Nor had I erred in my calculations, nor had I endured in vain.
Edgar Allan Poe, The Pit and the Pendulum
Mitunter muss man natürlich den Tegernsee und seine Segnungen verlassen; etwa, wenn es darum geht, Dinge zu erwerben, die es dort nicht gibt. Für manchen älteren Herren mag das eine junge Russin sein, für manchen jungen Aufsteiger das Rauschmittel, für die junge Mutter die massgeschneiderten Kleider für die Kleinen, und für mich: Bettwäsche. Nicht, dass nicht genug da wäre – blendend weisse Aussteuerkästeninhalte grösseren Umfanges laufen über Vererbung auf mich zu – aber da ist zum Beispiel dieses ausgesprochen kluge Beispiel eines englischen Herstellers, das es so bei uns natürlich nicht gibt.
Auf der einen Seite für die Stadt das üppige Blumenmuster, auf der anderen das landtaugliche Karo. Auf der einen Seite der Luxus, auf der anderen die Bescheidenheit. Man dreht sie einfach um, und schon sagt das Bett etwas vollkommen anderes, mal überbordende Lasterhöhle, mal unschuldige Rast auf der Flucht nach Ägypten oder zumindest die Schweizer Geldsicherheit. Das ist praktisch, man kauft einmal und hat für beide Gelegenheiten, ohne Platz in den Schränken zu verschwenden – so sinnreich und hochwertig, dass es kein Wunder nimmt, wenn die Firma in Deutschland gerade alle Läden dicht machte, weil der Deutsche für das gleiche Geld statt einmal Baumwolle fünf Mal Polyester kauft. Früher wäre ich dafür in die Brienner Strasse nach München gefahren, heute muss ich für die Reste des grossen Glanzes nach Fürth.
Ich bin ja ein eher schlichter Charakter, ich brauche zum Leben eigentlich nur Luft und Liebe, ein paar Silberkannen, Mahagonimöbel, eine einfache Lage Perserteppiche aus der Zeit vor der chemischen Färbung, Parkett und Stuck dürfen gerne alt sein, sogar älter als 200 Jahre, wie auch Türen, Messingbeschläge und Gemälde, ich habe mich auch nicht bei gebrauchtem Meissenporzellan und somit keinen echten Grund, meiner einfachen Umgebung zu oft zu entfleuchen; tue ich es dennoch und nicht in die Berge und nach Italien, passiert meistens etwas Unerfreulichen: Ich muss in Frankfurt mit Bankern U-Bahn fahren, mein Sunbeam bleibt liegen, die Restaurants nehmen Margarine statt Butter, oder ich komme an Absurditäten vorbei, die mir mal wieder klar machen, wie weit weg die Gegenwart inzwischen von den bürgerlichen Idealen ist, denen zu huldigen dieses Blog angtreten ist. Dann nämlich entdecke ich so etwas:
Das ist, habe ich herausgefunden, eine Art Lagerraum für Leute, die aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr wissen, wohin sie ihr Zeug tun sollen, selbst wenn sie in der Regel über einen Keller oder gar einen Speicher verfügen. Es erscheint im ersten Moment mehr als nur widersinnig, mehr zu besitzen als das, was man sinnvollerweise benutzen kann, um es dann irgendwo einzulagern, wo es weitere Kosten verursacht, ohne etwas einzubringen. Es ist, wenn man so will, die Zwischenstufe zwischen dem normalen Besitz, wie man ihn früher kannte, und der heute üblichen Wegwerfgesellschaft: Kein Totalverlust mehr durch Entsorgung, sondern Dauerverlust durch die Unfähigkeit, den Umständen entsprechend zu besitzen und zu leben.
Unser Sozialkundelehrer in der Schule erzählte uns mal den Weg des Goldes aus Südafrika: Das wird von afrikanischen Malochern aus der tiefen Erde gebraben, von Weissen an andere Weisse verhökert, von denen in die Schweiz verbracht und dann wieder in Schliessfächern, tief unter der Erde, endgelagert. Letztendlich kommt das Gold als nur ein paar tausend Kilometer weiter weg, und wird ein paar hundert Meter höher begraben. So ähnlich ist es auch hier: Etwas wird gekauft, aus einem Lager geliefert, eine Weile genutzt und dann wieder in ein Lager gesteckt. Wo es vermutlich recht lange bleibt, denn so eine Altlast an Gegenständen aufzulösen mag für manchen schwerer sein, als ein paar Euro pro Monat weiter zu überweisen. Es erinnert stark an das Fettabsaugen alter Frauen am Tegernsee, die sich dann die nächste Torte hineinschieben. Der Überfluss, der sich gegen den Besitzer wendet, der Besitz, der nur Verluste bringt.
Natürlich, mag man zu bedenken geben, gibt es auch Leute, die dergleichen wirklich brauchen, die nicht nur lieber 10 deutsche Polyesterbettzeuge kaufen statt ein gutes Stück. Die stets mobilen, dynamischen und nur begrenzt sesshaften Funktionsrädchen des globalen Kapitalismus, die mal für ein, zwei Jahre woanders leben müssen, die fern ihrer Heimat arbeiten und nicht einfach der Eltern Keller vollstopfen können, wo der Plunder dann dem Vergessen entgegendämmert. Für die, kann man denken, sind solche Möglichkeiten ein Segen, denn die Karriere geht natürlich vor, das Commitment an all den richtigen Orte, die sich im Lebenslauf genauso gut machen wie in den Lebensläufen aller anderen Konkurrenten, die bedingungslose Identifikation, für die man auch bereit ist, alles andere hinter sich zu lassen. Wenn man dann weiss, wo man bleibt, kann man die Sachen immer noch nachholen.
Es kann daher nicht Wunder nehmen, wenn derartige Profiteure der Schnelligkeit, der Mobilität und ihrer Schattenseiten mit einem Bild werben, das nachgerade eine Dystopie nach klassisch-bürgerlichen Wertvorstellung ist: Da wirft sich eine offensichtlich von der Doppelrolle als Mutter und hochhackiger Bürofrau überstresste Person gegen eine Tür, hinter der die Utensilien des bürgerlichen Daseins hervorquellen: Ein Bild und Bücher, Träger von Bildung und Wissen, müssen irgendwie weggestopft werden, aus dem Weg des Lebens mit dem Plunder, man kann es vielleicht nicht komplett aufgeben, weil es irgendwie noch dazu gehört und die neuen Chefs in Singapur und Los Angeles zu all den Soft Skills vielleicht ja auch ein Mindestmass an Zivilisation erwarten, jenseits der korrekten Ansprache bei Emails und dem Basiswissen der neuesten TV-Serie.
Mein Platz, Dein Platz, sagt die Werbung, aber genau das Gegenteil ist der Fall, denn niemand, der es braucht, hat wirklich einen dauerhaften Platz im Leben. Niemand würde vermutlich aus freiem Willen so leben wollen, gleichzeitig von Dingen überfrachtet und ihnen trotzdem durch die Konsumgesellschaft ausgeliefert. Es sei denn, es laufen darin zwei dieser erstaunlichen Zivilisationsdeformationen der letzten Jahre zusammen: Der krankhafte Anhäufer, der aufgrund der Konsummöglichkeiten zuviel hat, um es noch zu kontrollieren. Und der internationale Bindungslose, der überall und immer gehen kann, der nie zu lange bleibt und immer die Option hat, verbrannte Erde zu hinterlassen, denn seine Freunde sind bei Facebook, seine Wohnung ist immer nur auf Zeit, seine Vergangenheit ein paar Zeilen in der Bewerbung und seine Zukunft ungewiss. Unbürgerlich ist beides, und beidem kann mit so einem Mietgrab der Gegenstände abgeholfen werden, denn der Besitz bleibt erhalten, und genauso die Bewegungsfreiheit. Beides können die Betroffenen hemmungslos ausleben, für ein paar Euro mehr, die man gerne bezahlt, wenn der nächste Job einen Gehaltssprung vorsieht. Es macht das Dasein sehr viel leichter, weniger Ballast erhöht die Beschleunigung noch etwas, und wenn der andere vielleicht noch überlegt, ob sich ein neuer Umzug lohnt, ist der Selbstwegspeicherer vielleicht schon im Flieger zu neuen Horizonten, wo er alles neu kauft.
Ausser den Küchenutensilien vielleicht, denn das Kochen ist auch nur so ein Zeitfresser, wenn man doch beim Geschäftsessen dauernde Präsenz im Netzwerk zeigen kann.