Und es gibt nichts, von dem Wir keine Schätze hätten; aber Wir senden es nur in bestimmtem Maß hinab.
Mohammed, Der Koran
Wir haben die Räder genommen, sind den Hügel hinab gebraust, schnell über die Strasse geschlüpft, auf der sich die eine Hälfte Münchens Richtung Süden staut, während die andere Hälfte gerade noch im Stau auf der Autobahn steht. Auf dem Parkplatz im Ort ist heute Flohmarkt, sie können nicht bleiben und ergiessen sich Richtung Tegernsee und Rottach, aber wir radeln auf einem kleinen Weg in eine andere Richtung, hinter ein paar Schilfgürteln vorbei, bis die letzte Villa verschwunden ist und sich einige kleine Buchten zum See hin öffnen. Ein paar Bäume spenden Schatten, und am Übergang zwischen Kiesstrand und Wiese sind die Steine fast so fein wie Sand. Dort breiten wir die Decken aus, ziehen das Porzellan behutsam aus meinem Schweizer Militärrucksack, der für das Gepäck dieses Tages gerade so genug Platz hat, nehmen etwas Tee, und was sich sonst noch findet. Von der anderen Seite dringt das monotone Rauschen des Verkehrs herüber, aber hier ist es still. Wir sind früh genug gekommen, für den kleinen Traum vom grossen Sommertag am See.
Es ist so friedlich hier und still, die Buchten sind so klein, dass jeder eine für sich haben kann, und durch die Flora so getrennt, dass man für sich bleibt. Wer hier liegt, kommt auch zumeist von hier, denn dieser Teil des Sees ist noch wenigen bekannt, und schon gar nicht jenen Massen, die der Verderbnis durch Mückenschwärme und Wüstenhitze nur für ein paar Wochen am See entgehen wollen. Die treffen sich dann weiter unten im Süden, wo es dem Fremdenverkehrsverband gefallen hat, Wellnessangebote und einen Sandstrand zu offerieren. Dort zeigen sie dann die mässigen Erfolge ihrer Erziehungsarbeit und neueste Kinderwägen vor, reden über den neuen Kindergarten, in dem ab dem 4. Lebensjahr Englisch unterrichtet wird, und schwimmen den trötenden Ausflugsbooten in die Fahrrinne. Aber hier ist es noch friedlich, ab und zu kommen Hundebesessene vorbei, ein paar alte Tanten oder andere Radler. Sehr fein, das alles, sollte man meinen.
Irgendwo, vermelden Nachrichten, bringen Araber einander oder Soldaten aus dem Westen um, in grossen Städten regiert Gewalt die Strassen, verkündet eine falsch verstandene Religion Hass und Unterjochung, muss sich der neuzugezogene Berliner Bürgerlichkeitsbürger unter hohen Kosten den Wohnraum in Kreuzberg und Neukölln gegen türkischstämmige und den Mieterverein bemühende Alteinwohner ergentrifizieren, und dann sind da noch die blanken Muslimhasser, die sich bald im Jahr 9 des Weltkriegs des angegriffenen Westens gegen die islamistische Bedrohung wähnen. Niemand sieht dagegen das Drama, das unter der Stille am See tobt, der Konflikt zwischen Orient und Okzident, der sich an diesen Gestaden auftut und alle, die hier wohnen, im Wesenskern trifft. Es mag wie ein friedlicher, oberbayerischer See wirken, aber längst toben auch hier Kämpfe um Verteilung und Räume. Gerade hier.
Denn aus irgendwelchen vollkommen unverständlichen Gründen wurden nicht nur in meiner Heimatstadt Immobilien in Dubai als Wertanlage angepriesen. In fernen Wüstenreichen muss es auch die Absurdität von Vermögensverwaltern geben, die den dort lebenden Reichen von diesem See erzählen, seinem angenehmen Klima, und nicht von all den Regentagen, die hier bald nach Mittag mit tiefen Wolken und hellen Blitzen heran dräuen. Der Bayer als ein solcher, müssen sie erstaunlicherweise behaupten, sei gar kein schlechter Mensch, man könnte gut mit ihm auskommen, was vielleicht sogar stimmt, wenn man als Bezugsgrösse einen Tiroler FPÖ-Wähler daneben stellt. Die Landschaft sei lieblich, der Sommer angenehm, die medizinische Versorgung bestens und gar nicht voll von fettabsaugenden Silikonpfuschern, und zudem seien die Immobilienpreise recht günstig, wenn man sie mit Moskau, Tokio und anderen Destinationen vergleicht. Kurz, es muss so gelogen werden, wie beim Verkauf von Dubai als weltoffener und angenehmer Ferienregion, nur eben auf arabisch. Und es funktioniert, wie man eben auch Menschen aus Pfaffenhofen Häuser auf Palmeninseln andrehen kann.
Nur sind die im Meer aufgeschüttet. Hier am See wird der Bestand international verkauft, und diese Klientel hat genug Geld, um sich nicht mit Petitessen wie Preisvergleichen oder drohenden Enteignungen wegen eines Wegebaus am Ufer zu scheren. Diese Klientel kauft, kommt ab und zu, macht dies und das, vor allem aber: Sie hebt die Preise an. Man kann erheblich mehr verlangen, sollte Opa sterben und eine Villa am See hinterlassen. Dem Makler ist die Herkunft der Käufer egal. Der globale Markt gibt das her. In Berlin können die Ausgebooteten, die weniger Vermögenden, die Ärmeren in andere Viertel mit Wohnungsleerstand ausweichen, und dort auf den nächsten Gentrifizierungsschub warten, der vielleicht nie bis zum Wedding kommt. Hier jedoch ist das Tal zu eng, die Neubauten zu selten. Die weniger reichen Deutschen werden in Lagen mit noch unreicheren Menschen abgedrängt. Der normale Millionär etwa kann sich ein Ferienhäuschen mit Seezugang und kleinem Park gar nicht mehr leisten. Sitzt am Sandstrand in Tegernsee und sieht, wie auf der anderen Seite in Rottach die Verschleierten ihre neue Teilzeitheimat besichtigen. Wenn nicht gerade mal wieder der vollverhagelte Hochsommernovember ausbricht, das Pendant zur quallenverseuchten Gluthitze in Dubai.
Für das Opfer der arabischdominierten Reichengentrifizierung kann es kein Trost sein. Es gibt nichts, was man dagegen tun kann, der Kapitalismus ist bei der Festsetzung von Preisen nicht freundlicher als alle anderen Arten der Gewaltherrschaft, der man sich mal freiwillig, mal erzwungen, unterwirft. Es trägt nicht vollumfänglich zur Verständigung der Kulturen bei, es folgt einer unbarmherzigen Logik und weniger den Gepflogenheiten einer guten Nachbarschaft, und gerade die Legalität dieser Veränderung hinterlässt ein bitteres Gefühl der Machtlosigkeit. Andernorts ist man längst dabei, die Konsequenzen zu ziehen: In Tirol bringt man Gesetze und Verordnungen gerade in Urlaubsregionen gegen kaufwütige Piefkkes Deutsche in Stellung. In Meran gibt es bei ein und derselben Immobilie niedrige Preise für Einheimische und hohe Preise für Deutsche. Aber hier, am See, ist man den Marktgewalten zugunsten Anderer schutzlos ausgeliefert. Gerecht ist das nicht. Wären die Häuser hier doch wenigstens so schnell und billig zusammengeklatscht, wie das, was andere in Dubai erwarben, dann wären sie bald unbewohnbar, und das Problem wäre durch einen schlechten, preismindernden Ruf gelöst.
Und so zieht man, unfähig, der arabischen Gegenbewegung Paroli zu bieten, weiter in andere Orte, die das internationale Anlegerkapital noch nicht gefunden hat, kauft sich dort ein, und blickt von der Ferne herab auf Orte, die so gar nichts mehr zu tun haben mit dem, was den See eigentlich ausmachen soll. Fein, so denken sie, wäre es, wenn man die Globalisierung aufhält, wo sie raubt – an den Ufervillen, erworben mit diktatorischen Petrodollars – und dort fördert, wo sie Gutes tut – bei den sicher demokratiefördernden deutschen Exporten von schluckfreudigen Autos nach China.
Und während der Zuckerschock hinter den eigenen Gardinen über die übelste Verstimmung angesichts der Unmöglichkeit einer Reconquista hinweg hilft, überlegt sich vielleicht schon ein leitender Angestellter einer globalen Maklerfirma, wie er den See dem chinesischen Geschmack zuträglich machen könnte, denn mit der Aufwertung der kommunistischen Währung hat man im Reich der Mitte ganz andere Möglichkeiten. Nicht so gut wie die Araber vielleicht, aber es gibt am See ja auch noch andere Orte, die nur darauf warten, für internationales Geld erschlossen zu werden. Und im Vergleich zu den Spekulationsblasen in Fernost ist es hier immer noch billig. Bis zur nächsten Angebotsverknappung und Preissteigerung, natürlich.