Bringt mir den Zehnt ganz in mein Kornhaus, auf dass in meinem Hause Speise sei, spricht der Herr, und prüft mich hierin, ob ich euch nicht des Himmels Fenster auftun werde und Segen herabschütten in Fülle.
Maleachi 3,10.
Im 7. Jahrhundert ab Incarnatione Domini ging ein gewisser Herr Gallus, seines Zeichens Mönch und Prediger, durch ein finsteres, dicht bewaldetes Tal auf der Suche nach einer Heimstatt etwas ferner von den Menschen, die ihn bei seinem Wunsch der Weltabgewandtheit störten. Wie es in diesem Beruf zu diesen Zeiten üblich war, wurden derartige Stellen nicht durch Baugenehmigungen, sondern durch wundersame Begebenheiten festgelegt: Eine heiltätige Quelle, ein Reliquienfund, ein hilfreiches Tier, eine Erscheinung – bei Gallus war es dagegen prosaischer, denn er stürzte in einen Dornbusch und wertete diese schmerzliche Erfahrung als Fingerzeig Gottes, sich hier niederzulassen. So geschah es, und weil auch der beste Heilige nicht in Frieden leben kann, wenn es seinen wunderfordernden Nachbarn nicht gefällt, entstand statt einer Einsiedelei ein florierendes Kloster.
Steht man heute in der um 1760 vollendeten Kirche der ehemaligen, an dem Ort des Dornbuschs errichteten Fürstabtei St. Gallen und blickt auf die für das Rokoko erstaunlich finstere und mit dunkeln Wolken ausgemalte Decke, an der sich Bischöfe, Äbte und Unterstützer des Klosters tummeln, fallen nach eine Weile ein paar weitere Besonderheiten auf. Das Bildprogramm ist geradezu besessen von Symbolen der Herrschaft, die von Engeln herangeschleppt werden, an allen Ecken und Enden wuseln Himmelsgeschöpfe herbei, um den Klosterbrüdern und ihren Freunden Bischofsstäbe, Mitren, Kronen, Szepter, Wappen und andere eindrucksvolle Machtmittel in die Hände zu drücken. Und wie so oft versucht das Bildprogramm damit Ansprüche darzustellen, die zum Zeitpunkt seines Entwurfs schon längst Geschichte sind: Der Ort des Dornbuschs erwies sich mittelfristig für das Kloster kaum weniger schmerzhaft pieksend, als für seinen Patron. Über Jahrhunderte focht die Abtei einen Dauerkonflikt mit der sie umgebenden Stadt aus, in dem es den Bürgern um nicht weniger als die Entrechtung des Äbte mit allen zu Gebote stehenden Mitteln ging; mal wurden Rechte mit Geld erworben, mal fuhr man Kanonen vor dem Kloster auf. 50 Jahre vor dem Deckengemälde hatte die Abtei dann ihren letzte kriegerische Auseinandersetzung gegen die Stadt verloren, und tröstete sich entrechtet wenigstens mit einem opulenten Deckenfresco voller Erinnerung an alte Grösse.
St. Gallen ist damit ein schönes Beispiel für die Emanzipation des Bürgertums, das seine Karriere als rechtloser Untertan vor den Klostermauern beginnt und zäh, verbissen und dauerhaft um seine Rechte kämpft, und das Ziel auch über Jahrhunderte nicht aus den Augen verliert. Ziel war es, über sich selbst bestimmen zu können, und nicht zuzulassen, dass ein verschwenderischer Abt die Rechte über die Stadt an den Meistbietenden verschachert, die Bürger ausbeutet oder ihnen seinen Willen aufzwingt.
In anderen Regionen dauerte es damit noch recht lange, bis ins 20. Jahrhundert. Steuern etwa wurden früher durch “Ungelter” eingetrieben: Freie Unternehmer, die vom Fürsten das Recht erwarben, ihm einen gewissen Betrag abzuliefern, und selbst von den durchgesetzten Mehreinnahmen zu profitieren. Adlige konnten Offizierspatente kaufen und Tausende auf den Schlachtfeldern krepieren lassen. Kaum ein Amt, das nicht käuflich zu erwerben und dann finanziell auszuschlachten war; auf die Betroffenen nahm man naturgemäss bei diesem Handel mit dem Recht keine Rücksicht. Es gab durchaus gute Gründe, warum man in den Städten alles daran setzte, sich selbst zu verwalten; war nicht jedes Recht durch ein paar wohlplatzierte Kanonenkugeln in den Garten von Abt, Vogt oder Fürst zu erhalten, musste meist viel bezahlt werden – langfristig lohnte es sich. Hatte man dann erst mal die Ämter erworben, setzte man dafür städtische Beamte ein, die man in einem Falle von Amtsmissbrauch mit einem Strick oder einem Schwert schnell wieder los wurde.
Uns besseren Bürgern mag diese brutale und wenig feingeistig-ausgleichende Art des Machterwerbs heute unwürdig, ja nachgerade barbarisch anmuten, die wir in einer Demokratie leben, deren Macht vom Volke ausgeht. Es ist eine absurde Vorstellung, dass Rechte mühsam erstritten werden müssen, dass der Besitzer von Geld oder Waffen mehr Rechte im Staat hat, und sie damit erwerben kann. Gut, es gibt eine gewisse Ungleichheit, mit der die Besitzenden aber durchaus leben können, und deren Sinnhaftigkeit den anderen vermitteln Gossenpresse und Privat-TV vermittelt wird. Aber prinzipiell gibt es Gesetze, an die sich jeder halten muss, wir sind schliesslich nicht im Feudalismus.
Also, nicht so richtig. Im alten St. Gallen (Stadt) wurde beispielsweise geregelt, dass die Hausbesitzer nur sehr zurückhaltend ihre Tätigkeit im öffentlichen Raum bewerben durften. Ein wenig Stuck, ein Erker mit der Berufsbezeichnung, mehr nicht. Keinesfalls gab es den heute üblichen Werbeirrsinn, den Städte mit dem Verkauf des Rechts der Verschandelung des öffentlichen Raumes von Werbetafelaufsteller bekommen. Im alten St. Gallen gab es – soweit es damals möglich war – Verordnungen, wie die Abfälle zu entsorgen waren. Spekulativer Handel mit privat besessenen Emissionsrechten in den Händen oligarchischer Konzerne, wie es heute in der EU üblich ist, hätte damals vermutlich für Ärger gesorgt. Manche Städte haben ihre Versorgungsbetriebe längst privatisiert, oder gar mit hochriskanten Finanzwetten Beratern und Banken ausgeliefert, die noch mehr juristische Stacheln als St. Galler Dornbüsche haben.
Verlage – und hier an vorderster Front der Springerkonzern – versuchen gerade mit aller Macht, sich ein reichlich einseitiges “Leistungsschutzrecht für Presseverleger” in die Gesetzesbücher schreiben zu lassen. Wenn man diesen Hilferuf von Europaparlamentariern sieht, die sich bei der Bankenregulierung von Lobbyisten gegängelt und beeinflusst sehen, wenn man sich all die zugekauften Berater und Rechtsanwälte anschaut, die bar jeder demokratischen Legitimation in den Ministerien an jenen Gesetzesentwürfen mitschreiben, die immer wieder für Überraschung sorgen, wenn die Kollegen dr Autoren bald wieder Schlupflöcher finden – dann kann man sicher nicht vom guten, alten Ämter- oder Rechtekauf reden. Beim Ämterkauf wird das Recht an jemanden verkauft, der dafür eine Gegenleistung erbringt, sei es Geld, oder sei es nur, seine Kanonenkugel nicht abzufeuern. Beide Seiten haben etwas davon, das der Bürger versteht, ohne dass eine teuer eingekaufte PR-Agentur Kommunikationsziele für Unsägliches hätte entwickeln müssen.
Die Klosterkirche St. Gallen ist Teil des UNESCO-Welterbes, aber sie lohnt einen Besuch nicht nur wegen der Kunst, sondern auch wegen der Ideologie und Propaganda. Gerade weil die Deckengemälde das Gegenteil dessen erzählen, was damals gelebte Realität in St. Gallen war. Und weil in Banken, Kanzleien, Beratungsfirmen, PR-Agenturen und Lobbygruppen niemand Deckengemälde pinselt, in denen den abgehoben über allen anderen schwebenden Partnern und Vorständen kleine, fette Bürgermeister- und Abgeordnetenputti mit verkümmerten Primärgenitalien Gesetzesbücher, Vorlagen und Richtertalare reichen. Deren Propaganda zeigt aufrichtige Geschäftspartner, zufriedene Familien, saubere Landschaften, Dynamik und Fortschritt. Es sieht gut aus, da kann man sicher besser verweilen, als in einem Dornenbusch, dessen Schmerzen man sofort spürt, ganz im Gegensatz zu all den verspätet auftretenden Folgen der Bankenrettung durch die öffentliche Hand, die Sparprogramme nach den Wahlen, und was die modernen Ungelter sonst noch alles wollen, ohne dabei selbst zu profitieren. Denn das Recht und das Amt zum Ungelten ist in der Moderne natürlich bei unserem Staat gelandet, das Recht und das Amt überlässt man ihm gerne, genauso wie den Wunsch der Bürger, den Rechteinhaber wie früher mit der Kanone zu entlohnen; nur der Profit daraus, der ist eine andere Sache bei einer anderen Seite.
Man nennt es, glaube ich, den Fortschritt.