixa also zurückgetreten, hat vor dem Druck kapituliert, und man geht sicher nicht fehl in der Annahme, dass es vor allem der innere Druck aus der Kirche und die Rebellion der Brüder und Schwestern im Glauben war, die ihn dazu brachten. Als Nichtchrist kann mir das letztlich gleichgültig sein, aber als Abkömmling einer besseren Bürgerfamilie ist das eine tolle Sache: Beweist es doch, dass ein praktizierter Adel, so wie er früher war, selbst in den retardierten Regionen Bayerns keinen Rückhalt mehr hat, und sich besser einordnet. Das Bürgertum hat die Lektionen aus den letzten 200 Jahren Kampf um die Macht verinnerlicht. Vom Standpunkt der nichtdemokratischen Eliten aus hat Mixa allenfalls ein paar Lappalien begangen. Vom Standpunkt des Bürgertums aus ist er damit schon untragbar.
Die katholische Kirche wäre gut beraten, aus dem Fall zu lernen. Es ist sicher keine leichte Aufgabe, denn der Prunk der Machtentfaltung des Katholizismus ist nicht nur Ornament, sondern sicher auch ein Grund für seinen Erfolg, gerade in Bayern. Die Menschen hier lieben Prunk und goldene Wallfahrtskirchen mit Wirtschaften und Biergärten. Es geht nicht um die Frage, ob die Neger etwas zu essen haben, oder wie teuer ein neuer Ambo für den Pfarrer sein darf, und ob er ihn bei einem Freund fertigen lässt. Es geht darum, die besseren Kreise nicht fühlen zu lassen, wie machtlos sie waren und in der Kirche immer noch sind. Niemand hat etwas gegen ein restauriertes Barockengerl, aber sehr viel gegen die Ausgrenzung der geschiedenen Nichte durch eine Macht, die nichts begründen muss und will.
Und wie es aussieht, beginnt das Bürgertum gerade, in diesen Fragen die Kirche gleich katholisch zu machen, in all diesen dummen, kleinen Städten an langsamen bayerischen Flüssen.