Äussere Schönheit ist ein Zeichen innerer Göttlichkeit
Baldassare Castiglione, Das Buch vom Hofmann
Also, das mit dem Zusammenbruch muss ich Ihnen erklären. Es ist nämlich so gewesen:
Es ist leicht bewölkt. Ich trage ein Sakko von Roydale, mein viertletztes hellblaues Hemd für diesen Urlaub, neue Full Brouges von Morresi und die schwarze Oyster Datejust. Ich sitze in meinem Cabrio, höre Concerti Grossi von Charles Avison über Themen von Domenico Scarlatti, also nichts für die hohen Herrschaften vom Feuilleton, sondern Easy Listening für die Poebene, und bekomme nichts von der Welt mit. In dem Moment, da irgend so eine Ratingantur – Sie wissen, diese Büttel der Banken, die denen bei der Schaffung der Finanzkrise geholfen haben – die Griechen abwertete, in dem Moment also muss ich gerade noch in Novellara gewesen sein und Aceto Balsamico für einen Fresskorb gekauft haben. Ich kaufe Essig, gehe über die Piazza zurück, und wenn ich wieder im Wagen sitze, haben die Eltern der Beschenkten an der Börse gleich wieder 5.000, 10.000 verloren, keine Ahnung, aber es ist schlimm, nach all den Aufregungen der letzten Jahre.
Und das ist nur der Anfang. In diesem schönen Frühling gehen die Griechen und die Portugiesen den Bach runter, im Sommer kommt Spanien, und im Herbst geht auch Italien vor die Hunde, und anderes Viecher der Spekulantenszene. Das wird, unschön und effektiv, laufen wie bei den amerikanischen Banken. Kaum hat man die Probleme bei Bank A mit Geld erstickt, will Bank B gerettet werden. Aus hunderten Millionen werden Milliarden, aus Millardien hunderte Milliarden, und am Ende misst man die Schäden in Billionen, plus Arbeitslose und desolate Volkswirtschaft, aber den Banken geht es wieder prima. Den europäischen Ländern wird es nicht prima gehen, aber es wird zu einer Gewöhnung an ihre Rettung kommen. Und indirekt die Rettung der deutschen Banken, die deren Staatsschulden im Portfolio haben.
Ich bin also in einem Land, dem finanziell die Luft ausgeht. Italien hat nicht nur schlechter als ein Augsburger Bischof in Stadtpfarrerszeiten gewirtschaftet. Es ist auch Globalisierungsverlierer, Schuhe, Kleidung und Küchenutensilien kommen heute vor allem aus China. Luxusgüter verkaufen sich nicht mehr so gut. Der Tourismus hat gegen andere Destinationen zu kämpfen, die Geschäfte sind ziemlich leer, und deutsche Billigläden sind auf dem Vormarsch. Und das ist hier immer noch der reiche Norden. Wie ich so über die Dörfer fahre, sieht das auch nicht mehr wie das gute Leben aus. In Novellara gibt es am Kastell einen ganzen historischen Strassenzug mit Arkade, und darunter ist kein einziges Geschäft mehr. Ausgeweidet, abgezogen, ausgeblutet.
Davor war ich in Sabbioneta. Ich mein, es ist wirklich schön, eine halbe Stunde im ersten überdachten Theater vollkommen allein zu sein, niemand da, sogar die Wärterin ist draussen und plauscht mit jemandem. Ich habe das Teatro all’Antica von 1590 ganz für mich allein, aber es ist nach einer Weile schon etwas beängstigend. Kein Japaner, kein Koreaner, kein Amerikaner, nur ein paar italienische Schulklassen sind in Sabbioneta unterwegs. Ich könnte mich auf die Bühne stellen und der versammelten Götterriege auf der Säulengalerie Gedichte von Tucholsky aufsagen – Ich habe mich Deinetwegen gewaschen und rasiert, ich wollte mich zu Dir legen – niemand hätte mich aufgehalten. Weil niemand da ist. Es ist leerer als das Museum für konkrete Kunst in der kleinen, dummen Stadt an der Donau. Im Gartenpalast hätte ich in der Galerie 96 Meter hinauf und hinunter Walzer tanzen können. Niemand wäre im Weg gewesen. Im Antiquitätenladen gegenüber stehen die gleichen Stücke wie 2008, als ich zum letzten Mal hier war. Die Fenster sind sehr trübe und schmutzig geworden.
Während man Griechenland vielleicht noch retten kann, und auch die Pleite Portugals noch abwendbar ist, wird man bei Spanien nicht mehr viel machen können, und für eine Stützung Italiens wird kein Geld mehr da sein. Es bedarf keiner überbordenden Phantasie, sich den Fortgang der Geschichte zu imaginieren. Die Deutschen werden von der Idee der Nothilfe abkommen und die Vorstellung der Notschlachtung präferieren, was man ihnen nicht verdenken kann, denn am Ende geht es nur darum, wer geschlachtet wird: Die kriselnden Nationen, die Besitzer ihrer Staatsschulden, oder die Länder, die Löcher stopfen, während die Landesbewohner selbst ihr Geld von den Banken holen. Ich fahre durch dieses liebenswerte Land, gleite am Po entlang, höre die von Avison interpretierte Sprezzatura von Scarlatti, die Luft ist leicht und das Herz ist schwer, in einem halben Jahr wird man bei uns über dieses Land reden, als wäre es 1915, und das Königreich Italien würde unseren Kaisern in den Rücken fallen. Man wird sich wieder fraglos, in schlechtester europäischer Tradition, die Köpfe einschlagen.
Und, weil es finanziell oder zumindest politisch gar nicht anders geht, diese Länder in die ein oder andere Art des Staatsbankrotts treiben. Das hat den Vorteil, dass endlich Ruhe ist mit den Gründungsgedanken der Väter der EU, die noch nie wirklich praktikabel waren, und den Nachteil, dass wir alle vor der Geschichte ein miserables Bild abliefern. Europa ist eben kein Concerto Grosso von Avison über Scarlatti, in dem man Gewinn aus den Eigenheiten des anderen zieht, sondern eine hässliche Krämerbude, wo der eine den anderen über das Ohr haut. Allerdings zeigt Avison auch, wie wunderbar britisches Kalkül mit italienischer Genialität zusammenpassen, und bevor man die Italiener nun absägt und weltöffentlich demütigt, kommt mir auf dem Weg zurück nach Mantua eine Idee, wie man das Übel in bester europäischer Tradition beseitigen könnte: Mit einer sehr europäischen Betrügerei.
Denn neben den besagten Krisenländern gibt es auch noch Grossbritannien, jene eigensinnige Insel, die zwar in der Europäischen Union ist, sich aber ihren britischen Peso als Weichwährung behalten hat. Das nützt ihnen momentan als Zurücküberdieschwellenland herzlich wenig, aber immerhin: Es ist eine weitere, akzeptable Währung in der EU. Unter dem alten Namen “Pfund” hat der britische Peso sogar einen Ruf, der nicht schlechter als die Fama der italienischen Lira und der griechischen Drachme war. Statt nun also unsere bald ehemaligen Freunde in Europa zwangsweise aus der Währungsunion zu werfen, könnte man sie doch mit dem momentan kräftig entwerteten, britischen Peso avisonieren: Statt die Eurozone brutal auf Kerneuropa zu verkleinern, würde man die Pesozone einfach mit Portugal, Spanien, Italien und Griechenland vergrössern.
Damit könnten diese Länder endlich ordentlich abwerten, ohne gleich Staatsbankrott anmelden zu müssen. Die Banken müssten eine Beschneidung ihrer spekulativ gekauften Staatsschulden hinnehmen, die Produkte dieser Länder hätten schnell wieder Preisvorteile, der Urlaub würde billiger werden, vielleicht kämen auch wieder die Japanerinnen und würden die Schuhläden leerkaufen, und es hätte eine wirklich schöne Fassade vor so viel hässlichen Streitereien. Die Politik hätte Handlungsfreiheit bewiesen, die Euroskeptiker in England könnten jubeln, die Deutschen wüssten, dass die Welt an ihrem Wesen, aber nicht an ihrem Geld genesen kann, und unsereins könnte gar nicht anders, als die nun wieder wirklich günstigen Nachbarn zu besuchen und dort einzukaufen.
Denn was mir beim niedergehenden britsichen Bürgerhaushalt die silberne Teekanne ist, könnte mir in Oberitalien auch das kleine Haus oberhalb von Torbole werden, oder jenes kleine, leerstehende Gebäude nahe des Stadtparks von Mantua, an dem ich immer vorbei gehe, oder die Villa Minerva in Riva, die nun schon seit Jahren verfällt und einen Retter bräuchte. Und wenn es mir aus reiner Kulturbeflissenheit schon so geht, werden die Qualitäten des britischen Peso in Italien fraglos auch die besten Qualitäten der deutschen Krämerseelen zum Vorschein bringen, denn es gibt nichts, was ein deutscher Billigladeneinkäufer nicht nehmen würde, sobald es Prozente gibt.
Sie werden natürlich nichts von Avison wissen, oder von Scarlatti, sich aber mit gefälschten Turnschuhen über die rotgeäderten Ohren hauen lassen und ein gutes Restaurant nicht von einer Touriabspeise unterscheiden können. Sie werden wieder nach Rimini fahren und mir San Benedetto überlassen. Aber das macht mir nichts, solange ich offen durch ein freundlich gesinntes Europa fahre.