Es lag ein Bischof tot in einer Mur am Zederngebirge fünf Stunden schon unter strömenden Wolkenbrüchen. Die Mur war hinabgemalmt mit ihm und seinem Karren und seinen Maultieren und seiner Geliebten, unter ihm fort, über ihn hin, als schmettere das Erdreich ihn in den Schlund der Hölle, kurz vor Anbruch der Nacht.
Wolf von Niebelschütz – Die Kinder der Finsternis
Unter den Domen der deutschen Christenheit nimmt der Kiliansdom in Würzburg eine Sonderstellung ein: Nach der Bombardierung im 2. Weltkrieg stürzte das Langhaus ein, und wurde bewusst ohne all die Pracht der früheren Barockstuckatur wiedererrichtet. Die Neugestaltung greift statt dessen die ursprüngliche Form des Kirchenraums aus der Mitte des 11. Jahrhunderts wieder auf. Schlicht und schmucklos ist die Architektur, nur an den Säulen stehen aufgerichtet all die Grabdenkmäler der Fürstbischöfe, die den Bombensturm überlebt haben.
Seit an Seit stehen sie dort, in vollem Ornat, und man ist versucht, sie zu fragen, was sie denn von den aktuellen Vorgängen rund um die katholische Kirche, ihre Bischöfe, deren Streitigkeiten und Konflikte, den unrühmlichen Abgang von Mixa, die mutmasslich nicht ungezielte Weiterleitung von Dossiers an die Presse, Entschuldigungsschreiben und die Verwicklung des Vatikans in all diese Vorgänge halten, Oder dazu, dass nun langsam bekannt wird, dass man vieles schon recht lange ahnte, und sich bei den Bischöfen auch manche Überraschung über die diversen Vergehen doch in recht engen Grenzen hielten.
Die Herren aus Marmor und Kalkstein, denen man diese Fragen stellen könnte, sind natürlich zu ganz anderen Zeiten in Amt und Würden gewesen, in aller Regel frei von irgendwelchen Journalisten, Zeitungen, und aufmüpfigen Landeskindern. Sie treten vor den Betrachter auch nicht nur als Gottes Diener, den sie anbeten, sondern auch, vermittels des Herrn mit dem Schwert in der Hand, als weltliche Herren. Kaiser Barbarossa hat dem Bistum Würzburg eine autonome Stellung im Reich verliehen, und so stiegen die Bischöfe auch zum weltlichen Herzog von Franken auf. Von Gewaltenteilung hielt man damals allgemein recht wenig, und so betätigten sich die geistlichen Herren so, wie es eben nur Leute tun können, die Exekutive, Legislative, Judikative und obendrein Herrscher über das Seelenheil und Unheil anderer sind. Manche verbrannten ihre Landeskinder, andere vertrieben Andersgläubige, viele führten bewaffnete Konflikte, einer wurde wegen einer gestrichenen Belohnung eines Parteigängers ermordet, und andere pressten das Land und das Bistum nur aus, um sich im Rokoko grandiose Schlösser zu bauen und dort angenehme Gesellschaft von Frauen zu pflegen, von denen im Dom, angesichts des Todes, weniger die Rede ist.
Es ist dies alles natürlich trotz der nicht immer schönen Begleitumnstände sicher mehr das “christliche Europa”, das immer so gern beschworen wird, wenn es um die Leitkultur geht, als, sagen wir mal, der letztlich dem Zeitgeist doch hinterhereilende Glaube der überzeugten Anhänger in den Gemeinden; ein Glaube, der zwar immer noch seine liebe, weil Diskriminierung nun mal Spass macht, Not mit Geschiedenen hat, aber auch ein Glaube, der nicht mehr ist wie in den 50er Jahren, als Frauen in der Kirche Kopftücher tragen mussten, oder in den 30er Jahren, als man ohne Beichtzettel nicht heiraten konnte, oder in den 10er Jahren, als man das Gerede bekam, wenn die Angetraute nicht katholisch war, und Welten fern von der Vorstellung, dass tatsächlich ein geistlicher Herr über alle Belange des Lebens entscheiden konnte.
Nun sind die Fürstbischöfe nicht ohne Grund unter Napoleon in Deutschland weggefegt worden, ihre Herrschaftsbereiche wurden Fürsten zugeschlagen, die sich nicht mit Händen und Füssen gegen das neue Vermögen sträubten, und auch im Biedermeier war allen Beteiligten ausser den letzten, entmachteten Fürstbischöfen klar, dass man zu den Zuständen vergangener Jahrhunderte nicht würde zurückkehren können. Der geistliche Potentat war damals schon so undenkbar, wie es heute eine Rückkehr Chinas in die Kulturrevolution wäre, oder eine neue, adenauersche Bleiplatte über der Bundesrepublik. Es gibt einfach historische Gesellschaftsstrukturen, die durch den Fortgang der Geschichte ihre Existenzberechtigung verlieren. Da ist nichts an der alten Elite der Fürstbischöfe, das heute noch vermittelbar wäre.
Diese banale Selbstverständlichkeit, die man leicht angesichts der verwitternden Grabplatten im Kreuzgang von Würzburg formulieren kann, wird dennoch konterkariert durch all das, was man im Moment über Kirchenvertreter lesen muss. Man kann die Selbstherrlichkeit diverser Kirchenmänner angesichts des Offensichtlichen schlimm finden, man kann sich auch noch über immer noch verstockte Entschuldigungen eines Emeritus Mixa ärgern, in denen geschrieben steht: “Während der vergangenen Monate ist sehr viel in den Medien über die Verhältnisse in der Diözese Augsburg, auch über meine Person, geschrieben und gesagt worden. In vielfältiger Hinsicht waren die Berichte in dieser oder jener Richtung tendenziös.” Und weiteres. Man könnte aber auch die Frage anders stellen: Tritt uns hier nicht einer der alten Fürstbischöfe entgegen, und , auch diese Frage muss, selbst wenn sie für gerade konservative Eliten dieses Landes schlimm sein mag, gestellt werden – war das nicht doch ein Fürstbischof, den man da hatte, nicht mehr mit der weltlichen Macht, aber mit dem Bewusstsein der Macht und der Illusion der Unberührbarkeit, die auch all die Herren an den Säulen des Würzburger Domes auszeichneten?
Offensichtlich konnte man eine ganze Weile in einigen Bistümern mit dieser inneren, alteuropäischen Haltung eines Fürstbischofs Karriere machen, Entscheidungen treffen und Dinge tun, die nirgendwo undenkbarer als ausgerechnet bei den eigenen Anhängern wären. Da reibt sich das trunkene, sinnenfreudige, sorglose und prächtige 18. Jahrhundert mit seinem ganzen Feudalismus noch einmal kräftig an der moralischen Grundeinstellung des Bürgertums, da ragt ein Stachel des Absolutismus hinein in das weiche, ungeschützte Lendenfleisch der Menschen, die sich für die Wortführer der Anständigkeit halten. Dass man nun auch unter den Kollegen dieses Herrn nicht mehr bereit ist, die Handlungen als Fortschreibung einer Tradition zu begreifen, sondern als Problem für die Existenz in der Moderne, ist kein gutes Zeichen für alle, die noch eine Hang zu autoritären Denkweisen haben. Mit Mixa wird nicht ein Bischof aufs Altenteil geschoben, oder, wie manche denken, ein unliebsamer Konservativer, sondern das Konzept des Fürstbistums. Man ordnet sich der Leitkultur des Bürgertums unter, solange es einen noch haben will.
Natürlich, und auch das ist eine Lektion des Würzburger Doms, sind all jene Bischöfe interessanter, die sich nicht nur der Sanierung der Finanzen, dem Zukauf von Herrschaften und den geistlichen Belangen widmeten. Die fraglos besseren Geschichten haben all die Herren, die so gar nicht den geistlichen Tugenden entsprachen, Vermögen verprassten, gigantische Schlösser bauten und enorme Schulden für Untertanen hinterliessen, die ihren Särgen hinterher spuckten. Allein, solche Geschichten gewinnen erst ihren morbiden Charme, wenn man niemand mehr kennt, der darunter leiden musste, und dieses Privileg hat man in Zeiten der Massenmedien nicht mehr. Zumal ganz andere schon längst bereit stehen, die verdrängten Wünsche nach feudalen Zuständen und wenig Nachdenken zu befriedigen. Denn ein Baron ist in den Augen vieler immer noch ein Baron, selbst wenn sein Verhältnis zur Wahrheit mitunter auch nicht anheimelnder ist, als das eines Bischofs, dessen Kaseln nie so fesch sitzen werden, wie ein bürgerlicher Anzug.