Welcome to the Pleasure Dome
Frankie goes to Hollywood
Mein erster Weg in Meran führt mich meist in die höhlenartigen Räume eines Haushaltswarengeschäftes mit dem Namen Frasnelli, das schon seit des Kaisers Zeiten Metallwaren verkauft: Der Laden ist vollgestopft mit verschiedensten Dingen vom Ablaufsieb bis zum handgeschmiedeten Luxusmesser, von der sehr praktischen Tortelliniform über die Espressomaschine bis zum Porzellan. Es ist eine kleine Wunderwelt, dieser leicht antiquierte und überfüllte Laden unter den Lauben. Woanders nagt der Zahn der Zeit, denn anstelle der alteingesessenen Buchhandlung Pötzelberger ist jetzt eine weitere Kleidungskette zu finden. Das alte Cafe Imperial mit seiner psychodelischen Einrichtung der 70er Jahre, in dessen Zimmer ich mich bei der Nachricht vom Tode Jörg Haiders eines Gefühls der Erleichterung, um es schonend zu formulieren, nicht enthalten konnte, hat jetzt einer Neuschöpfung Platz gemacht, die modern wirken soll und in ihrer weissen Kälte nicht gerade viele Besucher anzieht. Alles ändert sich, aber Frasnelli bleibt, und ich kaufe dort ein Speckmesser. Mal wieder.
Mit den Speckmessern ist es so eine Sache. Speck ist hart und muss dünn geschnitten werden, also muss das Nesser einen soliden Griff aufweisen, eine stabile, nicht zu lange Klinge besitzen, und präzise schneiden. Man nennt es “Südtiroler Speckmesser”, aber bei mir daheim sind diese Messer die robuste Allzweckwaffen für jede Art des Kochens. Man könnte meinen, sie würden schnell verschleissen, wenn ich jährlich zwei, drei Exemplare erwerbe, aber verloren gehen sie an Gäste, die schnell merken, wie praktisch diese Messer sind. Zwei, drei Striche über den Wetzstahl, und die Messer schneiden alles. Ich zerhacke damit den harten Hokaidokürbis, und fliege durch die Pilze, ich schneide die Butter und treffe genau den Rand des Grana Padano.
Nur Fleisch, das schneide ich damit nicht. Ich würde mich nicht zwingend als Vegetarier bezeichnen, aber ich esse kein Fleisch mehr. Vor gut 18 Jahren weilte meine Freundin für ein paar Wochen bei mir in München, und wollte das vegetarische Leben ausprobieren. Als Abkömmling einer bayerischen Familie, bei der Fleisch dazugehört, wenn es nicht gerade bleichweise Apfelstrudel und Zwetschgendatschi gab, erschien mir das eher ungewöhnlich, aber die Liebe verlangt Opfer. Ich kramte meine vegetarischen Rezepte zusammen, liess beim Rest das Fleisch weg und stellte mich auf das grosse Fressen an jenem Tag ein, da sie wieder abreiste. Die Not machte mich erfinderisch, und während ich zu Beginn nicht litt, sah ich am Ende gar keinen zwingenden Grund mehr, Fleisch zu essen. Käse und Eier aus Bioproduktion gerne, aber auch nicht in enormen Mengen. Ich gebe gern zu, dass ich mir diese Veränderung früher nicht hätte vorstellen können, aber heute hebt es mich, wenn ich zu lange Fleisch anschaue. Es ist ziemlich hart, was da auf den Tellern liegt, wenn man vom Lebewesen, das es einmal war, ausgeht.
Wie auch immer, ich bin tolerant und mache niemandem Vorwürfe; ich bringe aus Südtirol durchaus Bekannten Fleisch mit, aber bei mir daheim versuche ich durch Qualität von einem anderen Lebensstil zu überzeugen. Ich gehe Fleischessern nicht mit harten Worten wie “Leichenfresser” oder “Kadaver” auf die Nerven, ich gebe auch kein leises Meckern von mir, wenn jemand Lamm bestellt. Ebenso unterlasse ich Abhandlungen über die Gebrechen historischer Persönlichkeiten mit zu üppigem Fleischverzehr. Ich bin einfach eine Person, die fleischlos bestellt. Das ist heute nicht ungewöhnlich und in bei den jüngeren Vertretern meiner Schicht vergleichsweise normal. Selbst in den bodenständigen Metzgereien meiner Heimat gibt es inzwischen überall eine grosse Auswahl an Käse. Mit einer gewissen Verachtung blickt man natürlich auf jene Personen herab, die in der Folge der Nachkriegsfresserei eine Präferenz für viel billiges Fleisch haben. Was den Alten ihr widerliches Hack, der Leberkäs und die Erinnerung an den Wienerwald, ist den jungen Enkeln in Berlin ihr “Chickendöner”, bei dessen Hinabwürgen sicher keiner an das Elend der Tatsachen industrieller Tierhaltung denkt.
Tatsache ist aber leider auch, dass… schauen Sie, natürlich verachte ich Leute, die sich massgeblich von Billigfleisch miserabler Qualität ernähren. Aber ich behalte es für mich. Ich stelle mich in Berlin nicht vor einen Imbiss und pöble Unterschichtler an, die Currywürste oder Buletten von Papiertellern in sich hineinstopfen. Meine Verachtung ist theoretischer Natur, in etwa: Nun, ich könnte mit den gleichen Kosten praktisch ohne Abfälle zweimal mit besserer Qualität satt werden, aber wenn sie Zeit ihres Lebens an der Strasse im Stehen schlingen wollen, bitte… Tatsache ist leider, dass mir dieses Privileg von einer anderen Sorte Fleischesser nicht zuteil wird.
Denn was dem Volkspark Friedrichshain seine Grillterroristen, ist dem höflichen Vegetarier der, nennen wir ihn mal so, Fleischproll. Der Fleischproll ist kein Proletarier, sondern eine Person mit ostentativer Zuneigung zum Tierischen, der uns anblafft: “Was? Vegetarier? Ha! Gänseleberpastete für 25 Euro für 100 Gramm! Tjaja! Pah, Tierquälerei, egal! Grill Royal! Kobe Rind, soooo ein Stück! Daheim! Keramikmesser! Tim Raue! Klasse der Typ! Auch nicht schlechter als in Argentinien! Und letzte Woche, Sushi! Teuer, klar, aber! Alles andere? Beilagen! Nicht mit mir! 380 Gramm Fleisch, blutig!” Meist wird dann noch der Plan serviert, demnächst mit dem Jagen zu beginnen, damit man das Viech wirklich auch selbst abknallt und zerstückelt. Der Fleischproll vereinigt in sich die politische Korrektheit einer Bild-Schlagzeile mit der Intelligenz einer Spiegel-Online-Kolumne, und er möchte uns am liebsten auf den Rücken klopfen, würde er nicht ahnen, dass wir zwar keine Tiere essen, aber der Schädling Mensch deshalb nicht so auf der roten Liste der gefährdeten Arten steht, wie Opas Jagdwaffensammlung noch bei Onkel Toni im Schrank. Aber weil politisch Unkorrekt den echte Mann auszeichnet, und das so auch in ein paar Magazinen (der Aufsteiger kennt da im Gegensatz zum Jägerenkel nur Papier, nicht 8 x 64 mm) steht, dürfen wir uns weitere Dinge anhören, die vermutlich splatterhaft schockierend sein sollen.
Echte Kerle halt. Nachdem das Rauchen verboten wurde, die Haustechnik vom Cousin der Putzfrau besorgt wird, die sporadischen Aufenthalte im Billigfitnesscenter keine Heldentaten zeitigen, und die Angebereien mit Bordellerlebnissen nicht mehr als männlich oder schicklich gelten, muss sich der Mann, so er einer sein möchte, eben anders als ein solcher beweisen. Scheinbare Schwächlingen beiseite schieben. Das tote Tier und sein Verzehr wird hier nach dem Ende von Laster, Gestank, Muskeln und Zeugungskraft zum letzten verbliebenen Distinktionsmerkmal in der Zivilisation. Nicht trotz der unerfreulichen Begleitumstände, sondern deshalb. All die Bedenken, die man vorbringen kann, sind genau das, was der Fleischproll als Herr über Leben und Tod lässig beiseite schieben möchte. Dafür – und nicht für die Qualität – geht er auch dorthin, wo es wirklich teuer ist.
Champignons a la Don Alphonso: 300 Gramm frische Champignons halbieren und in Olivenöl anbraten, eine halbe Zehe Knoblauch und etwas Petersilie kleinhacken und dazu geben, sowie 100 Gramm Schmand. Zwei mittelhart gekochte Wachteleier schälen, zerdrücken und untermischen (ein halbes Hühnerei tut es auch), Salz, frisch gemörserten Pfeffer, weiteres Öl und ein wenig sauren Senf dazu geben, abkühlen lassen, servieren.
Der Fleischproll, nun – es ist nicht zu bezweifeln, dass er uns eine Weile erhalten bleibt. Gerade mit der Reduktion des Fleischkonsums kann er sich als Tabubrecher präsentieren, als etwas Herausragendes, das zu seinen Lastern steht. Tradition, Authentizität, Standesbewusstsein, die Fähigkeit, auch gegen den Strom zu schwimmen und Einwände Schwächerer von sich abprallen zu lassen, der ganze elitäre Habitus, den man besseren Kreisen gern nachsagt, kommt darin zum Ausdruck. Man kann das machen. Ganz Genussmensch sein. Sich an der Spitze der Nahrungskette fühlen. An der sich das dumme Grillhendl zu Lebzeiten auch wähnt, wenn es das Mastfutter vorgesetzt bekommt.