So zwingt das Leben uns zu scheinen, ja zu sein wie jene, die wir kühn und stolz verachten konnten.
Goethe, Torquato Tasso
Vorspiel in einer Berliner Agentur für Beeinflussung
PR1: Also, mit der gschlamperten Frauengeschichte können wir den Spin als braver Familienvater abschreiben.
PR2: Und der aufrechte Kämpfer isser auch nicht.
PR1: Der andere ist einfach ein Charmebolzen.
PR2: Und kann besser reden.
PR1: Warum zum Teufel müssen wir für diesen aalglatten, langweiligen, drögen, faden, bierernsten…
PR2: Stimmt, witzig ist er auch nicht.
PR1: Vielleicht versuchen wir es doch mit einem fortschrittlich-weltmännisch-klugen Image.
PR2: (verdreht die Augen)
PR1: Haben wir eine Alternative?
PR2: Na schön, spannen wir halt den Bogen von den Höhepunkten der deutschen Geistesgeschichte bis zur Berliner Republik, so mit Goethe, preussische Tradition, Aufklärung, pipapo, die Praktischnecke macht im zweiten Semester Germanistik, die soll mal ein paar Namen raussuchen.
Und so nimmt das Drama seinen Lauf, und irgendwann sitzt ein gewisser Herr Wulff, seines Zeichens auserwählter und vorgesehener, aber beim nicht gefragten Volk nicht allzu beliebter Bundespräsidentenkandidat gegenüber jemandem, der angenehm devote Fragen stellt, und präsentiert sich mit sorgsam gelernten Worten als der Mann, der aus dem betulichen, zukünftigen Amtssitz einen Stätte des Geistes machen will:
Deswegen würde ich das Schloss Bellevue zu einer Denkfabrik für Deutschland machen. Wissenschaftler, Politiker, Künstler, kluge Köpfe könnten dabei helfen, Anregungen zu geben, unser Land modern und zukunftsfest zu machen. Denken Sie an Friedrich den Großen und seinen Berater Voltaire. Goethe war Minister und von Humboldt preußischer Beamter – beide waren Staatsdiener. Das Staatsoberhaupt wird ja nicht durch die Wahl zum Universalgenie, sondern ist auf den Rat von klugen Leuten angewiesen.
“Denken Sie an”, sagt Wulff, wie man es ihm geraten hat, und genauso könnte der dem Tisch sagen “Geh tanzen” oder den Kühen vor meiner Terrasse am Tegernsee “Fliegt in den Himmel”. Ihm gegenüber sitzt jemand eines Produktes namens BAMS, Bild am Sonntag, von deren gestriger Ausgabe dieses Zitat genommen wurde, bei BAMS ist die Aufforderung zum Denken allenfalls rhetorisch gemeint. Das sagt man halt so dahin. Man stelle sich nur vor, der andere würde, wie ihm geraten, tatsächlich das Unerhörte wagen und an Voltaire denken – der Schweiss würde ihm ausbrechen. Friedrich der Grosse war sicher ein deutscher Superpreusse, aber dieser Voltaire, was war der noch gleich… Berater vom Friedrich, ok, aber sonst? Aber, Potzblitz, der Wulff, der kennt sich echt aus, der weiss das alles, ein echter Intelegtuela, das muss so ins Blatt, mit Goethe und Preussen, noch vor der nackten Frau… Im Hintergrund grinsen sich PR1 und 2 was.
Wagt man jedoch wirklich den Gedanken an den “Berater” Voltaire zu Gast in Berlin, und kennt man sich nur etwas aus – fragt man sich, was Wulff ausser seiner enorm raumlassenden und peinlichen Bildungsferne demonstrieren wollte. Friedrich der Grosse lud den gefeierten Philosophen Voltaire zwar 1750 nach Preussen ein, und ernannte ihn zum Kammerherrn. Im Schutze dieser Vorzüge begann der geschäftstüchtige Voltaire jedoch schnell mit illegalen Finanzspekulationen, und betrog dabei so ungeschickt, dass er damit die Grundlage für sein baldiges Zerwürfnis mit Friedrich bereitete. Voltaire legte sich danach in einem unnötigen Machtkampf mit einem ehemaligen Weggefährten, dem Präsidenten der Berliner Akademie Pierre-Louis Moreau de Maupertuis an, und verspottete diesen in einem Pamphlet, das Friedrich der Grosse daraufhin verbrennen liess, und damit öffentlich demonstrierte, wie er die Leistung seines renitenten Gastes schätzte. Schon zuvor hatte er über seinen “Berater” gesagt, er brauche ihn höchstens noch ein Jahr, und wörtlich: Man quetscht die Orange aus und wirft die Schale weg.
Daraufhin nahm Voltaire gekränkt seinen Abschied und floh nach Frankfurt, wo Friedrich ihn wegen des Diebstahls eines Manuskripts verhaften und schikanieren liess. Zutiefst erbost ging Voltaire nach Frankreich, wo bald die Schrift “Das Privatleben des preussischen Königs” erschien, voll mit Indiskretionen über Friedrichs angebliche homosexuellen Neigungen. Man denke also, übertragen auf heute, an einen Modephilosophen, der sich im Schutze von Wulff erst mal bereichert, dann überall aneckt, zu jeder Indiskretion bereit ist und am Ende mit Schimpf und Schande verjagt wird. Man denke an absolutistisches Hofschranzentum mit allen Konsequenzen, wenn man denn denken will, und nicht nur mit ein paar Worten nicht vorhandene Bildung vortäuschen möchte. Da braucht man natürlich fern des Universalgenies, zu dem man nicht gewählt wird, ein par kluge Köpfe, die die schlimmsten Defizite vertuschen helfen.
Die intellektuelle “Task Force”, oder soll man sagen, Task Farce für Schloss Bellevue sollte dem Mann, so man ihn denn die Würde des Amtes überträgt, vielleicht auch noch erklären, dass Goethes Jahre als Minister von des Herzogs Gnaden in Weimar nicht wirklich der Höhepunkt seines Lebens waren. Der vielversprechende Autor des Werther wurde in einen aufreibenden Verwaltungsposten gezwängt, der ihm für die Literatur kaum Zeit liess, und wegen mitunter sehr harter Vorgehensweisen nicht gerade zu seinen Ruhmestaten zählt: Ohne Skrupel liess er in jenen Jahren Truppen für die militärischen Abenteuer seines Herrn ausheben, und wenn Börne ihm nachsagt, er wäre ein Fürstenknecht gewesen, lassen sich gerade in dieser Zeit durchaus wenig schmeichelhafte Belege für diese These finden. Goethe selbst war in jener Zeit erkennbar frustriert, und setzte sich schliesslich 1786 zur italienischen Reise von seinen Verpflichtungen ab – heimlich, um auch weiterhin den Lohn seiner Herrn kassieren zu können. Nach seiner Rückkehr wurde Goethe von den ihm verhassten politischen Aufgaben entbunden, und widmete sich seinen Vergnügungen.
Von Humboldt sei preussischer Beamter gewesen, lässt Wulff wissen, ohne zu sagen, welchen Humboldt er meint, oder ob er weiss, dass es von denen mehr als einen gab – die Tätigkeit für Preussen trifft jedoch auf beide Humboldt-Brüder zu: Stets war sie holprig und ohne umfassende Begeisterung. Der Forscher Alexander quälte sich nur bis zum Erbe durch den Tod seiner Mutter in Staatsdiensten ab, finanzierte dann seine Reisen erst selbst, und dann über Geldgeschenke ohne Verpflichtungen. Das spätere Leben am preussischen Königshof als eine Art intellektuell-liberales Feigenblatt ohne Einfluss war ihm dagegen keine besondere Freude. Sein Bruder , der Schulreformer Wilhelm von Humboldt hasste das Richteramt, das er nach seinem Studium ausfüllen musste, zog sich in das Privatleben zurück, liess es sich dann als Diplomat in Rom gut gehen und war, als er nach Berlin gerufen wurde, von seiner subalternen Position im Bildungsbereich nicht wirklich angetgan. Als ihm der Aufstieg verwehrt wurde, warf er den preussischen Beamtenstatus weg, und zog sich ins Privatleben zurück. Beide waren nicht wirklich das, was man sich unter einem “Staatsdiener” vorstellt, sondern Opfer widriger und verständnisloser Umstände. Beide hatten wenig übrig für das Hofschranzentum, in dem sie anderen Leuten zur Erleuchtung und geistigen Zier verhelfen sollten, ein Hofschranzentum, als dessen Vorbilder in der Wullf’schen Denkfabrikandenke, so muss man wohl sagen, herhalten sollen.
Dass die Herrscher jener Tage, auf die sich Wulff direkt oder indirekt lobend bezieht, bestenfalls leicht aufgeklärte Despoten waren, vielleicht aber auch unverantwortliche Abenteurer, Kriegstreiber oder wenig rücksichtsvolle Reaktionäre, ist eine erstaunliche Haltung für jemanden, der das Oberhaupt eines demokratischen Staates werden möchte. Dass er auf Personen zu sprechen kommt, die mal mehr, mal weniger begeistert im Hierarchiesystem des Absolutismus mitwirken, und deren Tätigkeit als “Diener” er herausstellt, lässt wenig Gutes ahnen – an einen Heine, an einen Börne, an einen Vetreter der Opposition gegen den Obrigkeitsstaat preussischer Prägung denkt, lässt Wulff jedenfalls nicht denken.
Vielleicht, weil er es einfach nicht weiss, weil er oder jemand in seinem Stab glaubt, es reiche schon aus, ein paar bildungshubernde Namen fallen zu lassen, damit die Idee, mit der er sich von der Konkurrenz absetzt, klug und stimmig wirkt. Den Nationalstolz streicheln, in die Vuvuzela des ordentlichen, servilen Deutschtums blasen, und schon macht sich der ahistorische Schlagwortismus auf zum Sturm auf Schloss Bellevue, da knirschen die losen Glieder der Viertelbildungsharnische über aufgeblasenen Ignoranzwanst, nach vorne speit er Aufklärungsbrocken aus, der BAMSverdauende Dickdarm intoniert Mit Gott für König und Vaterland, und PR 1 und 2 überlegen schon, welchen genehmen Denker, Kopf, Geistesarbeiter und Redakteur sie einladen, um die Präsidentschaft “zukunftsfest” wirken zu lassen, oder wenigstens universalgenial. Alle Namen, die sie dafür brauchen, finden sie in einer TV-Programmzeitschrift.