An das ZK des Deutschen Kulturbetriebs
z.Z. im Kinderferienlager “Thälmann”
Schalk-Golodkovski-Allee 66, Arendsee, GDR
Liebe Genossinnen und Genossen,
hiermit fordere ich die sofortige, dauerhafte und unwiderrufliche Abschaffung der sog. “DDR” in den Betriebsgruppen “Literatur”, “Malerei”, “vergleichende Beleidigung” und allen anderen Sektoren.
Sie werden sicher überrascht sein, ausgerechnet von meiner Person – lupenreine Westbiographie, Vorfahren seit Jahrhunderten nicht weiter als 50 Kilometer hinter die Stadtgrenze der dummen, kleinen Stadt an der Donau verreist, bürgerlich in Wort, Bild und Attitüde – einen derartigen Antrag zu vernehmen; viel eher hätten Sie vielleicht an dieser Stelle einen sozialistischen Realisten, einen Bastardliedermacher oder einen Stasispitzel erwartet. Und nicht einen Angehörigen der siegreichen Ideologie, die dem Osten blühende Landschaften gebracht hat, dass kein Gras mehr wächst. Trotzdem stehe ich hier und verlange das Ende der “DDR”.
Denn die “DDR” ist, um es auf bayerisch und mit meiner Grossmutter zu sagen, saufad. Sie war es schon, als man mich mit der Schule dorthin schickte, damit ich dieses entsetzlich sozialistische und immens feindliche Land kennenlernte, und mich der VoPo auf dem Alexanderplatz nicht erschoss oder wenigstens festnahm, als ich fragte, wo es hier zur Mauer geht, sondern mir einfach den Weg wies. Wann immer ich Ostbiographien höre, denke ich nie “Oh welch schlimme Sache”, ich denke immer nur: “Oh Gott wie öde”. Im Ernst, ich glaube, das Thema “Republikflucht aus Langeweile” könnte ein spannendes Forschungsthema werden, wenn Sie sich nicht, wie ich doch sehr hoffe, dazu entscheiden, dieses langweilige Kapitel zu schliessen.
Versuchen Sie es, auch wenn es Ihnen angesichts des inflationär auftretenden, preis- und rezensionsträchtigen Themas schwer fällt, doch so zu betrachten: Für jemanden wie mich war diese “DDR” immer weit weg und irrelevant. Wir hatten dort keine Verwandten und keine verstaatlichten Reichtümer, und selbst wenn – auch Verwandte und Staatsräubereien sind in aller Regel öde, wie jeder weiss, der schon mal Steuern nachzahlen musste. Wie Hunderttausende andere Bürgerkinder verspürte ich nie Lust, dieses Land aufzusuchen, es war halt da, aber der Gardasee und die Riviera waren näher. Kein Mensch redete darüber, ausser gelangweilte Lehrer in einem einschläfernden Unterricht. Auch Versuche, uns über das Funktionieren von Selbstschussanlagen aufzuklären, stiessen nicht auf die zu erwartende Begeisterung ob Blut und Tod. Da drüben schraubte vielleicht einer gerade den Zünder in eine Atombombe, aber wer zum Teufel sollte daran denken, wenn er am See liegt und an Sylke die Sonne riecht? DDR, das war das Land, das diesen komisch aussehenden Biermann nicht mehr wollte, und der sang auch langweiliges Zeug. Wir hörten und lebten Beach Boys.
Und dann kam diese Wiedervereinigung. Viel wurde über den ungerechten Ausgleich zwischen Ost und West, Aufarbeitung des Unrechts, Gregor Gysi, schon wieder die Mauer und das Ende des Sozialismus geschrieben, als ob das irgendjemanden jenseits des Solidaritätszuschlages interessieren würde. Sie dürfen mir glauben: Die Wiedervereinigung wurde nicht gemacht, um mit solchen verschnarchten Themen konfrontiert zu werden. Viele Ostdeutsche wollten westdeutsche Lebensfreude. Und die Westdeutschen fanden es in Ordnung, dass die Langeweile im Osten ein Ende hat. Es ist mir, mit Verlaub, absolut nicht eingängig, warum es im Ergebnis dazu führt, dass mir immer noch und in den letzten Jahren zunehmend allenthalben die “DDR” und ihr tristes Grau wieder reingerieben wird. Das, liebe Genossinnen und Genossen, das ist echte Ungerechtigkeit: Der Fall der Mauer hat nicht dazu geführt, dass die “DDR” verschwunden ist. Die “DDR” ist dadurch erst im Westen und in Ihrem Betrieb ausgebrochen.
Obwohl in meiner kleinen Heimatstadt oder am Tegernsee niemand das “Neue Deutschland” liest, keine wendehälsischen Parteikader in den Stadträten sitzen, keine FDJ-Sekretärinnen an die Spitze der konservativen Parteien gelangen, und die Zahl der nostalgischen Bentleys die der ostalgischen Trabants weit überragt – trotz all dieser Umstände hat es dem Betrieb gefallen, sich kulturproduktsausstossend mit der “DDR” umfassend zu beschäftigen. Man sagt unsereins, dass Tellkamps “Turm” grosse Literatur sei, die man gelesen haben müsse – ich kenne viele, die das Buch im Regal stehen haben, und alle, wirklich alle fanden es unerträglich, und haben es nicht ausgelesen. Letzthin wieder beim Bachmannpreis: Allenthalben “DDR”. Düster, kalt, schwer, schlimm, eng und deshalb preiswürdig, Juroren lieben so etwas, vielleicht, weil der verfilzte Betrieb sich dabei an sich selbst erinnert. Ja, man musste sogar den Eindruck bekommen, dass dieses Thema 20 Jahre nach seiner politischen Abschaffung dabei ist, frühere triste Favoriten des Betriebs wie Magersucht, Ekzeme, Selbstmord, Vergewaltigung und Familienkonflikte zu assimilieren, zu erobern und dem eigenen Herrschaftsgebiet in Bleigrau zuzuführen. Was das Thema jetzt auch nicht unterhaltlicher macht, um noch einmal meine Grossmutter zu zitieren.
Dass sich der Russe zur Einrichtung der “DDR” ausgerechnet jene kulturferneren Landesteile herausgesucht hat, die schon zuvor Schweizer Humor, oberpflälzische Sprachgewandtheit, englische Kochkunst und preussischen Charme in sich vereinten, ist die eine Sache – wenigstens musste man sich damit andernorts nicht langweilen. Dass es jetzt anders ist, ist perverserweise nicht dem Russen zuzuschreiben, der den Rest des Landes erobert hätte, sondern Ihnen, meine Damen und Herren. Sie, für die alles interessant und spannend ist, solange es nur Osthintergrund hat. Sie, die jeden Aspekt eines Schaffens auf seine Osttauglichkeit abklopfen, die jedes Bröckerl Ostbiographie hervorheben. Im Westen, das mussten Sie schmerzvoll erfahren, sind all die Aussenseiterprobleme, die Sie in Kulturprodukten behandelt sehen wollen, nur begrenzt vorhanden, den Menschen geht es zu gut, als dass sie sich damit auseinandersetzen wollten – aber in der “DDR”, da ging das alles. Da hatte man üble Zustände, an denen sich Probleme und Neurosen hochwanden und festmachten, wie in ordentlichen Vierteln nur die Kletterrosen.
Die “DDR” ist eine Art Barbara-Cartland-Welt für Ihren Betrieb. All das, was Sie sich wünschen und die reale Gegenwart nicht zu liefern in der Lage ist, all das adrette Rezensentengrau und Sprachkunstbeige, das Bühnenfäkal und die Pinselschemerei, das geht, geadelt durch die Erfahrung einer Unterdrückung, die zudem noch angenehm nahe rund um Berlin zu fühlen ist, wo ohnehin das kulturelle Zentrum des Landes sein soll. Da dringt der Eiter des Sozialismus noch aus den Ritzen, da gibt es sie noch, die kaputten Erfahrungen und Geschichten, da zieht jeder hin, der keine Ostbiographie hat, aber auch gern um Ihre Gunst mitbuhlen möchte. Und bekommt folgerichtig den Stempel “künstlerisch wertvoll!!!”. In dreifacher Ausfertigung. Sie loben das, die Künstler wollen Preise, Anerkennung, gute Besprechungen, und liefern so etwas. Sie alle sind auf einem guten Weg, den 5-Jahres-Plan in Sachen Anödung zu erfüllen, als ginge es darum, ganze Plattenbauviertel für neue Kulturarbeitergenerationen zu errichten, wo schlechte Zigaretten geraucht und Broiler vom Staniolpapier verspeist werden. Die Meinung des Porzellan präferierenden Publikums interessiert sie in etwa so, wie die SED der Ärger über die schlechte Qualität ostdeutscher Seidenstrümpfe.
Wie das beendet wurde, wissen wir alle.
Also, liebe Genossinnen und Genossen des Betriebs, hören sie besser auf, eine Mauer der Langeweile von der Ostsee nach Klagenfurt um unsere Westviertel herum zu bauen, und sie mit Tellkampwachtürmen zu versehen. Akzeptieren Sie die Realitäten der Hände, die sie füttern: Die “DDR” hat in den Westvierteln nie stattgefunden, und sie wird dort auch nie stattfinden. Ihre “DDR” wird den gleichen Weg in den Ramsch gehen, auf dem auch schon all die Ekzemprinzessinnen und klauenden hEkelmanns ins Vergessen watschelten. Es ist Sommer, das Wetter ist schön, machen Sie mal was über angenehme Lektüre in einem vorzeigbaren Rahmen, die Franzosen, Briten und Italiener können das doch auch. Dann wird man vielleicht auch wieder anfangen, über ihre Texte am Kaffeetisch zu reden. Bei uns spielt die Musik. Sie glauben ja wohl nicht im Ernst, dass Ihre “DDR”-Geschichten in den Landesteilen gut ankommen, in denen das Neue Deutschland und die Nationalzeitung normale Bewohner der Zeitungsstände vor dem Beige bröckelnder Fassaden sind.
Mit mindersozialistischen Grüssen vom Tegernsee
(Riesenschnörkel) Don Alphonso